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Mitglieder der Ezzedine-al-Qassam-Brigaden, dem militärischen Flügel der palästinensischen Hamas-Bewegung.

© IMAGO/APAimages/IMAGO/Majdi Fathi \ apaimages

Raketen, Drohnen, seltene Granaten : Wie konnte die Hamas ein solches Waffen-Arsenal aufbauen?

Mit Tausenden Raketen, Flugkörpern, Drohnen und Kleinwaffen griff die Hamas Israel aus einer Enklave an. Laut Experten gelang dies durch Schmuggel, Improvisation und Unterstützung aus dem Iran.  

Sie griffen über Land, Wasser und zu Luft an – die Attacke der radikal-islamistischen Hamas traf Israel unvorbereitet und überraschend. Viel wird seither diskutiert, über die Köpfe hinter dem Angriff, die Struktur und den Aufbau der Terrororganisation, die seit 2007 den Gaza-Streifen beherrscht und kontrolliert.

Ein sehr dicht besiedeltes Gebiet ohne große Ressourcen – mehr oder weniger abgeschnitten von der Welt. Was nun auch die Frage aufwirft: Wie konnte die Hamas ein derartiges Arsenal an Waffen anhäufen? Und an denen es wohl noch nicht mangelt – die Kämpfe dauern an.

Sowohl der Hamas als auch der Palästinensischen Autonomiebehörde fehlt es an schwerer militärischer Ausrüstung, obwohl die Hamas über ein beträchtliches Arsenal an improvisierten Raketen und Mörsern sowie über einige tragbare Lenkwaffen verfügt, ist im aktuellen „Military Balance“-Bericht 2022, den das International Institute for Strategic Studies herausgibt, zu lesen.

Weiters heißt es: Es gebe keine offizielle Verteidigungsindustrie, allerdings besitze die Hamas leichte oder improvisierte Waffen, die entweder nach Gaza geschmuggelt oder vor Ort hergestellt werden.

Im World Factbook der CIA ist ebenfalls zu lesen: „Die Hamas erwirbt ihre Waffen durch Schmuggel oder lokale Herstellung und erhält einige militärische Unterstützung aus dem Iran.“

Über den genauen Umfang des Waffendepots ist allerdings nichts bekannt. Nur so viel wird von verschiedenen Quellen gemutmaßt: Die Waffen stammten aus Syrien, dem Iran, Libyen und anderen Ländern des Nahen Ostens, Kleinwaffen auch aus China und dem ehemaligen Ostblock.

Darauf deuten etwa auch Aufnahmen von der Panzerabwehr-Granate vom Typ PG-7VR Resume hin, die laut dem Fachmagazin „Defense Express“ im Internet zu sehen waren. Dieser Granatenwerfer war zunächst in der ehemaligen UdSSR im Einsatz, später ab 2015 in Syrien.

Know-how und Ausbildung aus dem Iran

Zur Rolle Irans gibt es derzeit keine Hinweise auf eine direkte Beteiligung an dem Angriff, ließ US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Dienstag wissen. Teheran sei zwar seit Jahren ein wichtiger Unterstützer der Hamas – „aber in diesem konkreten Fall haben wir keinerlei Belege dafür, dass es eine direkte Beteiligung bei der Planung oder Ausführung dieses Angriffs gab“.

Ähnliches erklärte auch Jake Sullivan, der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, wies aber darauf hin, dass es noch zu früh sei für endgültige Schlussfolgerungen.

Der Iran hat der Hamas auch bei der Herstellung eigener Waffen geholfen und sie in die Lage versetzt, ihr eigenes Waffenarsenal aufzubauen.

Daniel Byman, Center for Strategic and International Studies 

Für einige Experten bestehen dagegen keine Zweifel, was die Unterstützung des Irans mit Geld und Waffen betrifft. „Die Hamas hat Waffen aus dem Iran erhalten, die durch Tunnel in den (Gaza-)Streifen geschmuggelt wurden. Dazu gehörten oft auch Systeme mit größerer Reichweite“, sagte Daniel Byman, Senior Fellow des Transnational Threats Project am Center for Strategic and International Studies (CSIS) laut dem Nachrichtenportal des US-Senders CNN.  

Die Waffen seien durch geheime grenzüberschreitende Tunnel oder über Boote, die der Blockade des Mittelmeers entkommen sind, in die Enklave geschmuggelt worden, so Byman.

