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Eine Blume und ein Bild sind in Gedenken an den verstorbenen Kremlgegner Alexej Nawalny in der Nähe der russischen Botschaft in London angbracht.

© dpa/KIRSTY WIGGLESWORTH

Neue Details zum Tod von Nawalny: Was geschah im Straflager „Polarwolf“?

Ein Mitgefangener des Oppositionspolitikers spricht von einem „mysteriösen Tumult“. Nawalnys Witwe erklärte, man habe ihren Mann in einem „kleinen Betonkasten“ eingesperrt.

Der Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny schockiert noch immer die westliche Welt. Nach Behördengaben war der Kremlkritiker am Freitag in dem Straflager mit dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“ gestorben.

Demnach brach der körperlich geschwächte Nawalny nach vielen Tagen in immer wieder angeordneter Einzelhaft bei einem Hofgang in dem Lager nördlich des Polarkreises bei eisigen Temperaturen zusammen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos.

„Vor drei Tagen hat Wladimir Putin meinen Mann Alexej Nawalny getötet“, sagt nun seine Witwe Julia Nawalnaja in einer am Montag veröffentlichten Videobotschaft bei YouTube.

Eingesperrt in einem Betonkasten?

Ihr Mann sei im Straflager zu Tode gequält und gefoltert worden, indem er auch immer wieder in Einzelhaft in einem kleinen Betonkasten eingesperrt worden sei. Der Name desjenigen, der den Mord ausgeführt habe im Auftrag Putins, werde in Kürze veröffentlicht, sagte sie.

Julia Nawalnaja nach einem Treffen mit den EU-Außenministern in Brüssel.
Julia Nawalnaja nach einem Treffen mit den EU-Außenministern in Brüssel.

© dpa/DIRK WAEM

Russlandexperten, Politiker, aber auch Mitarbeiter und enge Angehörige Nawalnys gehen ebenfalls davon aus, dass sein Tod keine natürliche Ursache hatte. Nawalny war zuvor bereits Opfer eines Giftanschlags geworden, den er nur knapp überlebte. Die Liste von Kremlkritikern, die auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen sind, ist lang.

Ein Mitgefangener erzählt

Auch die oppositionelle Zeitung „Nowaja Gazeta“ versucht zu rekonstruieren, was in den Tagen um Nawalnys Tod in dem Straflager im Norden Russlands geschah.

Den Journalisten sei es demnach gelungen, mit einem der Gefangenen zu sprechen. Er erzählte, am Abend des 15. Februar - also bereits am Donnerstag - sei ein mysteriöser Tumult im Straflager entstanden.

Es begann damit, dass die abendliche Überprüfung, sie findet zwischen 20:00 und 20:30 statt, stark beschleunigt wurde.

Häftling im Straflager „Polarwolf“ gegenüber der Zeitung „Nowaja Gazeta“

„Es begann damit, dass die abendliche Überprüfung, sie findet zwischen 20:00 und 20:30 statt, stark beschleunigt wurde“, wird der Mann zitiert. Danach seien die Häftlinge auf die Baracken verteilt und angewiesen worden, sich nicht zwischen den Baracken zu bewegen. Zudem wurden demnach die Wachen verstärkt.

Dreimal seien in dieser Nacht irgendwelche Autos auf das Gelände der Haftanstalt gefahren. Am Morgen seien die Zellen gründlich gefilzt worden. Die Wärter konfiszierten Handys, Spielkarten und auch Wasserkocher, die sie zuvor bei Kontrollen stets toleriert hatten.

Aus den Gesprächen der Wärter schloss der Zeuge, dass eine Kontrolle bevorstehe - was auch außergewöhnlich war, denn für gewöhnlich erfuhr das Straflager von solchen Kontrollen übergeordneter Behörden ein, zwei Tage im Voraus.

„Von morgens an schlichen der Chosain (Kommandant) und der Kum (der operative Chef der Kolonie) wie begossene Pudel herum“, wird der Mann zitiert. Um 13 Uhr sei dann eine Reihe von Autos vorgefahren und er nahm an, dies sei eine Kommission aus Moskau. Zu diesem Zeitpunkt verbreitete sich die Nachricht vom Tod Nawalnys unter den Häftlingen.

