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Gisèle Pélicot

© Gestaltung: Tagesspiegel/IMAGO/Coust Laurent/ABACA

Thank God It’s International Friday 18: Was vom Jahre übrig blieb

Die Themen der Woche: Was für 2025 Hoffnung verleiht | Gisèle Pelicots weltweites Zeichen | Bezaubernder Buchtipp für die Weihnachtsferien

Anja Wehler-Schöck
Eine Kolumne von Anja Wehler-Schöck

Stand:

Thank God It’s International Friday! Willkommen zur heutigen Ausgabe des TGIIF, dem internationalen Newsletter des Tagesspiegels bei LinkedIn. Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren.

Das sich neigende Jahr ist nicht unbedingt eines, das einen besonders hoffnungsvoll stimmt. Mehr als 233.000 Menschen sind 2024 weltweit bewaffneten Konflikten zum Opfer gefallen. So die – in eigenen Worten konservative – Schätzung der amerikanischen Forschungseinrichtung Armed Conflict Location and Event Data (ACLED).

Während die Kriege in der Ukraine und in Nahost in der westlichen Öffentlichkeit weiterhin sehr präsent bleiben, finden andere nur wenig Beachtung. Die kürzlich veröffentlichte Emergency Watchlist des International Rescue Committee für 2025 wirft ein Schlaglicht darauf, welche Konflikte gelegentlich aus dem Blick geraten: Sudan, Haiti, Myanmar, um nur einige Beispiele zu nennen.
Und dennoch: Bei allen Entwicklungen, die mich sehr sorgenvoll stimmen, gibt es auch solche, die mir Hoffnung verleihen. Drei davon möchte ich Ihnen in meinem letzten Newsletter für dieses Jahr verraten.

Jeanne d‘Arc ist zurück

Das TIME Magazine hat Donald Trump zur Person des Jahres 2024 gekürt. Meine persönliche Wahl fällt dagegen auf die Französin Gisèle Pelicot, deren Unerschrockenheit mich zutiefst beeindruckt.

Mit ihrem Mut, die von ihrem Ehemann orchestrierten furchtbaren Vergewaltigungen in einem öffentlichen Verfahren verhandeln zu lassen, hat Pelicot ein Zeichen gesetzt, das weit über die Grenzen Frankreichs hinaus wahrgenommen wird. Ich bin zuversichtlich, dass viele Menschen, die weltweit Leid erfahren, aus ihrem Kampf Kraft schöpfen werden, sich gegen das Unrecht zu wehren, das ihnen widerfahren ist.

Unsere Frankreich-Korrespondentin Birgit Holzer hat den Fall mit etlichen spannenden Texten für den Tagesspiegel begleitet. Meine Kollegin Marie Rövekamp hat mit der Psychologin Maggie Schauer darüber gesprochen, wie Menschen wie Gisèle Pelicot derartige Traumata überwinden können.

Jede Diktatur findet irgendwann ihr Ende

71 Prozent der Weltbevölkerung – 5,7 Milliarden Menschen – leben in Autokratien. Vor 10 Jahren waren es nur 48 Prozent. Die Demokratie ist weltweit im Rückgang, der Trend bewegt sich in Richtung Autokratisierung. Das geht aus den Daten hervor, die das V-Dem-Institut der Universität Göteborg kontinuierlich erhebt. Doch trotz dieser bedrückenden Entwicklungen gibt das Jahr 2024 auch Anlass zur Hoffnung.

In Bangladesch führten die Studentenproteste im August zum Ende der Regierung von Sheikh Hasina, die das Land mehr als 20 Jahre zunehmend autokratisch regiert hatte. Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus kehrte in seine Heimat zurück, um als Chef der Übergangsregierung ein neues, freies Bangladesch zu schaffen. In dem von Armut und Ausbeutung gezeichneten Land ist das allerdings keine einfache Aufgabe. Welche Rolle der Nachbar Indien spielt und warum die Ernennung von Yunus ein kluger Schachzug war, hat Leo Wigger hier aufgeschrieben. 👇

In Syrien endete nach 54 Jahren die Herrschaft des Assad-Clans. Mein Kollege Christian Böhme hat mit Sophie Bischoff von der deutsch-syrischen Menschenrechtsorganisation Adopt a Revolution darüber gesprochen, wie es für das Land nun weitergehen könnte. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen vor Ort sagt Bischoff, die derzeit in Homs ist, dass es durchaus möglich sei, die Islamisten in die Schranken zu weisen. Es komme nun darauf an, die Kräfte zu stärken, „die ein wichtiges Korrektiv sein könnten bei allem, was HTS vorhat“.