Israelische Baugeräte legen an der Grenze zwischen Gaza und Israel einen Tunnel frei, der vom Gazastreifen unter dem Sicherheitszaun hindurch gegraben wurde.
Israelische Baugeräte legen an der Grenze zwischen Gaza und Israel einen Tunnel frei, der vom Gazastreifen unter dem Sicherheitszaun hindurch gegraben wurde.

© picture alliance/dpa

Er will auch von iranischer Unterstützung bei der Waffenproduktion wissen. „Der Iran hat der Hamas auch bei der Herstellung eigener Waffen geholfen und sie in die Lage versetzt, ihr eigenes Waffenarsenal aufzubauen“, wird Byman zitiert.

Angelernt und geschult wurden die Waffeningenieure der Hamas offenbar von einer Abteilung des iranischen Militärs. Dies glaubt Charles Lister, Senior Fellow am MEI, zu wissen, den CNN ebenfalls zitiert. „Der jahrelange Zugang zu fortschrittlicheren Systemen hat den Hamas-Ingenieuren das nötige Wissen vermittelt, um ihre heimischen Produktionskapazitäten erheblich zu verbessern“, sagt Lister.

Der französische Nahost-Experte David Rigoulet-Roz stellt ebenfalls einen „Transfer von Waffen und Know-how“ aus dem Iran fest, der es der Hamas ermöglicht hätte, lokal zu produzieren, sagt er dem Radiosender France Info.

Raketen aus Wasserrohren

Bleibt noch die Frage, wie die Rohstoffe dazu in ihre Werkstätten gelangen kommen. Dabei sollen die Hamas-Ingenieure offenbar auch Eisenschrott und Metall aus früheren Kämpfen im Gazastreifen nutzen. Diese Theorie stammt von Ahmed Fouad Alkhatib, der 2021 für das Fikra-Forum des Washington Institute for Near East Policy darüber schrieb.

Blech- und Metallrohre oder elektrische Leitungen würden so zu Raketenrohren oder anderen Sprengkörpern gebaut werden. Dies zeigt die Hamas auch stolz in einem Propagandavideo, das in sozialen Netzwerken kursiert. Darauf zu sehen: Vermummte Männer in Tarnuniform, die Wasserrohre ausgraben, sie dann in einer Schmiede zu Raketen umbauen und anschließend abfeuern.

Raketen werden von militanten Palästinensern in Gaza auf Israel abgefeuert.
Raketen werden von militanten Palästinensern in Gaza auf Israel abgefeuert.

© dpa/Mahmoud Issa

Damit alleine wird es ihnen aber nicht gelungen sein, ein derartiges Waffenarsenal aufzubauen. Mit Beginn der Attacke am Samstagmorgen feuerte sie alleine bis Montag fast 4000 Raketen ab. Es bedurfte langer Vorbereitung und Planung, sind sich sämtliche Analysten einig.

Die Hamas selbst rühmt sich derweil mit ihren Fähigkeiten. Glaubt man den Darstellungen des Hamas-Beamten Ali Baraka ist es der Gruppe gelungen, die Produktion massiv anzukurbeln. „Wir haben lokale Fabriken für alles, für Raketen mit einer Reichweite von 250 Kilometer, für 160 Kilometer, 80 Kilometer und zehn Kilometer. Wir haben Fabriken für Mörser und deren Granaten. Wir haben Fabriken für Kalaschnikows (Gewehre) und deren Kugeln. Wir stellen die Kugeln mit der Erlaubnis der Russen her. Wir bauen sie in Gaza“, sagt Baraka.

Die Aussagen stammen aus einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender RTArabic, das am Sonntag auf der Website des russischen Propagandasenders „Russia Today“ veröffentlicht wurde. Die Echtheit seiner Aussagen kann nicht unabhängig überprüft werden.

Dass die Terrororganisation zumindest einige Raketen selbst herstellt, glaubt auch Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London. „Die richtig guten und modernen Raketen mit einer Reichweite bis nach Jerusalem stammen aber aus dem Iran“, sagt er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Zum modernen Waffenarsenal gehören wohl auch die Drohnen, die laut dem US-Experten John Spencer jenen aus dem Iran ähneln, die von den russischen Streitkräften in der Ukraine eingesetzt werden. Sie wurden in den jüngsten Kämpfen in den Städten in weitaus größerem Umfang eingesetzt als bisher, schreibt Spencer in seiner Analyse für die Militärakademie Modern War Institute in Westpoint.

Mit Blick auf die angekündigte Bodenoffensive der israelischen Streitkräfte sieht er Herausforderungen, die deutlich schwerwiegender sein werden als die, mit der Israel in der Vergangenheit in der städtischen Kriegsführung konfrontiert war. (mit Agenturen)  

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