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Trümmer in Gaziantep. Nur wenige Häuser neben jenem, in dem Sarah Bussemann wohnt, ist eines eingestürzt.

© privat / Sarah Bussemann

Deutsche berichtet aus Gaziantep : Wenig Brot, kaum Schutz und permanent rumort es

Im türkischen Gaziantep ist die Situation nach dem verheerenden Erdbeben weiter angespannt. Die gebürtige Kölnerin Sarah Bussemann schildert ihre Eindrücke.

Die Unsicherheit sei überall spürbar, die Stimmung angespannt. So beschreibt Sarah Bussemann die Lage in Gaziantep am Mittwoch gegenüber dem Tagesspiegel. Noch immer rumore es permanent, die Nachbeben seien weiter stark, sagt die 36-Jährige, die gebürtig aus Köln kommt und seit genau einem Jahr in der Stadt im Südosten der Türkei lebt.

Nur rund 70 Kilometer von der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt unweit der syrischen Grenze entfernt, in der türkischen Provinz Kahramanmaraş, befand sich das Epizentrum des verheerenden Erdbebens, das am Montagmorgen die Türkei und Syrien erschütterte. Mehr als 11.000 Menschen haben bei der Katastrophe ihr Leben verloren. Und noch immer werden viele Menschen vermisst. Fieberhaft suchen Helfer nach verschütteten Menschen. Auch aus Deutschland trifft erste Unterstützung ein.

Gaziantep erreichten am Mittwoch 50 Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW). Ihre Aufgabe sei es, verschüttete Menschen zu orten, zu retten und erstzuversorgen, sagte der Sprecher des THW-Landesverbandes Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Michael Walsdorf, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Mainz.

Nach der Landung am Morgen würden sie zunächst Fahrzeuge beladen und dann in ihr Einsatzgebiet fahren. Das Team habe vier Rettungshunde und rund 16 Tonnen Ausstattung dabei. Dazu gehöre auch schweres Gerät wie Betonkettensägen.

Das Brot wird knapp

Derweil bilden sich in Gaziantep vielerorts lange Schlangen vor den Bäckereien. Es sei kaum mehr möglich, an Brot zu gelangen, sagt Sarah Bussemann. Auch suchten die Menschen weiter Schutz. In ihre Häuser dürfen und wollen die Menschen nicht mehr zurück, sagt sie. Zu groß ist die Einsturzgefahr.

Menschen stehen Schlange vor einer Bäckerei in Gaziantep. 

© privat / Sarah Bussemann

Auch gebe es kein Gas mehr. Die Menschen könnten weder heizen noch hätten sie warmes Wasser. Deshalb würden sie nach behelfsmäßigen Lösungen suchen, um vor allem nachts der Kälte zu entkommen, erzählt sie. Manche flüchteten ins Auto, weil es dort eine Heizung gebe. Andere bauten sich aus Planen Unterstände in den Parks und machten Feuer. Wieder andere strömten in Restaurants, wo teilweise Suppe und Tee ausgegeben würden.

Sie selbst sei am Mittwoch kurzzeitig in ein Hotel geschickt worden, das für sicher befunden wurde, sagt Sarah Bussemann. „Allerdings ein hohes Gebäude, wo die Schwankungen stark spürbar sind.“ Sie sei daher wieder dorthin zurückgegangen, wo sie auch vorher schon Unterschlupf gesucht hatte: in eines der Büros ihres Arbeitgebers, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag der Bundesregierung an vielen Orten der Welt Entwicklungshilfe leistet.

Die 36-jährige Sarah Bussemann, gebürtig aus Köln, lebt seit einem Jahr in Gaziantep. 

© privat / Sarah Bussemann

In den Büros der GIZ gebe es noch Strom, warmes Wasser und Internet. Mit ihr harrten dort zwischenzeitlich auch ein Großteil der GIZ-Belegschaft und deren Familien aus. „Wir haben uns einen Panic Room mit Matratzen und Decken eingerichtet. Es ist ein bisschen wie ein Feldlager. Wir liegen alle kreuz und quer auf dem Boden herum – mit den Decken, die wir normalerweise nach Syrien in die Flüchtlingscamps schicken“, sagte Sarah Bussemann bereits am Dienstagabend. Vermisste gebe es in ihrem Umfeld glücklicherweise nicht.

„Ich habe überall Leute schreien und weinen gehört“

Das erste und schwerste Erdbeben schildert sie so: „Ich bin buchstäblich aus dem Schlaf gerissen worden um etwa viertel nach vier in der Nacht. Es war so ein heftiges Beben direkt von Anfang an. Es hat sich nicht angekündigt, es war auf einen Schlag ein unglaubliches Rumoren.“

Sofort sei ein riesiges Chaos ausgebrochen. „Ich wohne in einem fünfstöckigen Gebäude und habe überall Leute schreien und weinen gehört, weil das Haus extrem gewankt hat. Ich habe tatsächlich in dem Moment gedacht, dass es vorbei ist und dass es wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt“, sagt Sarah Bussemann.

Ich habe tatsächlich in dem Moment gedacht, dass es vorbei ist und dass es wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Sarah Bussemann, Bewohnerin von Gaziantep

Sie habe gelesen, dass das erste Erdbeben anderthalb Minuten gedauert habe. Doch für sie habe es sich „unglaublich lang angefühlt“. Sie und die anderen Bewohner des Hauses seien auf die Straße gerannt. „Ich spreche leider kein Türkisch. Das heißt, ich war ziemlich verloren“, sagt sie.

Draußen sei es sehr kalt gewesen und der Schneeregen habe die Lage noch einmal verschlimmert. „In meiner Naivität und weil ich nicht an wichtige Dinge gedacht hatte, bin ich noch mal zurück gegangen in den vierten Stock, um meinen Pass, mein Handy, Geld und was Wärmeres zum Anziehen zu holen“, sagt sie. Und in dem Moment, vielleicht 15 Minuten später, habe das erste Nachbeben eingesetzt. „Das war vielleicht nicht ganz so stark, aber immer noch sehr intensiv. Zumal, wenn man eh nicht weiß, was los ist. Ich war voller Panik.“

Mit Bussen nach Ankara

Danach sei die große Warterei losgegangen. Viele seien mit ihren Autos weggefahren, permanent hätten Sirenen geheult. Über Stunden hätten sie inmitten des Chaos ausharren müssen. Nur wenige Wohnhäuser neben ihrem sei derweil eines eingestürzt. „Die Bedrohung hat sich immer noch sehr nah angefühlt“, erzählt sie.

Auch die Zitadelle, ein Wahrzeichen von Gaziantep, sei zusammengebrochen, ebenso wie viele Gebäude in der Altstadt. Gebraucht würden deshalb weitere professionelle Hilfe für Bergungsarbeiten und auch Unterkünfte für die vielen Menschen ohne Obdach. „In meinem Haus sind überall Kacheln abgesprungen und es sind Risse im Gebäude. Aber man kann es sich nicht so vorstellen, dass ganze Straßenzüge verschwunden sind“, sagt Sarah Bussemann.

Seit Mittwoch weiß Sarah Bussemann zumindest, wie es weitergehen soll. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sollen mit Bussen nach Ankara gebracht werden. Offenbar, sagt sie, sei die Verbindungsstraße zur türkischen Hauptstadt sicher genug.

In Ankara bekämen sie Unterkünfte gestellt, hieß es. Doch sie spiele auch mit dem Gedanken, nach Berlin zu fliegen. Letztlich, sagt sie, müsse sie die Dinge ja ohnehin auf sich zukommen lassen.

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