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In Italien wird man sich des Sexismus-Problems bewusster.

© imago/ZUMA Press / Christian Minelli

Sexualisierte Übergriffe beim Film: MeToo-Debatte kommt auch in Italien an

Fünf Jahre nachdem in den USA sexualisierte Übergriffe in der Filmbranche bekannt wurden, öffnen sich nun auch italienische Schauspielerinnen.

Die sexualisierte Gewalt machte auch vor Minderjährigen nicht halt. Die Sizilianerin Pamela Villoresi war erst 15 Jahre alt, ein hübsches Mädchen, wie sie selber sagt, und sie wollte unbedingt zum Film. „Die Produzenten hörten mir beim Vorsprechen zwei Minuten zu, dann sagten sie mir, ich solle mich ausziehen“, sagt die heute 66-jährige Direktorin des Teatro Biondo in Palermo.

Natürlich sei sie gleich weggelaufen, aber Ähnliches sei ihr im Lauf ihrer Karriere immer wieder passiert. Sie sei mehrmals zur Polizei gegangen, um die Täter anzuzeigen. „Sie haben mir nicht geglaubt. Sie sagten mir, ich solle Tonaufnahmen von den Übergriffen machen. Aber ich war noch jung, ich hatte Angst, diesen Männern alleine nochmals zu begegnen.“

Pamela Villoresi ist eine von dutzenden Schauspielerinnen, die nun, mehr als fünf Jahre nach dem Auffliegen des Skandals rund um die sexualisierten Übergriffe des Hollywood-Filmproduzenten Harvey Weinstein in den USA, von analogen Nötigungen, Einschüchterungen und vom verbreiteten Sexismus in der italienischen Film- und Theaterszene berichten.

Eine andere ist die Schauspielerin und Regisseurin Susanna Nicchiarelli. „Italien ist teilweise immer noch eine patriarchalische und männliche Gesellschaft, und im Filmbusiness ist diese Haltung der generelle Mainstream“, sagt sie. Wenn eine Frau belästigt werde, dann herrsche immer noch die Meinung vor, dass es die Frau war, die die sexualisierten Übergriffe provoziert habe. Die jungen Schauspielerinnen wüssten ja, wie die Gepflogenheiten in dieser Branche seien, und sie sollen sich nicht so anstellen.

Als in den USA gegen Ende 2017 Schauspielerinnen die MeToo-Debatte ins Rollen brachten, war Asia Argento noch fast die Einzige, die sich in Italien der Bewegung anschloss. Auch sie war 1997 zu einem Opfer Weinsteins geworden.

Die Folge meiner Anzeige war ein medialer Tsunami.

Asia Argento

Statt Solidarität erfuhr die heute 47-jährige Schauspielerin in Italien vorwiegend Ablehnung und Hass. „Die Folge meiner Anzeige war ein medialer Tsunami“, sagt Argento, die von den Medien das erfuhr, was „victim blaming“ genannt wird. „Es hieß, ich hätte ja nein sagen können, und ich hätte die Anzeige nur gemacht, um öffentliche Bekanntheit zu erlangen.“ Dabei habe sie 16 Jahre Psychotherapie benötigt, um die Gewalterfahrung zu verarbeiten.

Doch nun scheint man sich auch in Italien des Problems bewusster zu werden: Zwei Organisationen von Schauspielerinnen, „Amleta“ und „Differenza Donna“, haben in den vergangenen zwei Jahren über 200 Meldungen von Kolleginnen gesammelt, die ebenfalls Opfer von sexualisierter Gewalt, Belästigungen, Übergriffen, Drohungen, unwillkommenen Komplimenten und Einladungen geworden sind. „Die Übergriffe sind flächendeckend, es ist völlig intolerabel“, sagte die Präsidentin von „Amleta“, die Schauspielerin Cinzia Spanó, am Montag in Rom.

Auch Italiens erfolgreichste Influencerin wehrt sich gegen Sexismus

Und auch die mit 27 Millionen Followern erfolgreichste Influencerin Italiens, Chiara Ferragni, will den Sexismus in der italienischen Gesellschaft nicht mehr hinnehmen. Als Co-Moderatorin des Schlagerfestivals von San Remo will sie vor allem junge Frauen für das Thema sensibilisieren und ihnen Mut machen, Übergriffe anzuzeigen.

Ein Problem für sich sind in Italien die privaten TV-Kanäle von Silvio Berlusconi. Der Ex-Premier, der mit seinen Bunga-Bunga-Sexpartys Schlagzeilen machte, hatte schon in den Neunzigerjahren den Ton und die Umgangsformen vorgegeben. „Auf dem Set eines von Mediaset produzierten Spielfilms entdeckte ich mehrere Wohnwagen, in denen sich Minister und Abgeordnete mit Schauspielerinnen trafen“, sagt die Regisseurin und Drehbuchautorin Roberta Lena. „Eine junge Kollegin sagte mir, man müsse mit mindestens zwei Abgeordneten ins Bett gehen, wenn man Karriere machen wolle.“

Zumindest die Wählerinnen und Wähler der Forza Italia reagieren auf die Übergriffe bis heute mit einem Schulterzucken – ansonsten wäre Berlusconi als Politiker längst in der Versenkung verschwunden und nicht unverzichtbarer Koalitionspartner von Regierungschefin Giorgia Meloni.

Beim Staatssender RAI, dem größten Kulturunternehmen Italiens, ist die Situation nicht viel besser als bei Mediaset. „Die Funktionäre waren jahrelang gezwungen, die Rollen mit den Gespielinnen der Politiker zu besetzen, statt mit den Schauspielerinnen, die von den Regisseuren ausgewählt wurden“, sagt Pamela Villoresi.

Die Vorwürfe betreffen Vorkommnisse, die mehrere Jahre zurückliegen, doch der Sexismus beim nationalen Sender spiegelt sich auch heute noch in der Führungsetage wider, wo die Männer drei von vier Chefsesseln besetzen. Der „gender gap“ manifestiert sich auch in den RAI-Eigenproduktionen: Nur 37 Prozent der Rollen wurden noch 2021 weiblich besetzt – und das meist entlang der gängigen Stereotypen: als Hausfrauen oder Pflegerinnen.

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