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Keine neuen Radwege mehr für Berlin, wenn dafür auch nur ein Pkw-Stellplatz wegfällt: Die Senatsverkehrsverwaltung hat die Bezirke gebeten, Radwegprojekte zu stoppen.

© IMAGO/A. Friedrichs

Update

Sobald ein Auto-Parkplatz wegfällt: Berliner Senat stoppt vorerst Radwegprojekte – heftige Kritik

Die Verkehrsverwaltung setzt unter CDU-Senatorin Manja Schreiner neue Prioritäten auf den Straßen. Neben Radwegen ist die Einrichtung von Tempo 30 betroffen. SPD und Grüne sind „sauer“ und „besorgt“.

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Keine neuen Radwege mehr für Berlin, wenn dafür auch nur ein Pkw-Stellplatz wegfällt: Die Senatsverkehrsverwaltung hat die Bezirke gebeten, Radwegprojekte vorerst zu stoppen. Eine dementsprechende E-Mail aus der Abteilung Verkehrsmanagement der Senatsverwaltung an den Bezirk Lichtenberg liegt dem Tagesspiegel vor.

„Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen“, heißt es in der Mail. In Abstimmung mit Manja Schreiner (CDU), der neuen Senatorin für Mobilität und Verkehr, würden derzeit keine Stellungnahmen, Prüfungen, Anhörungen oder ähnliches mehr zu Radverkehrsplanungen vorgenommen. 

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Es sollen alle Projekte vorübergehend ausgesetzt werden, die auch nur einen Autostellplatz gefährden oder den Wegfall von einem oder mehr Fahrstreifen zur Folge haben. Außerdem soll Tempo 30 weder auf langen Strecken, noch zum Lückenschluss ausgewiesen werden. Lediglich besondere Anträge wie von Kitas und Schulen sollen weiterhin geprüft und umgesetzt werden. Nicht gestoppt werden die Errichtung von Ampeln und die von der Unfallkommission festgelegte Beseitigung von Gefahrenstellen.

Lichtenbergs Verkehrsstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) zeigte sich am Donnerstag während der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) empört über die Mail und zitierte teilweise daraus. „Ich bin besorgt um die schwächsten Verkehrsteilnehmer“, sagte sie.

In den Berliner Bezirken zeigen sich viele Mitarbeitende der Verwaltungen überrascht über die Mail der Senatsverwaltung. Auch der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh betont, er kenne das Schreiben aus der Verkehrsverwaltung nicht. Dem Tagesspiegel sagte er: „Wir wollen mehr und sicherere Radwege. So ist der verabredete Weg in der Koalition.“

Tamara Lüdke, Lichtenberger SPD-Abgeordnete, teilte einen Aufruf von Changing Cities: am Freitag, den 16. Juni um 17:45 Uhr soll vor der Senatsverkehrsverwaltung gegen den Stopp des Radwegeausbau demonstriert werden.

SPD in Friedrichshain-Kreuzberg „verdammt sauer“

Linda Vierecke, SPD-Abgeordnete aus Pankow twitterte: „Ich bleibe dabei: Wir brauchen geschützte, breite Radwege in der Stadt. Und wir brauchen sie schnell. Jetzt Radwegprojekte zu stoppen, macht keinen Sinn und steht so auch nicht im Koalitionsvertrag.“

Die SPD im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist „verdammt sauer“, wie Peggy Hochstaetter, SPD-Vorsitzende des bezirklichen Verkehrsausschusses, dem Tagesspiegel sagte. „Natürlich sind wir gegen den Stopp des Radewegebaus. Wir fordern eine gerechte Aufteilung des öffentlichen Straßenraums.“

Kritik von den Grünen

Auch aus der Opposition kommt Kritik an dem Vorstoß. „Die Ankündigung der Verkehrssenatorin bremst faktisch die gesamte Radwegeplanung in unserer Stadt aus“, sagte der Grüne-Fraktionschef Werner Graf. „Damit zeigt die Rückschrittskoalition, dass sie ideologisch zur Verkehrspolitik des letzten Jahrhunderts zurück will. Der Radewegeausbau ist aber ein relevanter Beitrag für mehr Verkehrssicherheit.“ Sicherer Radverkehr werde grundsätzlich infrage gestellt, falls dem Auto auch nur ein einziger Parkplatz genommen werden könnte. „Das ist fatal und ein eklatanter Verstoß gegen geltendes Recht“, sagte Graf. „Das Mobilitätsgesetz schreibt sichere Radwege an allen Hauptstraßen vor.“

Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin.

