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Es ist die Nachtigall und nicht die Lärche.

© IMAGO/ingimage

Wenn die Nachtigall nervt: Warum gilt die Lärm-Toleranz nur für Tiere?

Bis zu 95 Dezibel erreichen Nachtigall-Männchen mit ihrem Gesang. Das ist so laut wie eine Kettensäge. Niemand würde eine nächtliche Kettensägen-Balz rechtfertigen. Warum dürfen Vögel das?

Eine Glosse von Ariane Bemmer

Es kommt im Leben nie nur darauf an, was passiert, sondern auch darauf, wer dafür verantwortlich ist. Das erweist sich ganz besonders Frühling um Frühling in puncto Lärm.

Dann nämlich rückt eine Horde Krachmacher in deutsche Städte ein, macht sich breit und lärmt, schreit, singt die Nächte durch, ohne irgendeine Rücksichtnahme auf die angestammte Anwohnerschaft.

Menschen, die neben so einer sommerlichen Lärm-Location wohnen und dauernd aus dem Schlaf gerissen werden (los geht es grundsätzlich erst um 23 Uhr), könnten theoretisch natürlich das Gespräch mit den Verursachern suchen oder die Polizei rufen. Aber in diesem Fall ist das praktisch keine Option.

In diesem Fall machen den Lärm nämlich Vögel. Genauer: Nachtigallen. Noch genauer: Nachtigall-Männer, die nach Partnerinnen suchen und keine Ruhe geben, bis sie eine gefunden haben.

Je lauter die Stadt, desto lauter die Vögel

Oh, denken Sie, aber man kann sich doch nicht über den Gesang einer Nachtigall beschweren! Kann man doch. Denn die Vögel, obwohl nur Saisongäste, haben ihre Lautstärke mit dem allgemeinen Geräuschpegel der Städte nach oben geschraubt und erreichen inzwischen, wie Wissenschaftler des Berliner Naturkundemuseums ermittelten, bis zu 95 Dezibel. Das entspricht einer Kettensäge, die in einem Meter Entfernung läuft.

Fest steht ja wohl, dass niemand auch nur fünf Sekunden Verständnis für einen Menschen-Mann hätte, der zu Balzzwecken nachts die Kettensäge anschmeißt. Warum also die ganze Nachsicht für die gefiederten Kerle? Nur, weil sie Tiere sind?

Der Mensch scheint etwas zu überkompensieren. Weil er Tieren viel Grund und Boden geraubt hat und mancher Art zugegeben arg zusetzt, hat er erst ein schlechtes Gewissen entwickelt, aus dem heraus er zum geläuterten Natur-Fan wurde, der sich gegen gar nichts mehr wehrt, was Flora und Fauna ihm zumuten.

Füchse vermehren sich in jedem zweiten Garten, fantastisch. Wölfe rücken in Städte vor? Lasst sie rein! Kaninchen sitzen in Zwölferreihen quer auf Parkwegen, ist das süß. Tauben machen schon längst keine Anstalten mehr, den Weg freizugeben, wenn man sie nicht aufscheucht? Dann macht man das halt! Spatzen landen mitten im Käsekuchen? Wenn’s ihnen doch Spaß macht.

Wahrscheinlich müssen erst Giftschlangen in die Städte zurückkehren, dass die Menschen sich darauf besinnen, dass nicht alles, was als Natur daherkommt und Platz beansprucht, auch für sie ein Gewinn ist.

Bis dahin wird, wer sich nach Vergrämungsmöglichkeiten für lärmende Vögel erkundigt, streng belehrt, dass er die Fenster im Schlafzimmer zumachen, mit Ohrstöpseln schlafen oder ihnen eine Partnerin vermitteln solle. Wenn sich das zu den einsamen Kettensägen-Besitzern herumspricht, dann gute Nacht.

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