Die Entwicklungen in Syrien könnten auch der iranischen Freiheitsbewegung neuen Auftrieb geben und Hoffnung machen, sagt Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Köln. „Nach dem Motto: Was die Syrer geschafft haben, könnte uns womöglich auch gelingen.“

Wider der Wissenschaftsskepsis

Daran, wie wenig er von Wissenschaftlern und ihren Erkenntnissen hält, hat Donald Trump während seiner ersten Präsidentschaft keinen Zweifel gelassen. Dass sich das in seiner zweiten Amtszeit eher noch verschlimmern wird, lassen Nominierungen wie die des Impfgegners Robert F. Kennedy Jr. als Gesundheitsminister bereits erahnen. 77 Nobelpreisträger warnten vor kurzem in einem offenen Brief, dass Kennedys Ernennung „die Gesundheit der Bevölkerung gefährden“ würde.

Die Covid-19-Pandemie ab 2020 hat gezeigt, dass Deutschland und Europa vor ähnlichen Entwicklungen, sprich einer um sich greifenden Wissenschaftsskepsis, keineswegs gefeit sind. Umso erfreulicher, dass der aktuelle Trend hierzulande in eine andere Richtung weist. Denn das Vertrauen der Deutschen in die Wissenschaft nimmt teilweise sogar zu, zeigt eine aktuelle Befragung des Wissenschaftsbarometers. Lesen Sie dazu die Kolumne von Jan-Martin Wiarda. 👇

Die Fortschritte, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Jahr weltweit erreicht haben, stimmen ebenfalls hoffnungsvoll. Forschende in Japan beispielsweise arbeiten seit Jahren an biologisch abbaubarem Plastik. Nun ist es einem Forscherteam dort gelungen, einen neuen, haltbaren Kunststoff zu entwickeln, der sich in Meerwasser zersetzt und somit die Ozeane nicht verschmutzt.

Der „Durchbruch des Jahres“ war für das Fachmagazin „Science“ die Entwicklung des HIV-Medikaments Lenacapavir. Als halbjährliche Spritze verabreicht, schützt es effektiv vor einer Infektion und ist damit ein Meilenstein im Kampf gegen die HIV-Epidemie und Aids.

Beim Tagesspiegel möchten wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Stimme zu geben und ihre Expertise einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Diesen Ansatz werden wir im kommenden Jahr noch weiter ausbauen. Im Vorfeld der Bundestagswahlen am 23. Februar haben wir beispielsweise ein Expertengremium zusammengestellt, das die Vorschläge der Parteien zu verschiedenen Politikfeldern für Sie einordnet.

Have Yourself a Merry Little Christmas

Glückwunsch an das Team der US-Botschaft in Berlin für die stimmungsvollste Weihnachtsfeier (übertroffen natürlich nur von der des Tagesspiegels – siehe hier). Zur fantastischen Piano-Begleitung von Todd Fletcher durften wir deutsche und amerikanische Weihnachtslieder schmettern.

Weihnachtsfeier in der Residenz des US-Botschafters

© US Embassy

Kein Wunder, dass die Feier so beliebt ist, dass sie gleich zweimal stattfinden musste. Meine Kollegin Dr. Elisabeth Binder hat hier über Teil eins geschrieben.

Wie geht’s weiter?

Ich freue mich auf spannende Diskussionen und interessante Begegnungen im neuen Jahr, zum Beispiel bei der Munich Security Conference und dem Unternehmertag. Die nächsten zwei Freitage macht der TGIIF-Newsletter Winterschlaf. Wir lesen uns am 10. Januar wieder.

Bloß keine Politik in den Weihnachtsferien? Dann habe ich noch einen erbaulichen Lesetipp für Sie: „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“, den japanischen Bestseller von Michiko Aoyama. Ein zauberhafter Roman mit vielen Denkanstößen über die magische Kraft der Bücher, nicht nur für die Bibliophilen unter Ihnen.

Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage und einen guten Rutsch. Bis im neuen Jahr!

Herzlich Ihre Anja Wehler-Schöck

P.S.: Vielen Dank an Maria Glage für die Graphik und an Johannes Altmeyer fürs Feedback.

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