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Der Linken-Politiker Ferat Kocak, hier auf einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Neukölln, ist einer der Betroffenen der Anschlagsserie.

© IMAGO/CHRISTIAN MANG

Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: „Ich hatte die Befürchtung, dass meine Einsätze durchgesteckt werden“

Beim Untersuchungsausschuss zu Nazi-Anschlägen in Neukölln wurden LKA-Ermittler angehört. Ein früherer Ermittlungsleiter vermutet rechte Verbindungen in der Behörde.

Irgendwann habe er angefangen, sich Gedanken zu machen, sagt der Kriminalpolizist Michael E. Warum begingen die Neuköllner Neonazis Sebastian T., Tilo P. und Julian B. offenbar immer genau dann Straftaten und Brandanschläge, wenn die Polizei sie gerade nicht beobachtete? „Ich habe T. in zwei Jahren Ermittlungsarbeit im Rahmen der Einsätze nur zwei Mal gesehen“, sagt E..

Ab 2017 leitete E. für zwei Jahre die Ermittlungsgruppe Resin, die die rechten Anschläge in Berlin-Neukölln aufklären sollte. Bis zu 200 Polizist:innen seien teilweise zeitgleich im Einsatz gewesen, berichtete er am Freitag im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Anschlagsserie im Abgeordnetenhaus.

Nie hätten Polizist:innen bei Sondereinsätzen beobachtet, wie T. seine Wohnung verließ, um Straftaten zu begehen. Dabei habe es in den Zeiträumen durchaus Brandanschläge und andere Delikte gegeben, die E. dem bekannten Neonazi T. zuordnet. „Das ist bemerkenswert, wenn man den Aufwand betrachtet, den wir da reingesteckt haben“, sagt Michael E. „Das ließ uns zweifeln: Warum ist das so?“

Gab ein Polizist Informationen weiter?

Er sei dann zu dem Schluss gekommen, dass offenbar Informationen aus der Behörde an die Nazis weitergeben werden. „Ich hatte die Befürchtung, dass meine Einsätze durchgesteckt werden“, sagte E.. Er habe dann einige Jahre später von einer Chatgruppe der Neonazis erfahren, in der auch ein Wachleiter einer angrenzenden Polizeidirektion Mitglied war. „Natürlich hat der von unseren Einsätzen damals mitbekommen, mehr muss ich dazu glaube ich nicht sagen“, sagte E..

Irgendwann habe E. beschlossen, die Einsätze sensibler zu behandeln. „Wir haben dann zum Teil nur noch mit Staatsschützern gearbeitet.“ Nach einem möglichen Treffen zwischen einem Polizisten und dem Neonazi Sebastian T. habe er ganz auf die Zusammenarbeit mit Berliner Einheiten verzichtet.

Ich habe unzählige Male versucht, Beschlüsse zu erwirken. Und ich bin unzählige Male abgeblitzt.

Der frühere Ermittlungsleiter Michael E. über die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft

Zudem kritisierte E. die Zusammenarbeit mit dem damaligen leitenden Oberstaatsanwalt F.. Dieser habe Fälle lange Zeit liegen lassen und Anträge nicht genehmigt. „Ich habe unzählige Male versucht, Beschlüsse zu erwirken. Und ich bin unzählige Male abgeblitzt“, sagte E.. Teils habe F. etwa Durchsuchungsbeschlüsse für Objekte nicht genehmigt, die aus Sicht der Polizei zentral gewesen wären. Das habe er als „hochgradig ungewöhnlich“ empfunden.

Der leitende Oberstaatsanwalt F. wurde im Sommer 2020 versetzt. Damals stand der Verdacht im Raum, F. könne befangen sein: Einer der Hauptverdächtigen im Neukölln-Komplex, Tilo P., hatte zuvor an einen AfD-Mann eine Telegram-Nachricht geschrieben. Darin erklärt P., dass ihm wohl nichts passieren werde und der Staatsanwalt auf ihrer Seite stehe. P. hatte jedenfalls den Eindruck, dass F. irgendwie „AfD-nah“ sei. Die Generalstaatsanwältin Margarete Koppers zog damals das Ermittlungsverfahren im Neukölln-Komplex an sich.

Mögliche Befangenheit des leitenden Oberstaatsanwaltes stand im Raum

Anhaltspunkte für eine Befangenheit F.s fanden sich nach einer Überprüfung durch eine Expertenkommission nicht. Allerdings äußerte E. in seiner Befragung vor dem Untersuchungsausschuss, dass er im Vorfeld bereits Bedenken wegen einer möglichen Nähe F.s zu rechtem Gedankengut gehabt habe. „Leider habe ich dann aus der Presse erfahren, dass ich nicht ganz unrecht hatte“, sagte er.

Die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft hatte zuvor auch Christian Steiof im Ausschuss kritisiert. Steiof leitet seit 2011 das Berliner Landeskriminalamt, zuvor war auch er im Staatsschutz tätig. Er bezeichnete den Umstand, dass die Ermittlungen nicht zu beweiskräftigen Ergebnissen geführt hatten, als „sehr unbefriedigend“.

Allerdings habe das LKA diverse Schlüsse aus den Ermittlungen und -pannen gezogen. So habe sich die Struktur innerhalb des Staatsschutzes verändert. Die Zahl der Mitarbeitenden im Bereich Rechtsextremismus habe sich auf 131 mehr als verdoppelt. Auch die Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz sei angepasst worden, etwa was die Verwertung möglicher Erkenntnisse des Nachrichtendienstes in den Ermittlungen betreffe.

Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Pannen und Ermittlungsfehler in einer Serie rechtsextremer Anschläge in Neukölln aufdecken. Dieser Serie werden 72 rechte Straftaten seit 2013 zugerechnet, darunter 23 Brandanschläge. Die beiden Hauptverdächtigen, der frühere NPD-Kreisvorsitzende Sebastian T. und der frühere Neuköllner AfD-Politiker Tilo P. wurden vor einigen Monaten mit Blick auf zwei Brandanschläge vor Gericht in erster Instanz frei gesprochen.

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