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Proteste gegen die Justizreform in Tel Aviv.

© Imago/Action Press/ZUMA Press Wire / Zuma Press

Streik, ziviler Ungehorsam, Anrufung des Gerichts: Gegner der sogenannten Justizreform geben nicht auf

Ehemaliger Ministerpräsident Olmert ruft zu zivilem Ungehorsam auf. Der Oberste Gericht könnte über sein eigenes Schicksal entscheiden. Dann wäre allerdings die Staatskrise perfekt.

Nach der Verabschiedung des ersten Elements der geplanten Justizreform in Israel am Montag tragen deren Gegner den Streit nun zum Gericht: Die „Bewegung für gute Regierungsführung“, eine Nichtregierungsorganisation, reichte noch am selben Abend eine Petition dagegen im Obersten Gericht ein. Oppositionsführer Yair Lapid will es ihr eigenen Angaben zufolge in den kommenden Tagen gleichtun.

Das umstrittene Gesetz schafft die sogenannte Angemessenheits-Klausel ab, auf dessen Grundlage das Oberste Gericht bislang Entscheidungen gewählter Politiker prüfen und wenn nötig annullieren konnte. Bei der Formierung der rechts-religiösen Regierung Ende des Jahres hatte das Gericht diesen Standard genutzt, um die Nominierung des wegen Steuervergehen verurteilten Politikers Arye Deri zum Innenminister zu verhindern.

Die Abschaffung der Angemessenheits-Klausel ist indes nur ein Element eines ganzen Reformpakets, mit dem die Regierung das Verhältnis zwischen den Gewalten zugunsten der Exekutive verändern will. Während die Befürworter der Reform das Oberste Gericht für zu mächtig halten, sehen Kritiker in den Plänen eine Gefahr für die demokratische Gewaltenteilung.

Schwerer Schaden für Gewaltenteilung

Das neue Gesetz ergänzt ein existierendes Grundgesetz, welches das Verhältnis von Justiz und Regierung festschreibt. Die Grundgesetze stehen in Israel stellvertretend für eine Verfassung, können allerdings wie gewöhnliche Gesetze mit einer einfachen Mehrheit im Parlament beschlossen werden.

Es besteht eine gute Chance, dass das Gericht eingreift, aber es ist wirklich schwer zu sagen.

Yaniv Roznai von der Reichman-Universität in Herzliya

In ihrer Petition argumentiert die „Bewegung für gute Regierungsführung“, dass die neue Regelung den Grundgesetzen widerspricht, da es „die Grundstruktur der israelischen parlamentarischen Demokratie und den Charakter des Systems grundlegend verändert, während es gleichzeitig die Judikative de facto abschafft und dem empfindlichen Gefüge der Gewaltenteilung und der Balance zwischen den Gewalten schweren Schaden zufügt“, wie es in einer Mitteilung heißt.

Zudem führt die Organisation Verfahrensfehler im Gesetzgebungsprozess auf: So hätten die Abgeordneten nicht ausreichend Zeit zur Meinungsbildung gehabt.

Wie hoch die Chancen der Kläger stehen, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Zwar stoppt das Gericht hin und wieder Gesetzesinitiativen, die seiner Ansicht den Grundgesetzen widersprechen – eine Möglichkeit, die die Regierung dem Gericht mittels zukünftiger Reformen ebenfalls nehmen will. In die Verabschiedung eines Grundgesetzes dagegen hat es sich noch nie eingemischt.

Haltung des Gerichts „schwer vorherzusagen“

Rechtsexperten äußerten sich in israelischen Medien denn auch zurückhaltend. Yaniv Roznai von der Reichman-Universität in Herzliya sagte gegenüber der Zeitung Haaretz, das Gericht könnte sich darauf berufen, dass das Gesetz „Grundwerte“ wie die Gewaltenteilung verletze. „Ich denke, bei dieser extremen Version des Gesetzes besteht eine gute Chance, dass das Gericht eingreift“, sagte er der Zeitung, „aber es ist wirklich schwer zu sagen.“

Bereits mehrere Menschen wurden bei Protesten von Wasserwerfern der Polizei verletzt.

© dpa/Ilia Yefimovich

Sollte das Gericht das Gesetz tatsächlich aufhalten, ginge es in die direkte Konfrontation mit einer Regierung, die sich die Schwächung desselben auf die Fahnen geschrieben hat. Das weitere Geschehen hinge dann von der Reaktion der Regierung ab.

Es gibt in der israelischen Rechten Politiker, die schon früher offen mit dem Gedanken gespielt haben, Urteile des Gerichts zu ignorieren. So rief Amir Ohana, der heutige Parlamentssprecher und ein früherer Justizminister von der rechten Likudpartei, seinen Parteikollegen Juli Edelstein 2020 öffentlich dazu auf, eine Gerichtsentscheidung zu einer Prozedurfrage zu missachten.

Und der damalige Verkehrs- und heutige Finanzminister Bezalel Smotrich verglich das Gericht damals mit dem Coronavirus: „Wenn man sich nicht rechtzeitig darum kümmert, wächst seine Macht exponentiell.“

Wenn man sich nicht rechtzeitig [um das Gericht] kümmert, wächst seine Macht exponentiell.

 Bezalel Smotrich, ehemaliger Verkehrs- und Finanzminister

Seitdem hat sich die feindselige Rhetorik gegenüber der Justiz in Teilen der Rechten noch verschärft. Sollte die Regierung sich tatsächlich gegen ein Urteil auflehnen, wäre die Folge eine Verfassungskrise – mit ungewissem Ausgang.

Weiterhin spontane Proteste

In der Zwischenzeit wird der Konflikt weiter auf den Straßen ausgetragen. Noch in der Nacht auf Dienstag kam es in Tel Aviv und anderen Städten zu spontanen Protesten und Autobahnblockaden.

Mehrere Menschen wurden von Wasserwerfern der Polizei verletzt, und in Kfar Saba, einer Kleinstadt nordöstlich von Tel Aviv, raste ein Autofahrer in einen Protestzug und verletzte drei Personen. Ob er mit Absicht handelte, muss noch ermittelt werden. Zudem rief Israels Ärztekammer am Dienstagmorgen einen 24-stündigen Streik aus. Krankenhäuser im ganzen Land behandelten nur Notfälle.

„Wir ziehen jetzt in einen Bürgerkrieg“, sagte Israels früherer Ministerpräsident Ehud Olmert am Montagabend in einem Fernsehinterview. „Ich meine zivilen Ungehorsam mit allen Konsequenzen für die Stabilität des Staates und die Handlungsfähigkeit der Regierung.“

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