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Israelische Kampffahrzeuge und Panzer sind in der Nähe der Grenze zwischen Israel und Gaza im Einsatz.

© dpa/Ilia Yefimovich

Bodenoffensive verzögert sich offenbar : Israels Armee kündigt Jagd auf Hamas-Führer Sinwar an

Der geplante Einmarsch israelischer Truppen ist einem Medienbericht zufolge wegen schlechter Sicht für Piloten verschoben worden. Das Ziel sei aber klar.

Nach den massiven Raketenangriffen der Hamas auf Israel am Samstag vergangener Woche und den Gräueltaten von Mitgliedern der Terrororganisation hatte die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bisher mit intensiven Schlägen der Luftwaffe auf den Gazastreifen reagiert.

Die erwartete Bodenoffensive ist bisher nicht gestartet – obwohl die Frist, die die Armeeführung den Palästinensern zum Verlassen des nördlichen Teils der Region gesetzt hatte, am Samstag zunächst abgelaufen war. Am Sonntag teilte die Armee ein neues Zeitfenster mit.

Einwohner der Stadt Gaza und des nördlichen Gazastreifens hätten von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr Ortszeit (09.00 bis 12.00 Uhr MESZ) Zeit, um eine sichere Fluchtroute zu nutzen. Der Aufruf Israels betrifft nach Angaben der UN rund 1,1 Millionen Menschen.

Eine offizielle Ankündigung für eine Bodenoffensive hat es bisher nicht gegeben, allerdings deutet der Truppenaufmarsch rund um Gazastreifen klar auf eine geplante Invasion hin.

Er ist ein wandelnder Toter, und wir werden diesen Mann kriegen.

Richard Hecht, israelischer Armeesprecher über Hamas-Führer Yahya Sinwar

Wie die „New York Times“ (NYT) am Sonntag unter Berufung auf drei namentlich nicht genannte, ranghohe israelische Offiziere berichtet, soll der Einmarsch tatsächlich für dieses Wochenende geplant gewesen sein, wurde aber wegen schlechter Sicht für Piloten von Kampfjets, Hubschraubern und Drohnen, die die Operationen am Boden unterstützen sollen, um einige Tage verschoben

Palästinensische Terroristen hatten vergangenes Wochenende im Auftrag der Hamas ein Massaker unter israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Mehr als 1300 Menschen wurden getötet. Israel antwortet seither mit heftigen Luftangriffen auf Ziele im Gazastreifen, wo nach palästinensischen Angaben vom Samstag mindestens 2228 Menschen getötet und 8744 weitere verletzt wurden. Die Zahlen beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Yahya Sinwar (links) leitet die Hamas im Gazastreifen. 

© Imago/Zuma Press/Ashraf Amra

Das Ziel der Mission sei, „die Zerschlagung der Hamas und die Beseitigung ihrer Anführer nach dem von ihnen verübten Gemetzel“, zitiert die NYT Admiral Daniel Hagari, den obersten Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte. „Diese Organisation wird Gaza weder militärisch noch politisch beherrschen“, sagte Hagari.

Oberstleutnant Richard Hecht, ein weiterer Armeesprecher, sagte, im Fokus der Truppen sei vor allem von Yahya Sinwar, der oberste Hamas-Funktionär, dessen Büros sich ebenso wie die der Hamas-Regierung in Gaza-Stadt befinden. Israel macht Sinwar für die Massaker und die Entführungen von rund 150 Menschen aus Israel in den Gazastreifen verantwortlich. „Dieser Mann ist in unserem Visier“, sagte Hecht. „Er ist ein wandelnder Toter, und wir werden diesen Mann kriegen.“

„Gaza wird es nicht mehr so geben, wie es einmal war“, hatte Israels Außenminister Eli Cohen am Freitag in einem Interview mit dem Fernsehsender „Welt“ erklärt. „Wir werden sicherstellen, dass die Hamas nicht mehr existiert“. Die Terrororganisation werde ausgelöscht. „Sie wird zermalmt werden, so wie auch der IS zermalmt wurde.“

Die Militäroperation berge die Gefahr, dass sich israelischen Truppen in monatelange blutige Häuserkämpfe verwickelt werden, heißt es in dem Bericht. Demnach geht Israels Armeeführung davon aus, dass sich Zehntausende von Hamas-Kämpfern in Hunderten von Kilometern unterirdischer Tunnel und Bunker unter Gaza-Stadt und den umliegenden Teilen des nördlichen Gazastreifens verschanzt haben.

