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Tumultartige Szenen im Parlament, das nicht über die Rentenreform entscheiden darf.

© action press/Jacques Witt/SIPA

Politische Katastrophe in Frankreich: Macron ist kein Reformer mehr, sondern ein Zertrümmerer

Macron setzt die umstrittene Rentenreform durch – ohne Mehrheit in der Nationalversammlung und gegen den Willen der Bevölkerung. Die politischen Kosten dürften enorm sein.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Es ist eine politische Katastrophe: Über die umstrittene französische Rentenreform wird nicht in der Nationalversammlung abgestimmt, weil die Regierung Angst hat, dass nicht genug Stimmen zusammenkommen.

Daher hat die Premierministerin kurz vor dem Beginn der entscheidenden Abstimmungssitzung am Nachmittag erklärt, sie werde stattdessen Verfassungsartikel 49.3 nutzen, um das Gesetz ohne Abstimmung zu verabschieden. Das ist legal, aber eine brutale Niederlage für Präsident Emmanuel Macron mit noch unabsehbaren Folgen für das französische politische und demokratische System.

Denn die Reform wird in der Bevölkerung als unsozial massiv abgelehnt, seit Wochen gibt es Massendemonstrationen und Streiks, die Gewerkschaften sind geeint wie selten zuvor. Und nun wurde ausgerechnet dieses umstrittene und verhasste Gesetz auch noch an den Abgeordneten vorbei verabschiedet, weil es dort keine sichere Mehrheit gibt?

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Nur Le Pen kann sich die Hände reiben

Der Vorgang kann das Vertrauen der Franzosen in die Demokratie und die Institutionen nur massiv erschüttern. Die Hände reiben kann sich Marine le Pen und ihre rechtsextreme Partei: Zwar hat sie sich in der gesamten Debatte sehr zurückgehalten, weil sie keine schlüssigen Positionen hat.

Aber die Angst ist absolut nicht unbegründet, dass sie bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 davon profitiert und in den Élysée-Palast einzieht. Dazu hätte Macron dann aktive Beihilfe geleistet. Das Argument, er müsse aus Schutz der Staatsfinanzen das Rentengesetz durchboxen, wirkt da hilflos und die absolute Notlage wird von vielen Experten als unbegründet angesehen.

Premierministerin Borne dürfte das Debakel eigentlich nicht überleben.

Andrea Nüsse

Macron selbst sitzt fest im Amt, Premierministerin Borne dürfte das Debakel eigentlich nicht überleben: Sie war als angeblich gute Verhandlerin ins Amt gekommen, hat aber durch schlechte Kommunikation und Umgang mit den Sozialpartnern die extreme Polarisierung um das Projekt herum nicht verhindern können.

Es wird wohl Misstrauensanträge gegen die Regierung geben, Marine Le Pen hat ihren bereits angekündigt, die Borne aber überleben könnte. Denn wenn die Republikaner nicht gegen die Regierung stimmen – und das haben sie schon angekündigt - dürfte es keine absolute Mehrheit dafür geben. Aber eigentlich muss sie selbst zurücktreten. Denn wie Borne weiter mit dem vergrätzten Parlament, wo sie über keine Mehrheit verfügt, arbeiten will, ist ein Rätsel.

Die Republikaner sind keine Partner

Lamentabel ist auch das Agieren der Republikaner, deren Parteiführung die Rentenrefom unterstützt. Die konservative Partei hat in den vergangenen Wochen die Premierministerin vor sich hergetrieben und ständig neue Änderungen am Gesetz verlangt, der sie jeweils bekommen haben.

Aber zu viele Abweichler, die der Parteichef nicht unter Kontrolle hat, haben jetzt mit dafür gesorgt, dass es nicht zur Abstimmung kommt. Das war ein unwürdiges Spektakel und damit ist diese Partei wohl auch noch lange mit sich selbst beschäftigt und ein Ausfall für das politische System. Aber es wird nicht funktionieren, den Republikanern nun die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben.

Es kann gut sein, dass es nun zu chaotischen Zuständen kommt: Die Gewerkschaften wollen weiterkämpfen, es könnte auch zu unkontrollierten Aktionen kommen. Denn der Frust vieler Franzosen ist enorm: Sie haben Macron beim zweiten Mal nur gewählt, um Marine le Pen zu verhindern. Es war dezidiert keine „carte blanche“ für so weitreichende, als ungerecht empfundene Sozialreformen.

Diese Krise hat Frankreich bereits tief erschüttert und könnte zu einer Verfassungskrise werden. Denn es ist längst überfällig, die französische Verfassung zu ändern: Artikel 49.3 gehört abgeschafft.

Er erlaubt der Regierung, die Verantwortung vor dem Parlament für Finanzgesetze oder die Finanzierung der Sozialversicherung zu übernehmen – womit sie als angenommen gelten. So autoritär durchzuregieren, wenn man keine eigene Mehrheit mehr hat, geht nicht. Die Rechnung dafür könnte ausgesprochen hoch werden.   

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