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© Verena Schulz für den Tagesspiegel

Koranverbrennungen und andere Irrtümer: Was ich glaube, was mich zweifeln lässt

Werden ihre Symbole von außen attackiert, protestiert die muslimische Welt. Und ist seltsam stumm bei Gewalt im Namen ihrer Religion. Ein paar Anmerkungen.

Ein Essay von Büşra Delikaya

Wenn der Koran brennt, dann lässt mich das nicht kalt. Auch ich als gläubige Muslimin möchte nicht, dass das Buch brennt. Denn ich ahne, was darauf folgt. Und wenn ich dann die Proteste in Ländern wie Pakistan oder dem Irak gegen solche antiislamischen Aktionen sehe, befremdet mich das.

Ich wünsche mir oft, es gäbe einen vergleichbaren Aufschrei, wenn im Namen des Islam Anschläge verübt werden, dass es auch dann Bilder von Muslimen in die Medien schaffen, die auf die Straße gehen, um den Koran gegen jene Terroristen zu verteidigen, die ihr Handeln mit dem Koran begründen. Aber da kommt vergleichsweise wenig. Warum ist das so?

Der Psychiatrie-Professor Claas Lahmann von der Universität Freiburg spricht davon, dass im Falle von Koranverbrennungen ein Gemeinschaftsgefühl angezündet werde. „Symbole werden irgendwann abstrahiert, sie fördern die Gruppenkohäsion. Wenn diese Symbole brennen, fühlt es sich für Betroffene so an, als würde ihre gesamte Identität und ihr religiöses Grundverständnis brennen.“

Und natürlich lässt sich niemand gern seine Identität anzünden, das betrifft nicht nur Muslime. Doch wo kommt der Impuls zur wütenden Gegenreaktion her, den ja nicht alle verspüren?

In mir macht sich vor allem Unverständnis breit. Allerdings auch schon, wenn ich sehe, dass jemand  einen Koran anzündet. Du willst kritisieren?, denke ich. Kritisiere! Aber warum diese Form von symbolisch-abstrakter Gewalt?

Symbole werden irgendwann abstrahiert, sie fördern die Gruppenkohäsion. Wenn diese Symbole brennen, fühlt es sich für Betroffene so an, als würden ihre gesamte Identität und ihr religiöses Grundverständnis brennen.

Professor Claas Lahmann, Universität Freiburg

Zugleich stellt sich mir aber auch die Frage: Was ist das für ein Muslimisch-Sein, das auf einem so leicht entzündlichen Fundament fußt? Und warum führt der gewalttätige Islamismus nicht zu ähnlichen Protestzügen?

Professor Thomas Lemmen, Islamexperte im Erzbistum Köln, bringt die globale Machtfrage ins Spiel. Als im Januar ein rechtsextremer Politiker in Schweden öffentlichkeitswirksam einen Koran verbrannte, sagte er in einem Interview: „Es wird damit etwas berührt, was seit der Zeit des Kolonialismus durch die islamische Welt geht, nämlich ein Gefühl der Unterlegenheit, der Missachtung und der Geringschätzung der islamischen Welt durch die westliche Welt.“

Der Islam als Opfer-Religion? Sollte es so einfach sein?

Der Islam als Opfer-Religion? Sollte es so einfach sein? Die verhöhnenden Aktionen gegen den Islam finden meist im Westen statt, während der islamistische Terror nicht nur in Europa tötet.

Weltweit töten islamistische Milizen Menschen, die selbst Muslime sind. Das stiftet keinen Gemeinsinn. Das stellt den infrage. So lassen sich die unterschiedlichen Reaktionen auf den Missbrauch des Koran gut erklären, denn so gesehen hat die Gewalt, die ihm angetan wird, eine große Zusammenführungskraft – und eine ganz andere Dimension als die Gewalt im Namen des Koran.

Nach der jüngsten Koranverbrennung in Schweden brannten im Irak schwedische Flaggen.
Nach der jüngsten Koranverbrennung in Schweden brannten im Irak schwedische Flaggen.

© Reuters/West Asia News Agency

Aber geht es bei Religion überhaupt um eine kollektive Identität? Kann ich mich nicht als Muslimin verstehen, mich mit der koranischen Offenbarung identifizieren und trotzdem eine Identität haben, die im Kern unabhängig von islamischen Symbolen ist? Kann ich nicht religiös sein, ohne mein Religiös-Sein, das Ritualisierte, die Symbole, die Formalitäten zu sehr in den Vordergrund zu stellen? Ich will muslimisch sein, weil mir die Religion zusagt, nicht um des Muslimisch-Seins willen.

Es geht um Götzen, das ist das Problem

Der iranische Religionssoziologe Ali Schariati kämpfte bis zu seinem Tod 1977 gegen ein von ihm als korrumpierter Islam bezeichnetes Religionsverständnis. Dieses verleite Menschen dazu, nicht authentisch zu glauben, und dazu, sich nach dem Glaubensbekenntnis keine weiteren Gedanken mehr zu machen und nichts mehr zu hinterfragen.

Vielmehr, so Schariati, brüsteten sie sich mit ihrem Glauben, so wie alle Religionsanhänger, die ihre eigene Religion als die überlegenere, die wahre preisen. In diesem Kontext sagte Schariati einst: „Manchmal sehen wir, dass jeder etwas zu seinem persönlichen Götzen macht. Aber niemand traut sich, die Axt in die Hand zu nehmen und es zu Fall zu bringen.“

Die unbändige Wut auf Koranverbrennungen zeigt genau das auch: dass bei jenen Muslimen das Religiös-Sein zum Götzen geworden ist. Buchseiten brennen, und statt dass sie darin ein kleines Feuerchen sehen, dem bald von allein die Puste ausgeht, geraten sie in eine Wut, die womöglich durch die Dynamik des gemeinsamen Protests noch eine weitere binnendynamische Steigerung erfährt. Wobei das keinesfalls ein Reaktionsmuster ist, das mit dem Koran an sich zu tun hat.

Gotteslästerung und Blasphemie, da sind sich Theologen und Historiker einig, gibt es genauso lange wie den Glauben an Gott. Auch im Christentum galten sie lange Zeit als großes Vergehen. Im Römischen Reich wurde Blasphemie mit der Todesstrafe geahndet. Im Mittelalter wurde mit Gotteslästerungsverboten die Autorität und Macht der Kirche gestärkt. Dann kam die Aufklärung, und die Ideen der Religions- und Meinungsfreiheit gewannen an Bedeutung.

In der muslimischen Welt gilt Blasphemie noch immer als ein Vergehen. Dabei ist Aufklärung und Kritik auch in der geistesgeschichtlichen Tradition der islamischen Theologie ein fester Bestandteil. Nimet Seker, Professorin für Islamische Textwissenschaften am Berliner Institut für Islamische Theologie, sagt, dass der Anspruch der Koranexegese auch sei, dass Muslime die universell relevante Bedeutung des Buches für das Hier und Jetzt tiefer gehend verstehen.

Wenn irgendwo ein Koran angezündet wird, dann brennt ein Symbol und machen Menschen Schlagzeilen, die gar nicht so genau wissen, was das Buch eigentlich enthält. Denn die tatsächliche Botschaft Gottes empfiehlt Langmut und Toleranz. Vermittelt wird sie oft durch Erzählungen über Propheten, die ebenfalls Gefühlen wie Angst und Wut ausgesetzt waren, denen aber eben nicht nachgaben. Das ist der Islam, an den ich glaube.

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