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Viele Jugendliche beteiligen sich an den Demos der „Fridays for Future“-Bewegung wie hier im März 2023 in Berlin.

© Imago/Ipon

Mehr als die Hälfte der Jüngeren sorgt sich um Zukunft: „Jetzt ist es noch schön auf der Welt. Wer weiß, wie lange noch“

Klimawandel, Krieg in Europa, Geldsorgen: Einer aktuellen Umfrage zufolge blicken viele 16- bis 25-Jährige pessimistisch auf ihr Leben.

Die junge Generation in Deutschland macht sich große Sorgen: Einer neuen Umfrage zufolge stimmt mehr als die Hälfte der befragten 16- bis 25-Jährigen der Aussage eindeutig oder eher zu, dass sie sich Sorgen um ihr persönliches Leben machen, wenn sie an die Zukunft denken. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung des Instituts Civey im Auftrag des „Spiegel“.

Noch deutlicher fällt demnach die Einschätzung bezogen auf die Gesellschaft aus: Gut drei Viertel der jungen Menschen stimmen der Aussage zu, sie machten sich Sorgen um die zukünftige Entwicklung.

Zu einem ähnlichen Ergebnis war Mitte Mai die Studie „Jugend in Deutschland“ gekommen. Der zufolge fühlen sich Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren durch aktuelle Krisen psychisch deutlich stärker belastet als Menschen älterer Generationen. Ursache für die hohe Belastung sei ein durch die Folgen von Corona-Pandemie, Klimakrise, Krieg und Inflation entstandener Dauerkrisenmodus – etwa weil junge Menschen dadurch in finanzielle Nöte gerieten.

Jugendliche fühlen sich allein auf der Welt, sie haben keine Zuversicht mehr und ziehen sich komplett zurück.

Ingo Spitczok von Brisinski, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Viersen

Ein großer Teil der jungen Menschen habe zwar eine gewisse Routine darin entwickelt, mit dem „Dauerkrisenmodus“ umzugehen, bekräftigte der Jugendforscher Klaus Hurrelmann, der auch an der „Jugend in Deutschland“-Studie beteiligt war, gegenüber dem „Spiegel“. Aber bei einer anderen, kleinen Gruppe seien die „Kräfte der psychischen Abwehr verbraucht“.

Bei rund einem Drittel der Jugendlichen spitzten sich psychische Belastungen zu, etwa Stress, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Depressionen und Selbstzweifel. Der Umfrage zufolge findet zudem gut die Hälfte der Befragten, junge Menschen würden zu wenig gehört.

Ingo Spitczok von Brisinski, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Viersen, sagte demnach: „Jugendliche fühlen sich allein auf der Welt, sie haben keine Zuversicht mehr und ziehen sich komplett zurück.“ Niedrigschwellige Hilfen gibt es zwar an einigen Schulen, doch vielerorts fehlen Schulsozialarbeiter oder Schulpsychologen. Lehrerinnen und Lehrer können die Nöte kaum auffangen.

Toxische Mischung – erschöpfte Kinder treffen auf erschöpfte Lehrer

Julian Schmitz, Professor für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Leipzig, sagte dem Blatt, der Pandemie sei oft ein Verstärkereffekt zugeschrieben worden. „Erschöpfte Kinder treffen jetzt auf erschöpfte Lehrer. Das ist eine toxische Mischung, die sich da in den Schulen zusammengebraut hat.“

Zu den Sorgen der Jugend kommen finanzielle Nöte: Die Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland müsste höchste Priorität haben, sagt Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik in Düsseldorf.

Bei konservativen Politikern sei aber „keine Rede davon, dass einige Kinder nicht mal jede Woche duschen können, weil das Geld nicht fürs warme Wasser reicht. Es wird nicht über Alkohol als Risikofaktor für häusliche Gewalt diskutiert und nicht darüber, dass unser Killerkapitalismus mehr als 20 Prozent der Kinder in Armut und Bildungsbenachteiligung zurücklässt“.

Der „Spiegel“ lässt in seiner neuen Ausgabe auch vier junge Menschen zu ihrer persönlichen Sicht auf die Zukunft zu Wort kommen. Die heutige 21-jährige Sina Hanenberg berichtet zum Beispiel darüber, dass sie bereits im Alter von 14 Jahren gewusst habe, dass sie keine Kinder wolle. „Meine Angst, ein Kind zu bekommen, war unermesslich groß und sicher auch krankhaft“, sagt sie.

Doch wie könne man angesichts der globalen Krisen überhaupt Kinder kriegen? „Der Planet ist jetzt schon überbevölkert, Nahrungsmittel sind knapp, der Klimawandel schreitet voran. Die Leute machen sich zu wenig Gedanken über all diese Probleme. Alles, was sie ihren Kindern mitgeben, ist eine düstere Zukunft. Für alle, die ein Kind wollen, sollte die erste Option die Adoption sein.“

Mit 15 Jahren habe sie eine Klinik gefunden, die bereit dazu war, sie zu sterilisieren, sobald sie volljährig war. Derv Eingriff sei dann im Alter von 19 Jahren durchgeführt worden. Sie werde oft gefragt, ob sie diese Entscheidung später bereuen werde. „Nein, das werde ich nicht“, sagt Hanenberg. „Selbst, wenn ich mir später Kinder wünsche, dann kann ich mich immer noch um welche kümmern, die bereits auf der Welt sind. Ich versuche nicht an die Zukunft zu denken, ich will im Hier und Jetzt leben. Jetzt ist es noch schön auf der Welt. Wer weiß, wie lange noch.“ (lem)

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