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© Verena Schulz für den Tagesspiegel

„Der große, ungeliebte Halbbruder“: Woher stammt der deutsche Antiamerikanismus?

Ressentiments gegenüber den Vereinigten Staaten sind in Deutschland tief verwurzelt. Besonders seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sie wieder viele Anhänger.

Ein Essay von Tanja Dückers

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt, wie reflexhaft sich wieder einmal antiamerikanische Ressentiments in Deutschland breit machen: Die eigentlichen Drahtzieher und Profiteure des Krieges sind natürlich die USA mit ihrer Rüstungsindustrie.

Die Wirtschaftssanktionen haben sie auch verhängt, um ihr Flüssiggas zu verkaufen. Während amerikanisches Gas moralisch verwerflich ist, war Nord Stream 2 ein russisch-deutsches Friedensprojekt. Solche Annahmen scheinen einigen Leuten naheliegender, als das Land, das seinen Nachbarn mit Krieg und Terror überzieht, als Aggressor anzusehen.

Interessant ist dabei der Schulterschluss von Linken und AfD. So konnte man kürzlich bei Twitter lesen: „Diese Panzer bedeuten lediglich vier Wochen länger Krieg und ein paar zehntausend junge Männer, die sinnlos gestorben sind. Danach gibt es keine Leopardpanzer mehr an der neuen Ostfront. Die USA haben Deutschland schachmatt gesetzt.“

Und: „USA schicken Deutschland wie einen Vasallen ins Feuer. Entscheidung der Ampel auf Geheiß Washingtons bereitet Deutschland den Weg in den Krieg. Fatal, dass Scholz die einst von ihm selbst gezogene rote Linie überschritten hat. Es gilt jetzt den Kriegstreibern in den Arm zu fallen!“

Die zweite, im Ton schärfere Äußerung, ist von der Linken Sevim Dağdelen; die erste von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Der Journalist Tobias Rapp twitterte dazu: „Die Nähe von Linkspartei und AfD in der Ukrainefrage ist schon bemerkenswert. Sie speist sich aus den gleichen Zutaten: Putinliebe und Amerikahass.“

Solche Ansichten sind in nuancierter Form bis weit in die bürgerliche Mitte zu finden. Eine Reihe führender Intellektueller und Politiker halten Russland im Ukrainekrieg für ein Opfer der USA. Doch woher kommt die krude Vorstellung? Sie liegt zum einen begründet in der verklärten Sicht auf Russland und zum anderen im tief verwurzelten Ressentiment gegenüber den USA als den zentralen Vertreter des westlichen Liberalismus.

Die Nähe von Linkspartei und AfD in der Ukrainefrage ist schon bemerkenswert. Sie speist sich aus den gleichen Zutaten: Putinliebe und Amerikahass.

Tobias Rapp, Journalist

Der Reihe nach: Bei Linken existiert oft noch ein romantisches Bild von Russland als antikolonialer, antiimperalistischer Macht, die stets Befreiungsbewegungen unterstützt hat. Allerdings ist das Wissen darum meist lückenhaft, wie Russland zu seiner Größe kam und welche Völker es sich auf diesem Wege einverleibt hat.

Die Berliner Schriftstellerin Annett Gröschner, in Magdeburg aufgewachsen, brachte dies lakonisch auf den Punkt: „Wir wurden zum Antiimperialismus erzogen, dabei waren wir selber Teil eines Imperiums.“

Bei manchen Bürgern mit DDR-Sozialisierung und durchaus kritischem Blick auf die DDR kann man jedoch eine Art Stockholm-Syndrom konstatieren: Das von der SED propagierte Negativbild der USA wird von ihnen noch heute so meinungsstark vertreten, als wären sie Redenschreiber unter Honecker gewesen. Darunter finden sich nicht wenige ehemalige Dissidenten. Am Ressentiment gegenüber den USA scheint man dennoch zu hängen wie an der Sehnsucht nach Kindheitstagen an der Ostsee.

Wir wurden zum Antiimperialismus erzogen, dabei waren wir selber Teil eines Imperiums.

