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Für Flüchtlinge beginnt im Ankunftszentrum in Tegel ihre Zeit in Berlin.

© picture alliance / SZ Photo

Reisesaison in Berlin startet: Flüchtlinge müssen wegen Touristen aus Hostels ausziehen

Weil die Hostels für Touristen gebraucht werden, müssen Geflüchtete gehen. Doch meist fehlt eine adäquate Alternative – vor allem für Rollstuhlfahrer ist das ein Problem.

70 Flüchtlinge kommen täglich nach Berlin, rund 2100 pro Monat. Seit vielen Wochen gibt es solche Zahlen, Sascha Langenbach zählt sie routiniert auf, er kennt sie ja zur Genüge.

Also muss es schon einen besonderen Grund dafür geben, dass der Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) mit einer Mischung aus Stöhnen und Kampfbereitschaft verkündet: „Man darf jetzt nicht die Nerven verlieren.“ Der Grund heißt: Tourismus-Saison.

Von April an strömen Tausende Berlin-Besucher in die Hauptstadt, sie buchen Hunderte Zimmer in Hostels. Die einen kommen, die anderen müssen dafür gehen: Flüchtlinge, die das LAF dort untergebracht hat. Sehr viele von ihnen müssen jetzt ausziehen. Das Problem ist nur, und deshalb stöhnt Langenbach: In den meisten Fällen fehlen adäquate Alternativen.

Viele Ukrainer müssen nach Tegel umziehen

Konsequenz: Sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine müssen in die Leichtbauhallen im Ankunftszentrum Tegel umziehen. Aus ihrer Sicht ist das natürlich ein erheblicher Rückschritt. Die Wohnbedingungen dort sind natürlich schlechter als in der heimeligen Atmosphäre eines Hostels. Tegel bietet Platz für rund 4800 Menschen.

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Flüchtlinge, die noch das Asylantragsverfahren durchlaufen müssen, ziehen in Gemeinschaftsunterkünfte, auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof zum Beispiel. „Erst Ende Mai, Anfang Juni werden wir weitere Dauereinrichtungen öffnen können, das ist dann eine erhebliche Entlastung“, sagt Langenbach. „Bis dahin: durchhalten.“

Ende März sind Verträge mit sechs Hostels ausgelaufen

Ende März sind die Verträge des LAF mit sechs Hostels ausgelaufen, 650 Flüchtlinge mussten ausziehen. Einige verließen selbstständig ihre bisherige Unterkunft, und wohin sie gingen, weiß das LAF nicht. Einige konnten in den jeweiligen Bezirken untergebracht werden, aber 480 mussten ihr Quartier in Tegel beziehen.

650
Flüchtlinge mussten Ende März aus Hostels ausziehen.

Derzeit sind noch 962 Flüchtlinge, darunter 722 Ukrainer, in sechs Hostels oder Hotels untergebracht. „Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Optionen auf Verlängerungen der bisherigen Vertragslaufzeiten zu ziehen“, teilt das LAF mit. Zum Teil ist eine Unterbringung in den dortigen Zimmer-Kontingenten bis Ende des Jahres möglich.

Zwangsumzug für Rollstuhlfahrer ein Problem

Ein besonderes Problem stellt der Zwangsumzug für Rollstuhlfahrer dar. Denn manche kommen in Unterkünfte, etwa auf dem Columbiadamm, die nicht behindertengerecht sind. „Sie leben jetzt in Containern, die keinen barrierefreien Zugang haben“, sagt Langenbach.

„Die haben kein behindertengerechtes Bad, und oft reicht der Platz nicht aus, dass man die Rollstühle in die Unterkunft schieben kann. Das bedeutet, die Rollstühle stehen draußen, die Leute müssen sich im Zweifel, sofern das möglich ist, auf Krücken fortbewegen“, so Langenbach.

In den modularen Unterkünften fehlt es an freien Plätzen

Nicht alle Hostelplätze waren optimal für Rollstuhlfahrer eingerichtet, aber die Bedingungen waren auf jeden Fall besser als in den Gemeinschaftsunterkünften.

Natürlich verfügt das LAF über andere Plätze, die behindertengerecht ausgestattet sind. In den Modularen Unterkünften für Flüchtlinge, den sogenannten MUFs, „gibt es im Erdgeschoss barrierefreie Eingänge“, sagt Langenbach. „Aber diese Plätze sind nahezu alle belegt. Vereinzelt, wenn wir Glück haben, ist noch ein Platz frei.“

Die Hotels nennen, sagt Langenbach, auch andere Härtefälle, die jetzt besonders versorgt werden müssen. Schwangerschaften, Krebs, Menschen, die an die Dialyse müssen, die Traumata haben.

In Tegel wurden von Januar bis Mitte März 30 Rollstuhlfahrer registriert

Besser haben es die Rollstuhlfahrer, die nach Tegel ziehen müssen. Dort sind die Bedingungen angemessen. Zwischen 1. Januar und Mitte März sind dort schon 30 Flüchtlinge, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, untergebracht worden. Im gesamten Jahr 2022 waren es 192 Menschen, darunter allein zwischen Oktober und Dezember 76. Das teilt Regina Kneiding mit, die Pressesprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), das in Tegel für die medizinische Versorgung zuständig ist.

Dazu meldeten sich zwischen 1. Januar und Mitte März 2023 insgesamt 24 pflegebedürftige Menschen aus der Ukraine. Im vergangenen Jahr waren es 151 Pflegebedürftige.

Die Menschen, sagt Regina Kneiding, klagten über saisonale Atemwegserkrankungen, chronische Erkrankungen (etwa Diabetes und Bluthochdruck), posttraumatische Belastungsstörungen, Tumorerkrankungen, Dialysepatienten.

In Tegel gibt es drei ausgestattete Arztpraxen

Im Terminal C findet die akute Betreuung von acht bis 23 Uhr durch Ärztinnen und Ärzte sowie Sanitäter, nachts durch Sanitäter. Insgesamt gibt es drei ausgestattete Arztpraxen, davon eine speziell für Pädiatrie. Der Pflegedienst arbeitet rund um die Uhr, im Früh- und Spätdienst durch je zwei Mitarbeiterinnen, im Nachtdienst ist ein Pfleger anwesend.

Die Rollstuhlfahrer werden im barrierefreien Terminal C untergebracht, hier gibt es barrierefreie Toiletten und Duschen. Einige Menschen liegen auch in Pflegebetten.

Ein Problem, sagt Regina Kneiding, „ist, dass Menschen, die besonderen Betreuungsbedarf haben, im Familienverbund geflüchtet sind und sich nicht trennen wollen. Hier ist es sehr schwierig, die gesamte Familie in einer barrierefreien Unterkunft unterzubringen.“

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