Ragnhild Sørensen, Changing Cities

Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark aus Lichtenberg hingegen hat „keinen Zweifel daran, dass der neue Senat sehr bestrebt ist, möglichst viele neue und sichere Radwege zu schaffen. Dass dafür alle aktuellen Planungen einer kritischen Würdigung unterzogen werden, ist sinnvoll, da der Wunsch eines besseren Miteinanders der Verkehrsplaner und -teilnehmer im Mittelpunkt steht.“

In Lichtenberg ist die Siegfriedstraße betroffen: Hier soll seit Jahren ein geschützter Radweg entstehen, es müssen jedoch Parkplätze entfernt werden. Dieses Projekt, das auch von der Senatsverwaltung ursprünglich begrüßt worden war, liegt nun auf Eis. Keküllüoğlu hofft, dass „vorübergehend ausgesetzt“ nicht gestrichen bedeutet und es bald weitergehen kann. 

Die Verkehrsstadträtin betonte, dass bereits ein externes Büro für die Planungen des Radwegs in der Siegfriedstraße beauftragt wurde und man dies auch weiterhin fortsetzen wolle.

Der geschützte Radweg in der Siegfriedstraße war ursprünglich auch ein Projekt des Berliner Senats. Der Bezirk, damals noch mit Wilfried Nünthel von der CDU als Verkehrsstadtrat und die Senatsverwaltung waren sich sicher, in der Straße einen Radweg bauen zu wollen, stritten sich 2018 mit Autofahrenden, setzten sich für den Radweg ein. Doch seit 2017 geschieht hier nichts, immer nur Planungen, Abwägungen, aber kein Radweg.

Was ist eigentlich mit dem Mobilitätsgesetz?

Und was ist eigentlich mit dem Mobilitätsgesetz? Dieses sieht vor, an allen Hauptverkehrsstraßen geschützte Radstreifen zu errichten. Das 2018 beschlossene Gesetz wird bisher vom Senat ohnehin missachtet - und nun also vollkommen ignoriert. Bereits im Mai hatte Schreiner angekündigt, das Mobilitätsgesetz zu verschieben und zu überarbeiten.

Das Mobilitätsgesetz gilt, hier darf es keine Rolle rückwärts geben

Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer, Landesvorsitzenden der Berliner Linken

„Das Mobilitätsgesetz gilt, hier darf es keine Rolle rückwärts geben“, teilten die Landesvorsitzenden der Berliner Linken, Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer mit. „Wir brauchen schnell sichere Radwege für die steigende Anzahl von Radfahrenden und zwar in der ganzen Stadt.“ Die Linken fordern zudem eine Sondersitzung des Mobilitätsausschusses, damit sich Senatorin Schreiner erklären kann.

„Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin, die zwar Miteinander propagiert, während ihr Herz aber eindeutig für die autogerechte Stadt schlägt“, kommentiert Ragnhild Sørensen von Changing Cities, einem Thinktank für die Mobilitätswende.

Senatorin Schreiner hatte bereits im Interview mit der Berliner Zeitung angekündigt, Radverkehrsprojekte zu prüfen und „einige infrage zu stellen“. Auch für sie sei klar, dass Radfahrende und Fußgänger:innen besser geschützt werden müssten, sagte Schreiner.

„Aus meiner Sicht ist es nicht immer sinnvoll, Kraftfahrzeugen Fahrstreifen zu entziehen, um sie auf ganzer Breite zu Radverkehrsanlagen umzugestalten. In jedem Fall muss analysiert werden, wie dies den Verkehrsfluss beeinflusst“, so Schreiner.

Radwege könnten auf breiten Gehwegen oder Nebenstraßen errichtet werden, führte die Senatorin aus. Letztlich könne es sein, dass auch Autostellplätze wegfallen – das jedoch dürfte vorerst nicht eintreten.

Stadträtin in Mitte ist „besorgt“

Im Bezirksamt Berlin-Mitte ist die Mail aus der Senatsverwaltung bisher nicht angekommen. Man gehe aber davon aus, dass die Hinweise berlinweit gelten würden, sagte die zuständige Stadträtin, Almut Neumann (Grüne), dem Tagesspiegel. Sie äußerte sich besorgt, dass nun „ein Stillstand für den Ausbau von sicherer Infrastruktur für Menschen auf dem Rad droht“.

In Charlottenburg werden Radstrecken zu Busspuren

Im Fokus stehen auch die Pop-Up-Radwege in der Kantstraße im Bezirk Charlottenburg: Wie der Tagesspiegel erfuhr, sollen die Fahrradstreifen „streckenweise für den Linienbusverkehr freigeben“ werden. Möglicherweise geht es um mehr als eine vorübergehende Lösung. „Die verkehrliche Situation wird nochmals bewertet, um alle Belange und aktuelle rechtliche Entwicklungen in eine Abwägung einfließen zu lassen“, teilte eine Sprecherin der Senatsverwaltung mit.

Die neue CDU-Senatorin nutze „die erstbeste Gelegenheit, um den Radverkehr auf der Kantstraße faktisch einzuschränken“, beklagt der Berliner Abgeordnete Niklas Schenker (Linke). Er hält die Pläne für sinnlos: „Busse werden wie alle anderen weiter im Stau stehen.“

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