Trauer in Russland

Unterdessen gibt es berührende Bilder aus Russland: Viele Menschen gedenken Nawalny, treffen sich hierfür an öffentlichen Plätzen. Mitten im Winter liegen etwa auf dem Platz vor der Moskauer Zentrale des Geheimdienstes FSB Berge frischer Blumen.

Anlaufpunkt der Trauernden sind Mahnmale zum Gedenken an die Opfer sowjetischer Gulags. Auf den Solowezker Inseln im Norden Russlands war 1924 das erste dieser Straflager errichtet worden - von hier aus nahm das Gulag-System seinen Ausgang und legte sich wie ein Krebsgeschwür über das Land.

Menschen legen in Moskau Blumen für Nawalny an einem großen Felsblock von den Solowezki-Inseln nieder, wo das erste Lager des politischen Gefängnissystems Gulag eingerichtet wurde.
Menschen legen in Moskau Blumen für Nawalny an einem großen Felsblock von den Solowezki-Inseln nieder, wo das erste Lager des politischen Gefängnissystems Gulag eingerichtet wurde.

© dpa/Dmitry Serebryakov

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden unter anderem von den Inseln stammende Findlinge aufgestellt, um an die Gräueltaten zu erinnern. Auch in Moskau stehen zwei der Gedenksteine: Einer von ihnen ist 1,75 Meter hoch und genauso hoch lagen nach dem Tod Nawalnys die Blumen zeitweise in vielen Schichten übereinander.

Eine Frau betet, nachdem sie Blumen niedergelegt hat, um Nawalny die letzte Ehre zu erweisen.
Eine Frau betet, nachdem sie Blumen niedergelegt hat, um Nawalny die letzte Ehre zu erweisen.

© dpa/Alexander Zemlianichenko

Es braucht großen Mut, dieses Zeichen zu setzen: Die Moskauer Polizei versucht fieberhaft, die Protestwelle abzuwürgen. An der „Mauer der Trauer“ am Sacharow-Prospekt, wenige Kilometer vom Solowezki-Stein entfernt, sind rasch Polizeiposten platziert worden. Unweit stehen ein Gefangenentransporter und ein Fahrzeug der Nationalgarde, um die Trauernden abzuschrecken.

Menschen gedenken Nawalnys an der „Mauer der Trauer“ in Moskau.
Menschen gedenken Nawalnys an der „Mauer der Trauer“ in Moskau.

© dpa/Dmitry Serebryakov

Mehr als 400 Menschen verhaftet

Viele Menschen trotzen den bedrohlichen Aufzügen der Sicherheitsorgane. Über 400 Männer und Frauen sind in 36 Städten inzwischen verhaftet worden. Ihnen droht, in Schnellverfahren zu Gefängnisstrafen bis zu zwei Wochen verurteilt zu werden. Doch auch die Gegner Nawalnys sind aktiv. In Jaroslawl zerstörten sie eine Gedenktafel für den Putin-Gegner.

Die Mutter Nawalnys fordert bislang vergeblich die Herausgabe des Leichnams ihres Sohnes. Er soll sich in der Leichenhalle der nordrussischen Kleinstadt Salechard befinden. Die Mutter wurde am Montagmorgen nicht vorgelassen. Am Montag erklärte die verantwortliche Behörde, die Frist für die Ermittlung der Todesursache werde verlängert.

Iwan Shdanow, der Chef von Nawalnys Stiftung zur Korruptionsbekämpfung, nennt das Verhalten der Behörden Hinhaltetaktik. So seien sie auch nach der Vergiftung Nawalnys 2020 vorgegangen, schreibt Shdanow auf Telegram. „Sie wollen die Spuren ihrer Tat beseitigen und warten, bis die Welle der Proteste abebbt.“

Auch der Kreml verfährt nach bekanntem Muster. Putin-Sprecher Dmitri Peskow, gefragt nach der Herausgabe des Leichnams, erklärte: „Damit beschäftigen wir uns nicht. Das gehört nicht zu den Funktionen der Präsidialverwaltung.“

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