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Die Opposition im Check: Wer profitiert von der stolpernden Bundesregierung?
Nach einem halben Jahr steht die Bundesregierung in Umfragen denkbar schlecht da. Immer wieder fällt Schwarz-Rot mit Uneinigkeit auf. Wer in der Opposition profitiert davon?
Stand:
Zuletzt war es Außenminister Johann Wadephul, der bei einer Reise durch das kriegszerstörte Syrien infrage stellte, ob man Menschen dorthin abschieben kann. Sofort entbrannte erneut ein Streit in der Koalition über den migrationspolitischen Kurs, versucht Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) derzeit doch, Abschiebungen nach Syrien zu forcieren.
Immer wieder hat sich die schwarz-rote Bundesregierung in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit so mit Fehlern selbst in Bedrängnis gebracht. Entsprechend schlecht stehen CDU, CSU und SPD in Umfragen da. Zusammen kommen sie derzeit in der Sonntagsfrage bei den meisten Instituten nur auf rund 40 Prozent der Stimmen. Mit der Arbeit von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sind laut einer aktuellen Forsa-Umfrage nur 25 Prozent zufrieden.
Können die Oppositionsparteien im Bundestag – AfD, Grüne und Linke – von dieser Unzufriedenheit profitieren? Und inwiefern ist es ihnen gelungen, die unfreiwilligen Vorlagen der Regierung zu nutzen? Die Arbeit der Opposition im Check.
Die AfD präsentiert sich als „konservative“ Alternative
Aus AfD-Sicht hätte die Legislaturperiode nicht besser starten können: Friedrich Merz scheitert mit der Wahl zum Bundeskanzler im ersten Durchgang. Als er endlich gewählt ist, sitzt er einer AfD-Fraktion gegenüber, die doppelt so groß ist wie vorher.
Und in den Umfragen geht es in den folgenden Monaten weiter bergauf. AfD-Vertreter argumentieren, Merz führe eigentlich eine linke Koalition an. Konservative Politik gebe es nur mit der AfD. Bei vielen Wählern scheint das Narrativ zu verfangen.
Der Fokus der Partei liegt nun auf den Landtagswahlen im nächsten Jahr – vor allem auf Sachsen-Anhalt. Dort ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Partei um Spitzenkandidat Ulrich Siegmund sogar eine absolute Mehrheit holen und die Partei damit ohne Koalitionspartner erstmals in einem Bundesland regieren könnte.

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Sollte es nicht dazu kommen, dürfte es für die übrigen Parteien in dem Bundesland schwierig werden, eine Koalition zu bilden. Gleichzeitig werden nun auch in der Union Diskussionen über Modelle laut, bei denen die AfD stärker eingebunden werden, die Brandmauer also eingerissen werden könnte.
Mehrere ostdeutsche CDU-Politiker hatten sich dafür ausgesprochen, den Umgang mit der AfD zu überdenken. Tenor: Wenn ein Gesetz richtig sei, müsse man es auch unabhängig von einer Brandmauer verabschieden. Heißt: wenn nötig auch mit Stimmen der AfD. Argumentiert wird auch, dass der bisherige Umgang mit der AfD die Partei nicht geschwächt habe.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hielt dagegen. Noch im Oktober sagte Merz: „Wir sind die Brandmauer. Wir sind die Union, die dafür sorgt, dass dieses Phänomen sich nicht weiter auswächst.“ Er fühle sich dieser Aufgabe aus tiefster Überzeugung verbunden.
Merz ist vorbelastet. Noch vor der Neuwahl in diesem Jahr hatte die Union beim sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz, einem Gesetzentwurf zur Verschärfung der Migrationspolitik, im Bundestag mit der AfD gestimmt. Auch wenn das Gesetz letztlich scheiterte, folgte eine massive politische Kontroverse bis hin zu großen Demonstrationen vor dem Konrad-Adenauer-Haus.
Vor allem in der Migrationspolitik versuchte die Regierung Merz in der Folge, Pflöcke einzurammen. „Signalwirkung“ lautete das Stichwort der ersten Monate. Grenzkontrollen, Abschiebungen, weniger Asylanträge: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) versuchte mit seinem Kurs, die Unzufriedenheit in der Migrationspolitik zu kontern.
