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Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ will per Volksentscheid erreichen, dass große Wohnungsbestände einzelner Unternehmen kommunalisiert werden.

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Exklusiv

SPD und Grüne legen Abneigung ab: Berliner Koalition will über Enteignung von Immobilienkonzernen verhandeln

Werden die Forderungen der Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ in ein Gesetz gegossen? Die Linke ist dafür, nun zeigen sich auch Grüne und SPD offen.

Plötzlich könnte alles ganz schnell gehen: Nachdem die Zulassung des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ Monate gedauert und ein heftiges Ringen zwischen den Senatsverwaltungen entfacht hatte, deuteten die Fraktionsspitzen von SPD, Linken und Grünen Verhandlungsbereitschaft zur Übernahme der Ziele an.

Von einem „Einigungskorridor“ war im Anschluss an die erste Runde zwischen Koalitionsfraktionen und Vertretern der Initiative am Montagabend die Rede. Ob und wenn ja, in welcher Form das Parlament den Senat auffordert, ein Gesetz zu verabschieden, würden die nächsten Wochen zeigen.

Teilnehmer der Videokonferenz berichteten übereinstimmend, das Gespräch habe in „guter Atmosphäre“ und „mit zufriedenstellenden Ergebnissen“ stattgefunden. Während sich Linke und Grüne zu weitgehenden Zugeständnissen bis hin zu einer Eins-zu-eins-Übernahme der Forderungen der Initiative bereit erklärten, gab sich die SPD verhaltener.

Das Ziel des Begehrens, also die Vergrößerung des kommunalen Wohnungsbestandes, müsse im Vordergrund stehen, hieß aus den Reihen der Sozialdemokraten. Eine Enteignung aller Immobilienkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen in der Stadt, wie von den Initiatoren gefordert, werde es mit der SPD nicht geben.

Das ist folgerichtig, schließlich würde sich die Fraktion sonst über einen im Oktober 2019 gefassten Parteitagsbeschluss der SPD hinwegsetzen. Damals hatte sich eine deutliche Mehrheit der Delegierten gegen die Enteignung von großen Wohnungskonzernen ausgesprochen.

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Dennoch signalisierten die zuletzt mit dem Personalwechsel an der Spitze ihres Landesverbandes beschäftigten Sozialdemokraten Verhandlungsbereitschaft. „Wir haben weder eine Tür zugeschlagen, noch Zusagen gemacht“, hieß es nach der Sitzung. Ist den Initiatoren des Volksbegehrens das eigentliche Ziel wichtiger als die Enteignung von Konzernen, könne ein Kompromiss gefunden werden. Statt Großvermieter zu enteignen, solle der kommunale Bestand durch Ankauf vergrößert werden.

Tagesspiegel-Informationen zufolge soll die Verhandlungslinie im Laufe der Woche mit der neuen Landeschefin Franziska Giffey beraten werden. Sie dürfte bereits am Montagabend im Bilde gewesen sein, denn Raed Saleh, Ko-Landeschef und Vorsitzender der Abgeordnetenhausfraktion, saß mit in der Runde.

Grüne "optimistisch", dass Lösung gefunden wird

Für die Grünen deutete Fraktionschefin Antje Kapek an, deutlich weiter auf die Initiatoren zugehen zu wollen. „Ich glaube, dass es der einfachste Weg wäre, wenn das Abgeordnetenhaus sagt: Wir nehmen das Volksbegehren an“, erklärte sie am Dienstag. Zwar gebe es „eine Reihe juristischer Fragen“, die geklärt werden müssten. Sie sei jedoch „optimistisch“, dass auch in der Kürze der Zeit – dem Abgeordnetenhaus bleiben noch zwei Monate – eine Lösung gefunden werden könnte.

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Kritischster Punkt aus Sicht der Grünen: Die von den Initiatoren festgesetzte Marke von 3000 Wohnungen. Wer mehr besitzt, soll enteignet werden. Geht es nach den Grünen, sollen eher qualitative Faktoren Kriterium für nach Paragraf 15 des Grundgesetzes mögliche Enteignungen sein. Zeigen sich die Aktivisten an dieser Stelle gesprächsbereit, könne es eine Lösung geben, sagte Kapek. Sie forderte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) dazu auf, einen „Aufschlag zu machen“.

Linke "überrascht" von Koalitionspartnern

Linken-Fraktionschefin Anne Helm zeigte sich „überrascht“ von der Verhandlungsbereitschaft der Koalitionspartner. Nachdem sie im Gespräch mit der „Taz“ vor der Schalte noch vor einer „verwässerten Übernahme“ des Volksbegehrens gewarnt hatte, gab sie sich am Tag danach zurückhaltend.

In „entscheidenden Punkten“ wie der Frage danach, wer vergesellschaftet werden soll und ob es das richtige Instrument sei, lägen die Ansichten „auseinander“. Helm machte deutlich, dass es für ihre Fraktion „keine Alternative zu einem Vergesellschaftungsgesetz“ gebe – und ging so auf Distanz zur SPD.

Weil Linken-Landesgeschäftsführer Sebastian Koch am Dienstag via Twitter zur Teilnahme am Volksentscheid aufrief, zweifelten die Grünen an der Verhandlungsbereitschaft der Linken. Die These, ein zeitgleich zur Abgeordnetenhauswahl stattfindender Entscheid könne der Linken Stimmen bringen und werde deshalb einer Verhandlungslösung vorgezogen, bezeichnete Helm als „mutig“.

Darüber, ob die parlamentarische Beratung starten kann, entscheiden am Ende die Mitglieder der Initiative. Sprecher Rouzbeh Taheri erklärte, zunächst werde das Plenum am kommenden Dienstag die Ergebnisse der ersten Runde besprechen. Sollte das Votum positiv sein, könne in der Woche darauf eine erneute Schalte zwischen Aktivisten und Fraktionen anberaumt werden.

Allerdings: Als Mitinitiator des Mietenvolksentscheids aus dem Jahr 2018 hat Taheri Erfahrung mit vom Abgeordnetenhaus und schließlich vom Senat übernommenen Initiativen: Am Ende der Verhandlungen stand ein Kompromissgesetz, das von den Forderungen der Initiatoren in zentralen Punkten abwich.

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