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Am Tag nach der Wahl sagt die künftige Premierministerin „Danke, Italien“.

© dpa/Oliver Weiken

Ein Jahr Meloni: Mussolinis Nachfahren regieren durch

Vor einem Jahr wählte Italien – und zum ersten Mal wurde nicht nur eine Frau, sondern auch eine Postfaschistin Ministerpräsidentin. Europa scheint inzwischen weniger besorgt. Aber Italien?

Als am Abend des 25. September das Ergebnis der Parlamentswahl feststand, wurden die schlimmsten Befürchtungen linker, liberaler, aber auch konservativer antifaschistischer Italiener.:innen wahr. Und ein alter Traum der extremen Rechten: Exakt hundert Jahre nach Mussolinis „Marsch auf Rom“, dem Beginn der faschistischen Herrschaft, war die Generation seiner Enkel zurück an der Macht.

Eine Frau, deren Partei ausdrücklich in dieser Vergangenheit wurzelt und sich immer wieder positiv darauf bezieht, wurde sogar Ministerpräsidentin: Giorgia Meloni, Mitgründerin und Parteichefin der Fratelli d’Italia, einer der – trotz Verbots in Italiens Nachkriegsverfassung – etlichen Nachfolgeformationen von Mussolinis „Faschistischer Partei“.

Das westliche Ausland scheint mit dieser Entwicklung seither seinen Frieden gemacht zu haben: Berühmt wurden die Bilder des US-Präsidenten, der „Giorgia“ beim Durchschreiten der Kamerareihen beim USA-Besuch väterlich an die Hand nahm.

Gut Freundin mit Biden und von der Leyen

Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen stellt ihr gutes Einvernehmen mit der römischen Kollegin gern aus, kürzlich reisten die beiden zur Unterschrift unter einen Anti-Migrations-Vertrag zu Tunesiens Machthaber Kais Saied. Und nicht zuletzt die Finanzwirtschaft scheint zufrieden damit, dass Meloni, die mit Polemik gegen die EU-Schuldenregeln groß wurde, sie jetzt nicht mehr infrage stellt.

Europa merke, dass sie und ihre Regierung „keine Ungeheuer“ seien, stellte die Premierministerin befriedigt fest. Und Italien? Da sieht man die Dinge ein wenig anders: „Ein schwarzes Jahr“ überschreibt die linksliberale römische „Repubblica“ ihren Sonderteil über ein Jahr mit Meloni.

Und das ist ein doppelt vernichtendes Urteil. Jenes Schwarz, ähnlich dem NS-Braun, würde Meloni gern los. Ihre Selbstdefinition ist die einer europäischen Konservativen wie andere. Wenn es nach ihr ginge, würde ihr Projekt der Normalisierung gekrönt von der Aufnahme der FdI in die europäische konservative Familie, die sich im EU-Parlament in der EVP-Fraktion organisiert.

Aber auch der konservative und wirtschaftsnahe „Corriere della sera“ stellt der Mannschaft aus FdI, rechtsradikaler Lega und Forza Italia des verstorbenen Silvio Berlusconi kein schönes Zwischenzeugnis aus: „Kein einziges Tor“ sei gefallen, konstatiert das Blatt aus Mailand.

Erfolge nur in der Identitätspolitik

Kein Versprechen erfüllt – weder in der Migrations- noch in der Steuerpolitik. Dazu komme ein „Null-Komma-Wachstum“. Das Land komme unter dieser Regierung „nicht voran“.

Meloni und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Lampedusa.
Meloni und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Lampedusa.

© AFP/Ansa/Handout

„In der Migrationspolitik hoffte ich, wir würden besser sein“, gab Meloni in ihrer Bilanz dieses Jahres selbst zu. Womit sie mehr Erfolge in der Abwehr von Migrant:innen meinte. Italien mit seinen 7000 Kilometer Küste möglichst dicht gegen unerlaubten Zustrom von außen zu machen, war zentraler Punkt ihres Wahlkampfs, vor allem ihres zweitgrößeren Partners, des Lega-Vorsitzenden und Ex-Innenministers Matteo Salvini.

Die wahren Erfolge ihrer Politik sind tatsächlich auf dem Felde zu sehen, das jene Herkunft ihrer Partei verrät, die sie gern vergessen machen will, ohne sich jedoch von ihr distanzieren, um die alt- und postfaschistische Kernklientel nicht zu vergrätzen.

