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© Berbeitung: TSP | imago/Michael Schick/imago stock

Angehörige der Opfer von Hanau: „Ich will Gerechtigkeit für mein Kind“

Neun Menschen wurden vor drei Jahren bei dem rechtsextremistischen Anschlag in Hessen getötet. Hinterbliebene und Politiker beklagen mangelnden Aufklärungswillen.

Der Anschlag in Hanau löste weit über Deutschland hinaus Fassungslosigkeit und Bestürzung aus. Kurz bevor sich die rechtsextremistische Mordserie an diesem Sonntag zum dritten Mal jährt, haben Hinterbliebene und Politiker:innen den Behörden vorgeworfen, die Umstände der Tat nicht ausreichend ermittelt zu haben.

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Das sind die Namen der neun Menschen, die am 19. Februar 2020 in Hanau innerhalb weniger Minuten ermordet wurden. Sechs weitere Menschen wurden bei dem rassistischen Anschlag verletzt, teilweise schwer.

Rechtsextremismus ist derzeit die größte Bedrohung unserer Demokratie.

Aus dem Koalitionsvertrag der Regierungsparteien

Der Täter Tobias R. hatte sich bewusst Orte ausgesucht, wo sich vor allem Menschen aus Einwandererfamilien aufhielten, die er als „fremd“ abqualifizierte. Sie wollten mit Freund:innen ein Bier trinken, Fußball schauen, Shisha rauchen, eine Pizza abholen. Viele von ihnen waren Hanauer, für die die hessische Stadt ihre Heimat war.

Angehörige der Opfer bei einer Mahnwache vor dem hessischen Landtag zum ersten Jahrestag des Anschlags.
Angehörige der Opfer bei einer Mahnwache vor dem hessischen Landtag zum ersten Jahrestag des Anschlags.

© dpa/Arne Dedert

Vor allem die vielen Ungereimtheiten des Falles und dass die Opfer womöglich hätten gerettet werden können, lassen Betroffene hilflos zurück. Der Notausgang der „Arena-Bar“, in der Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović erschossen wurden, war verschlossen, weshalb die Opfer nicht fliehen konnten. Vili Viorel Păun, der den Täter verfolgte und schließlich durch die Windschutzscheibe von ihm erschossen wurde, hatte mehrfach den Polizei-Notruf angerufen, aber niemanden erreicht.

13 von 19 Polizisten nahmen an rechtsextremen Chatgruppen teil

Bis die Polizei das Haus des Täters stürmte, der in der Zwischenzeit sich selbst und seine Mutter getötet hat, vergingen fünf Stunden. Später stellte sich heraus, dass 13 der 19 Mitglieder des eingesetzten Spezialeinsatzkommandos aus Frankfurt am Main an rechtsextremen Chatgruppen beteiligt waren. Tobias R. hatte vor seiner Tat rassistische Pamphlete und Videos ins Netz gestellt. Trotz bekannter psychischer Probleme hatte er seit 2013 einen Waffenschein. 

Hanau 2020, das war der dritte rechtsextreme Terrorakt innerhalb von neun Monaten. Ajla Kurtović, die Schwester des getöteten Hamza Kurtović, appelliert bei der Trauerfeier am 4. März 2020 an die Politik: „Sorgen Sie, sehr geehrte Politiker, dafür, dass die Umstände dieses Verbrechens aufgeklärt und die Lehren daraus gezogen werden, damit sich so eine schreckliche Tat nicht wiederholen kann.“ 

Angehörige der Toten beklagten „mangelnden Aufklärungswillen der Behörden in Hessen“ und „behördlichen Rassismus“. Das Innenministerium reagierte mit einer Studie zum Thema.

Der Kampf gegen Rassismus hatte nie als Herzensangelegenheit des früheren Innenministers Horst Seehofer gegolten. Auch deshalb hatten Angehörige gehofft, dass mit der Ernennung von Nancy Faeser zur Innenministerin Rechtsextremismus und Rassismus stärker bekämpft werden. Zumindest im Koalitionsvertrag der Ampel, der rund eineinhalb Jahre später in Kraft trat, schlägt sich das Bestreben nieder: „Rechtsextremismus ist derzeit die größte Bedrohung unserer Demokratie“, heißt es darin.

Viele offene Fragen

Niculescu Păun, der Vater von Vili Viorel Păun, hat noch immer keine Antwort darauf bekommen, wie es sein kann, dass sein Sohn am 19. Februar 2020 zwischen 21.57 Uhr und 21.59 Uhr dreimal die 110 wählte, aber niemand seinen Anruf entgegennahm. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen dazu eingestellt. Auch zu der Frage, warum an dem Abend der Notausgang der Bar verschlossen gewesen ist, wurden die Ermittlungen eingestellt.

Unter der Frankfurter Friedensbrücke zeigt ein Wandbild die Porträts der neun Opfer des Anschlags.
Unter der Frankfurter Friedensbrücke zeigt ein Wandbild die Porträts der neun Opfer des Anschlags.

© picture alliance/dpa/Andreas Arnold

Es habe sich im Zuge des Untersuchungsausschuss der Eindruck verdichtet, dass der schwarz-grünen Landesregierung der Anschein eines unfehlbaren Polizeiapparates wichtiger ist als Transparenz und Opferschutz, sagte Saadet Sönmez, Obfrau für die Die Linke. „Das Mauern von vielen Vertreter:innen der Polizeiführung bei Befragungen im Untersuchungsausschuss hat dieses Bild bestätigt.“

Ein ähnliches Bild zeichnet auch Armin Kurtović, der Vater des getöteten Hamza Kurtović, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Ich will Gerechtigkeit für mein Kind, das ist es, was damals alle versprochen haben.“ Er fordert, dass das Verfahren um den Notausgang noch einmal neu aufgerollt wird, von auswärtigen Beamt:innen. „Wie soll denn sonst etwas passieren, es geht hier doch allen um ihre Positionen.“ Er und seine Frau können nachts nicht mehr schlafen, sagt er. „Wir haben kein Leben mehr.“

Rund 22.000 Straftaten von rechts gibt es pro Jahr, jede 24. Minute eine. Das geht aus dem Lagebericht „Rassismus in Deutschland“ hervor, den die erste Bundesbeauftragte für Antirassismus Reem Alabali-Radovan jüngst vorlegte.

In einer repräsentativen Umfrage sagte 22 Prozent der Befragten, selbst Rassismus erlebt zu haben. Das BKA listete 2021 in den Fallzahlen der politisch motivierten Kriminalität 21.964 rechte Delikte, darunter 1.042 Gewalttaten, von denen zwei Drittel rassistisch motiviert waren. Die unabhängigen Beratungsstellen meldeten sogar 1.391 Angriffe.

Ein Sprecher der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sagte dem Tagesspiegel, dass Anfragen wegen rassistischer Diskriminierung seit Jahren zunähmen. „Antirassismus ist entscheidend für unsere Demokratie und der Staat hat die verdammte Pflicht, dafür die besten Bedingungen zu schaffen“, sagte Alabali-Radovan dem Tagesspiegel.

Ein Mahnmal für den Anschlag in Hanau gibt es in der Stadt übrigens bis heute nicht – weil man sich nicht auf einen Ort einigen konnte. In der Zeit nach dem Anschlag waren auf dem Marktplatz Kerzen umgeschmissen, Fotos abgerissen und Blumen auf den Boden geworfen worden.

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