So manche Diskursverschiebung nahm dennoch, entgegen allen Beteuerungen, der Kanzler selbst vor. Sprach vor allem AfD-Chefin Alice Weidel bislang von angeblichen „Messermännern“ aus dem Ausland, die in Deutschland massiv die Bevölkerung bedrohten, geht es nun in der „Stadtbild“-Debatte ebenfalls um den Zusammenhang von Aussehen, Herkunft und Gewalt.
Auch in der Debatte über die Sozialpolitik spielte Herkunft eine zunehmende Rolle. Im Zuge der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen ging es etwa um Sozialbetrug, um ausländische Banden, die Menschen in die Bundesrepublik bringen, um Bürgergeld zu kassieren – thematisiert insbesondere von der SPD. Nun wird über Reformen diskutiert.
Viele Themen aus dem AfD-Kosmos schaffen es indes nicht auf die Regierungsagenda. Atomkraft, Gendern, Transsexualität – all das beschäftigt viele AfD-Wähler massiv, die breite Bevölkerung aber weniger.
Gleichzeitig hat auch die AfD interne Konflikte zu lösen. Neben mehreren Verfahren gegen Abgeordnete oder deren Mitarbeiter ist sich das Führungsduo aus Alice Weidel und Tino Chrupalla etwa im Umgang mit Russland nicht einig. Nach Luftraumverletzungen im NATO-Raum sagte Weidel, Russland müsse sich deeskalierend verhalten. Chrupalla wiegelte hingegen ab. Ähnlich sieht es bei US-Zöllen aus: Ökonomin Weidel sprach von Gift für den freien Handel, Chrupalla zeigte Verständnis für die US-Politik. Auch in Sachen Wehrpflicht ist die Partei nicht eins.
Die Wähler scheint das weniger zu stören: AfD und Union liegen in aktuellen Umfragen in etwa gleichauf.
Grüne: Wirkungslos trotz Regierungskrise
Wann immer sich Union und SPD als desorientiert und hilflos erwiesen, weil ihnen die nötige Mehrheit im Bundestag fehlte, gelang es den Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge, sich als seriöse Alternative zu präsentieren.
So war es, als die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler im ersten Durchgang nicht gelang und die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin scheiterte. Haßelmann und Dröge gingen danach Unionsfraktionschef Jens Spahn hart an.

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„Heute ist ein schlechter Tag für das Parlament, für die Demokratie und für das Bundesverfassungsgericht“, sagte Haßelmann nach der gescheiterten Richterwahl vor der Sommerpause. „Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben“, warf sie dem CDU-Politiker entgegen. Seriöse Absprachen in der demokratischen Mitte seien kaum noch möglich, weil Spahn seine eigenen Leute nicht im Griff habe, lautete ihr Vorwurf.
Katharina Dröge gelang es auch zu anderen Anlässen, rhetorisch zu punkten. So blieb ihre Rede zur Reform der Schuldenbremse in Erinnerung. Noch im alten Bundestag warf sie Merz kurz nach der Bundestagswahl vor, nicht aufrichtig gewesen zu sein, als er die Reform der Schuldenbremse im Wahlkampf ausschloss. Die Bürger müssten erkennen, „dass das ihr Politikprinzip ist, nicht immer ehrlich zu sein“, rief sie Merz zu.
Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann
Auch aus Reihen der Union gab es danach im Hintergrund Anerkennung für die rhetorische Wucht dieser Rede, zumal Dröge auch Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) vorwarf, mithilfe eines Verschiebebahnhofs das Sondervermögen für konsumtive Ausgaben zu missbrauchen.
Doch mit ihren eigenen Themen dringen die Grünen kaum durch. Und in der zentralen Migrationsdebatte sind sie weiterhin inhaltlich gespalten. Ein Symptom für einen schwelenden Richtungsstreit. Die Partei hadert mit sich, ob sie nach den Ampeljahren wieder nach links schwenken oder den Mitte-Kurs beibehalten soll.
Die blassen Parteichefs Felix Banaszak und Franziska Brantner wollen vor den Landtagswahlen im kommenden Jahr beiden Lagern nicht wehtun. Doch ihr Kurs funktioniert weder für die Grünen in Kreuzberg noch in Konstanz. Das Publikum interessierte sich in den vergangenen Monaten mehr für den Rückzug von Robert Habeck und Annalena Baerbock aus der Politik als für das aktuelle Spitzenpersonal der Grünen.
In Umfragen dümpeln die Partei deshalb trotz der Krise der Bundesregierung weiter bei nur rund elf Prozent herum. Die Grünen müssen aufpassen, dass sie nicht von der Linken überholt werden.