Da folgt sie der ersten Formation, dem MSI, Sammelbecken der Reste der untergegangenen Diktatur, der 1948 die Parole ausgab: „non rinnegare, non restaurare“. Will sagen: Man wolle den Faschismus zwar nicht wieder zurück, aber werde ihm auch nicht abschwören.

Selbst die Kirche kritisierte den Umgang mit Regenbogenkindern

Dessen autoritärem Erbe entsprach bereits die erste Maßnahme der Regierung kurz nach ihrem Amtsantritt im Oktober 2022: Da diente eine Rave-Party in einem verlassenen Lagerhaus in der Emilia-Romagna nahe Modena dazu, Versammlungen von mehr als fünfzig Personen zu verbieten – das womöglich älteste demokratische Recht der Welt. Es musste später abgemildert werden.

Es folgte eine Welle weiterer Kriminalisierungen: Nicht fern vom europäischen Mainstream, aber noch härter stellte das Kabinett im Frühjahr Fluchthilfe unter Strafe, nachdem vor Kalabrien ein Boot mit etwa 200 Migrant:innen zerschellte und die meisten starben. Gleichzeitig sollte erlaubte Arbeitsmigration leichter werden.

Selbst die katholische Kirche protestierte gegen die Entgrenzung der Strafen für Leihmutterschaft durch die Regierung Meloni: In Italien ist nicht mehr nur die Austragung eines Kindes für soziale Eltern oder In-vitro-Befruchtung verboten.

Auch wer dafür ins Ausland geht, muss inzwischen Strafe fürchten. Und Kinder, die auf diese Weise entstehen, sind künftig Kinder zweiter Klasse. Sie können nicht auf gleiche Rechte wie die von biologischen Eltern rechnen: Die Eintragung gleichgeschlechtlicher Elternpaare hat Rom den Kommunalverwaltungen per Runderlass verboten.

Wo der Mindestlohn als „sowjetisch“ gilt

Es sei schwer zu sagen, was diese Rechte für Italien wolle, schreiben die Autor:innen von „Repubblica“ in ihrem Rückblick auf ein Jahr Regierung Meloni: „Mehr als nach vorn scheint deren Blick rückwärts gerichtet zu sein, auf eine Vergangenheit, die es nicht mehr gibt und die es vielleicht nie gegeben hat.

Gegen eine vielfältige Gesellschaft setzt sie eine biologisch homogene Gemeinschaft, die Tatsache der Migration ist für sie ‘Umvolkung’, gegen Regenbogenfamilien beschwört sie ein Modell herauf, das der bäuerlichen Gesellschaft der 50er Jahre entlehnt zu sein scheint.“

Wobei die Regierung auf anderen Feldern auch ihrer neoliberalen Komponente entgegenkommt, vor allem Forza Italia. Die Partei wird nach dem Tod ihres Gründers Silvio Berlusconi nun von Außenminister Antonio Tajani geführt, der kürzlich den Wunsch der wie selten geeinten Opposition nach einem Mindestlohn „sowjetisch“ nannte.

Erste Ansätze von staatlicher Sozialhilfe hat die Regierung ohnehin inzwischen abgeschafft und durch bisher nicht erkennbare geringere Angebote für „Arbeitsfähige“ ersetzt, die sich weiterbilden.

Justizminister Carlo Nordio will die Abhörmöglichkeiten der Justiz einschränken, in den vergangenen dreißig Jahren ein effizientes Mittel gegen die Mafia. Und Vizepremier Salvini stellt immer einmal wieder öffentlich Amnestien für Steuerkriminelle oder neuerdings für Schwarzbauten in Aussicht.

Der Traum der lange von der Macht verbannten äußersten Rechten ist vor einem Jahr also restlos wahr geworden: Sie führt sogar die Regierung, und dies mit weiter stabilen Beliebtheitswerten, dank des „kompletten Fehlens von Alternativen“, wie der „Corriere della sera“ schreibt.

Unklar ist ein Jahr später, für wie lange noch. Gerade versucht sich Salvini, dem Melonis FdI 2022 viele Stimmen abjagte, an einem Comeback, indem er sich als den härteren Anti-Migrationspolitiker empfiehlt.

Die anhaltende Schwäche der Linken dürfte der Rechten das Regieren garantieren. Sollte Salvini aber klüger vorgehen als 2018, als er die von den fünf Sternen geführte Regierung erfolglos zu stürzen versuchte, dann könnte bald er statt Meloni in den Palazzo Chigi einziehen, den Amtssitz der Premiers. Nicht weniger extremistisch als sie, im Gegenteil.

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