Annett Gröschner, Schriftstellerin

Natürlich gibt es auch die zunächst durchaus nachvollziehbare Argumentation, dass man Russland gegenüber besondere Milde walten lassen müsse, weil die Rote Armee (mit Hilfe der Amerikaner, Briten und Franzosen) Deutschland von den Nazis befreit hat.

Von Entfremdung, Entwurzelung und Beschleunigung

Schwierig nur: die Ukraine verschwindet in dieser Wahrnehmung, was den Kampf gegen die Nazis angeht. Dabei war die Ukraine neben Belarus und dem Baltikum einer der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkrieges.

Liberalismus-Ressentiments haben in Deutschland eine lange Tradition. Schon den Nazis galten die USA als Symbol und Sinnbild einer „entfesselten“ Moderne, von Entfremdung, Entwurzelung und Beschleunigung. Auf dem Obersalzberg schwafelte Hitler vom jüdischen Sündenbabel New York, das er gern in Flammen aufgehen sehen wollte.

Für den Rassisten und Provinzler Hitler waren die USA ein verdorbenes Vielvölkergemisch, eine Art großes Wien. Und natürlich spielt auch heute, oft unbewusst, Antisemitismus eine Rolle. Manche Menschen bemerken nicht einmal, wie sie von einem bestimmten Typus von New Yorker Banker sprechen.

Ein lang verspürtes Minderwertigkeitsgefühl

Reden sie genauso vom „Frankfurter Bankier“? Nein. Vorstellungen wie diese halten sich beharrlich: Während die „oberflächlichen“, flatter- und lasterhaften Amerikaner nur dem schnöden Mammon hinterherhecheln, besitzen die tiefgründigen, authentischen, bodenständigen und traditionsorientierten Deutschen die höhere Moral und das anständigere Wesen.

Das lange verspürte Minderwertigkeitsgefühl, erst Kriegsverlierer und dann Junior-Partner zu sein, wird nun wettgemacht, in dem man sich auf die angeblich höhere moralische Integrität beruft. Auf den besseren rheinischen Kapitalismus.

Die Abneigung entsteht auch durch Nähe: Die USA sind uns kulturell und habituell näher als der Großteil der außereuropäischen Länder. Die meisten Amerikaner haben europäische Wurzeln, viele Familien sind erst seit drei, vier Generationen in Amerika. Im verspotteten Mittleren Westen bilden die Deutschstämmigen mit Abstand die größte Bevölkerungsgruppe.

Die USA abzulehnen, ist bis zu einem gewissen Grad projizierter Selbsthass.

Tanja Dückers

Die Nähe spiegelt sich umgekehrt in Deutschland in der mannigfachen Übernahme amerikanischer Produkte, Kultur- und Konsumgüter, die man ebenso „ablehnt“, wie man sie begehrt. Der Lebensstil in den USA ist lange von den Deutschen bewundert und vielfach kopiert worden.

Heute schwanken die Deutschen zwischen konsumbefriedigter Behaglichkeit und miesepetrig-moralisierender Besserwisserei. Die USA sind so etwas wie der große ungeliebte Halbbruder. Die USA abzulehnen, ist bis zu einem gewissen Grad projizierter Selbsthass. Viele Deutsche leiden an einer Art spätkapitalistischer Sinnkrise. Die Frage ist nur, wie man auf sie reagiert.

Man kann sich damit befassen, was Deutschland selber zur Klimakrise oder zur Vernichtung von nicht-konkurrenzfähigen Unternehmen in Ländern des globalen Südens beiträgt, man kann aber auch – easy way out – die USA in einem Rundumschlag verantwortlich machen und glauben, die Welt wäre ohne den Partner jenseits des Atlantiks eine bessere.

Der „Abgesang auf Amerika“ hat hierzulande viele Fans. Leider wird selten über den Tag X hinausgedacht. Wie die Alternative zum „westlichen“ Lebensentwurf, für den die USA sinnbildlich stehen und von dem sich viele, in Levis am Apple-Laptop sitzend und Cola trinkend, gern verabschieden wollen, konkret aussehen könnte, wird wenig antizipiert. Mit der russischen Front in der Ostukraine rückt solch ein Gegenentwurf näher.

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