Die Linke dringt auf Anerkennung
Denn die Linkspartei schwimmt weiter auf der Erfolgswelle. Sie ist auf dem besten Weg, den Grünen den Rang als beliebteste linke Oppositionspartei abzulaufen. Lag sie bei der Bundestagswahl trotz ihres Überraschungserfolgs von 8,8 Prozent noch klar hinter den Grünen (11,6 Prozent), kommen in Umfragen mittlerweile beide auf elf Prozent (Insa) oder sogar zwölf Prozent (Forsa).
Taumelte die Partei nach dem Exodus des Wagenknechts-Lagers vor rund zwei Jahren unter den damaligen Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan noch orientierungslos und weit unter der Fünfprozenthürde vor sich hin, steht die Partei heute so gut da wie lange nicht. Die Mitgliederzahlen eilen von Rekord zu Rekord auf nun 120.000 Menschen.

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Seit der Abspaltung des BSW ist die Partei weniger mit Selbstzerfleischung beschäftigt. Wohlgemerkt, während Wagenknechts Leute den Einzug ins Parlament verpassten und sie endgültig um ihre politische Zukunft bangen muss.
Verbunden ist dieser Erfolg weiter maßgeblich mit der Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Ihr Co-Vorsitzender Sören Pellmann blieb klar im Schatten der 37-Jährigen. Er kehrte erst im Oktober auf die politische Bühne zurück, nachdem er im Juli einen Herzinfarkt erlitt und seitdem vor Stress, Belastung und Dauerarbeit in der Politik warnt.
Reichinnek wurde in den ersten sechs Monaten Schwarz-Rot noch stärker zum Gesicht der Partei. Im Forsa-Ranking der beliebtesten Politiker ist sie als einzige Oppositionspolitikerin vertreten und liegt weit vor Banaszak und Brandtner und noch weiter vor Weidel und Chrupalla.
Die verpatze Richterwahl, die Abschaffung des Bürgergelds und die Verschärfung in der Migrationspolitik nutzte sie, um der Regierung „Verantwortungslosigkeit“, „soziale Kälte“ und „rechten Kulturkampf“ vorzuwerfen. Die Stadtbild-Aussagen von Friedrich Merz bezeichnete sie als „blanken Rassismus“. In der Union wertet man das sowie ihre Aussagen zur DDR und dem Sozialismus als weiteren Beleg für die Unvereinbarkeit einer Zusammenarbeit mit der Partei.
Gleichwohl verhalf die Linke Friedrich Merz überhaupt erst zu einem zweiten Wahlgang in der Kanzlerkür Anfang Mai. Trotzdem war es keine Überraschung, dass vor allem CSU-Abgeordnete die Wahl Reichinneks in das Parlamentarische Kontrollgremium im Juni blockierten.
Mit neuem Personal kommt ein neuer Ton. Der ist im Bundestag durch den Einzug der AfD vor acht Jahren rauer geworden. Vor allem die Linke hält verbal dagegen, etwa Parteichefin Ines Schwerdtner, die AfD-Mitglieder im Mai als „Faschisten“ bezeichnete. Nach der AfD gingen in dieser Legislatur die meisten Ordnungsrufe und Rügen an die Linke.
Neben dem Antifaschismus setzt die Linke zudem weiter voll auf die Themen soziale Gerechtigkeit und Wohnen. Anträge zur Verschärfung der Mietpreisbremse oder einer Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Hygieneprodukte sowie ÖPNV scheiterten erwartungsgemäß. Auf ihr Bild als die Kümmererpartei für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen dürfte es trotzdem einzahlen und damit linkere SPD- wie Grünenwähler ansprechen.
Kritiker monierten vor allem eine zu einseitige Israelkritik und eine mangelnde Distanzierung zu radikalen Gruppen wie der Terrororganisation Hamas. Zudem warf man ihr vor allem aus der Union heraus vor, antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen nicht streng genug zu bekämpfen.
Von ihrer Macht als kleinste Oppositionspartei könnte die Linke allerdings auch in Zukunft weiter Gebrauch machen. Nach Kanzler- und Richterwahl könnten Union und SPD auch ein drittes Mal auf ihre Stimmen angewiesen sein, wenn man die Schuldenbremse tatsächlich ernsthaft modernisieren will. Ohne die AfD geht das nur mit Linken und Grünen. Dazu sind beide bereit, aber nur unter gewissen Bedingungen.
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