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Ramona Pop (Grüne) hält (sich) am Reim fest.

© dpa

Vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin: Wahlkampf ist Wahlkrampf

Der Berliner Wahlkampf hat kaum begonnen, doch schon jetzt ist zu sagen: Liebe Parteien, bitte spart euch verschwurbelte Programme, Zankereien und falsche Prioritäten! Ein Kommentar.

Am Donnerstag wurde im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses das Licht ausgeschaltet. Zeit für die Sommerpause! Nur die Politiker, die dem Bau-, Stadtentwicklungs- oder Innenausschuss angehören, müssen nachsitzen – dort wurden für die kommende Woche letzte Sitzungen anberaumt. Anschließend kehrt komplett Ruhe ein. Erst Anfang September treffen die Abgeordneten im Plenum erneut zusammen, zum wahrscheinlich letzten Mal vor den Wahlen am 18. September. Der Senat schaltet ebenfalls bald in den Urlaubsmodus.

Die Politiker machen Ferien, so als ob es in Berlin nichts für sie zu tun gäbe. Zweieinhalb Monate, gut zehn Wochen lang, vertreten die Parlamentarier uns und unsere Interessen nicht im Abgeordnetenhaus. Warum eigentlich so lange? Das gemeine Wahlvolk hat im Sommer in der Regel zwei bis drei Wochen Urlaub, in wenigen Fällen auch mal vier. Brauchen Politiker wirklich so viel mehr davon?

Nein, versichern mir treuherzig die Abgeordneten, mit denen ich darüber sprach. Nur ein bisschen möchten sie sich erholen, um gestärkt in die heiße Wahlkampfphase zu ziehen. Ab Ende Juli werden sie unterwegs sein, um uns überall auf der Straße mit ihren Plakaten die Sicht zu versperren. Das ist anstrengend für sie – und die vom Wahlkampftheater genervten Bürger. Wobei die davon zum Glück gar nicht so viel mitbekommen: In den Schulferien schlappen ja vor allem Touristen durch die City. Die nehmen bestimmt gerne eine Rose oder eine Broschüre von einem Bezirkspolitiker entgegen – und wundern sich vielleicht über die plötzliche Freundlichkeit der Berliner. Immerhin!

Dieser Wahlkampf hat noch gar nicht richtig begonnen, aber mir ist die Lust darauf schon vergangen. Ich möchte keine verschwurbelten Wahlprogramme mit wohlfeilen politischen Vorhaben lesen. Das Konzept der SPD, die seit 2001 den Regierenden Bürgermeister stellt – erst Klaus Wowereit, seit anderthalb Jahren Michael Müller –, lege ich schon nach dem ersten Satz aus der Hand: „In den vergangenen 15 Jahren hat sich Berlin hervorragend entwickelt.“ Viele Berliner haben wohl andere Erfahrungen gemacht: Der unvollendete BER ist ein Skandal sondergleichen, an der Großbaustelle der Staatsoper sieht es nicht besser aus, die Schulen verrotten, Kitaplätze fehlen, die Parks sind vermüllt. Dass die Stadt – der Politik zum Trotz! – einen Boom erlebt, davon profitiert hier längst nicht jeder. Wie sonst ist es zu erklären, dass rund ein Drittel der Berliner Kinder an der Armutsgrenze lebt?

Regierung kindisch, Opposition lahm

Beim Koalitionspartner CDU springt einen auf der Homepage der Slogan „Starkes Berlin“ an, neben Bildern des Innensenators und Union-Spitzenkandidaten Frank Henkel. Starker Henkel also? Wohl kaum. Wer verantwortet noch mal das Chaos bei den Ämtern und bei der Wahl-Software, das fehlende Vertrauen der Bürger in die Sicherheitspolitik der Stadt? Hinzu kommt, dass sich SPD und CDU seit Monaten Scharmützel liefern, die sie nicht mehr als professionelle Partner erscheinen lassen, sondern als politische Gegner. Da haut CDU-Generalsekretär Kai Wegner auf die SPD ein, und SPD-Abgeordnete wie Sven Kohlmeier twittern giftig zurück.

Doch auch die Opposition macht keine bessere Figur: Die wiederauferstehende FDP bietet nichts, als sich als „Wir halten Tegel offen“-Partei zu profilieren. Bei der AfD erwarte ich mit Grauen, wie sie uns noch mit rechten Parolen bearbeiten will.

Und Grüne und Linke? Wenn Ramona Pop, die Spitzenfrau des grünen Spitzenquartetts, bei einem ihrer ersten Wahlkampftermine eine Wohlfühltour durch Neuköllns Spätiszene unternimmt, ist das für mich ein klarer Fall von falscher Prioritätensetzung. Ein marginales Thema, ausgedacht für eine hippe Innenstadt-Klientel. Auch die rhetorische Wahlkampffrage der Linken – „Wem gehört die Stadt?“ – weckt bei mir null Interesse an der Partei und der Frage, welche konkreten politischen Lösungen sie anbieten könnte.

Momentan möchte ich aber eh vor allem eins wissen: Wer garantiert mir, dass wir überhaupt wählen können am 18. September? Michael Müller? Frank Henkel? Auf die soll ich mich verlassen? Im Wahlkampf?

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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