Die Hamas werde versuchen, den Vormarsch der Truppen dadurch zu behindern, indem sie einige dieser Tunnel sprengt, Bomben am Straßenrand zündet und Gebäude mit Sprengfallen versieht.

Um den israelischen Soldaten die Arbeit zu erleichtern, wurden die Einsatzregeln des israelischen Militärs gelockert, sodass die Soldaten weniger Kontrollen durchführen müssen, bevor sie auf mutmaßliche Feinde schießen, sagten die drei israelischen Offiziere der NYT, ohne weitere Einzelheiten zu nennen.

Die Komplexität der Invasion werde durch die Tatsache erhöht, dass die Hamas vermutlich viele der israelischen Geiseln in ihren unterirdischen Bunkern und Tunneln gefangen halte, so die NYT. Militäranalysten befürchten, dass die Hamas die Geiseln als menschliche Schutzschilde einsetzen wird, was Israel in ein moralisches und operatives Dilemma bringen würde.

„Die einzige Möglichkeit, an die Geiseln heranzukommen, ist eine Bodenoperation“, sagte Miri Eisin, ein ehemaliger hoher Militäroffizier und Direktor des Internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung an der Reichman-Universität in Israel, der Zeitung.

Die Sperranlage um den Gazastreifen hat drei Übergänge: Erez im Norden, Kerem Schalom im Süden und Rafah in Richtung Ägypten.

© Grafik: Tsp/Bartel / Quelle: UN Ocha

Unklar scheint bisher Israels Gesamtstrategien zu sein. Wie es in dem Bericht weiter heißt, habe die israelische Regierung hat noch nicht entschieden, ob sie neben dem Norden mit Gaza-Stadt auch den südlichen Gazastreifen zurückerobern wird. Erlange Israel nicht auch die Kontrolle über den Süden, bestünde die Gefahr, dass einige Hamas-Führer entkommen könnten, so die NYT.

Nimrod Novik, ein ehemaliger hochrangiger israelischer Diplomat und Sicherheitsberater der israelischen Regierung, sagte der NYT, einige militärische und politische Führer wollten, dass die israelischen Soldaten 18 Monate lang von Tür zu Tür gehen und Verhaftungen vornehmen sollten. „Andere, so denke ich, sind weitaus realistischer und sprechen nicht von der Zerschlagung der Hamas – sondern eher davon, die Hamas ihrer Fähigkeit zu berauben, uns zu bedrohen.“

Auch die Frage, wer den Gazastreifen nach der Hamas kontrollieren werde, sei nach Ansicht von Analysten schwierig, schreibt die Zeitung. Israel könne die direkte Kontrolle über das Gebiet wiederherstellen, wie es dies von 1967 bis 2005 getan hat, aber das würde die Verwaltung einer großen, feindlich gesinnten Bevölkerung bedeuten, so die NYT.

Ein Plan, der derzeit von Diplomaten, Beamten und Analysten diskutiert werde, sehe vor, dass die Palästinensische Autonomiebehörde, die 2007 von der Hamas vertrieben wurde, wieder Kontrolle über den Gazastreifen übernehme, heißt es weiter. Dies würde jedoch das Risiko mit sich bringen, dass die Behörde als Marionette Israels dasteht, sagte Ibrahim Dalalsha, ein palästinensischer Analyst mit Sitz in Ramallah im Westjordanland, der NYT. (lem)

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