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Ukraine, Butscha: Eine Frau geht auf einer Straße, die übersät ist mit zerstörten russischen Militärfahrzeugen.

© Rodrigo Abd/dpa

Ukraine-Invasion Tag 363: Wie die Hinterbliebenen von Butscha noch immer leiden

Wagner-Chef macht Verteidigungsminister Schoigu Vorwürfe, Nato-Generalsekretär will Russland Grenzen aufzeigen. Der Überblick am Abend.

Der Name Butscha ist zu einem Symbol der Grausamkeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geworden. Fast ein Jahr nach Beginn der Invasion und neun Monate nach dem Massaker in der Stadt haben sich Reporter des US-Senders CNN dorthin begeben und mit den verbliebenen Anwohnern gesprochen (Quelle hier).

Mit den Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten, so heißt es in dem Bericht, sei unmittelbar nach der Befreiung der Stadt begonnen worden, mancherorts sei fast wieder Normalität eingekehrt. Doch der Schein von außen trüge, so Pater Andriy Halavin, orthodoxer Priester der St.-Andreas-Kirche. „Es gibt nicht eine einzige Familie, nicht eine einzige Person, die all diese Herausforderungen ohne psychische Schäden überstanden hat“, sagte er CNN. Und jeder versuche, auf seine eigene Weise mit der Vergangenheit fertig zu werden.

Tetiana Yeshchenko etwa, 63 Jahre alt, fand Trost im Gebet. Vor dem Krieg sei sie weniger religiös gewesen. Doch als die ersten Schüsse fielen, habe sie angefangen zu beten. Auch nach der Befreiung, als sie in eine Depression verfallen sei, habe sie wieder gebetet. Und heute sei sie der Überzeugung, dass ihr diese Gebete geholfen hätten, das Schlimmste zu überstehen. Inzwischen arbeitet sie an der Seite von Pater Andriy.

Nastia Mykolaietz war mit ihrem Mann direkt zu Kriegsbeginn geflohen, ihre gerade frisch gekaufte Wohnung in Butscha ließen sie zurück. 47 Tage später kehrten sie heim. Die 31-Jährige begann in einer Unicef-Hilfsstelle als Betreuerin zu arbeiten – mit vielen schwer traumatisierten Kindern. Die Kinder spielten am liebsten mit Lego, sagte sie CNN – und bauten etwa Kriegsschiffe. Auf dem Spielplatz wiederum sei das beliebteste Spiel „Luftangriff“: „Sie rennen herum, spielen und schreien ‚Luftangriff, alle in die Schutzräume‘.“

Das Haus von Kostiantyn Momotov wurde während der Besetzung mehrfach getroffen. Als sich die Russen schließlich zurückzogen und der 70-Jährige mit den Aufräumarbeiten begann, fand er Leichenteile in den Trümmern in seinem Garten. Ähnliche Erinnerungen hat Pater Andriy. Er half nach der Befreiung bei der Exhumierung der Massengräber – eines befand sich auf seinem Friedhof.

Und er erinnert daran, dass all die Menschen, die in Butscha starben, für die Einwohner nicht einfach nur Tote seien. „Für uns sind das unsere Verwandten, unsere Freunde, Menschen, die wir kennen“, sagte er CNN – und später: „Wie können wir das jemals vergessen? Wir müssen darüber sprechen. Das ist unser Schmerz.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Das Bundesverwaltungsgericht überprüft seit Mittwoch die Entscheidung des Bundes, die Kontrolle über zwei deutsche Töchter des russischen Energiekonzerns Rosneft zu übernehmen. Der Konzern hält die im September angeordnete Treuhandverwaltung für rechtswidrig. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Twitter-Accounts mit prorussischer Propaganda kaufen sich laut einer Studie Verifikations-Häkchen, um ihre Reichweite bei dem Dienst zu erhöhen. Die Profile verbreiteten etwa Falschinformationen über den Ukraine-Krieg, schrieb die „Washington Post“ unter Berufung auf Erkenntnisse der US-Forschungsgruppe Reset. Mehr hier.
  • Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, in der Ukraine-Krise eine deutlichere Führungsrolle anzunehmen. „Es ist jetzt enorm wichtig, dass der Bundeskanzler kommuniziert, was seine Politik ist“, sagte Gauck der „Zeit“. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Wirtschaftsminister Robert Habeck ist schon am Vorabend des russischen Überfalls auf die Ukraine von der US-Botschaft in Berlin über die unmittelbar bevorstehende Invasion informiert worden. „Ich bekam ein Dossier, aus dem hervorging: Heute Nacht wird es passieren“, sagte der Grünen-Politiker dem „Stern“. Mehr dazu hier.
  • Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht stuft die von Russland angekündigte Aussetzung des letzten großen Atom-Abrüstungsvertrags als gefährlich ein - hält aber dennoch Verhandlungen mit Kremlchef Wladimir Putin über ein Ende des Ukraine-Kriegs für realistisch. Das sagte sie in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Mehr hier.
  • In Deutschland sprechen sich mehr Bürger:innen für ein schnelles Ende des Ukraine-Krieges aus als im europäischen Vergleich. Das ergab eine internationale Studie der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ (ECFR). Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Der Chef der Söldner-Truppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat Verteidigungsminister Sergej Schoigu vorgeworfen, seinen Kämpfern Munition zu entziehen und die Wagner-Einheiten zerstören zu wollen. Das komme Hochverrat gleich, erklärte er in einer auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht. Mehr dazu hier.
  • Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat bei dem Gipfeltreffen der östlichen Bündnisstaaten in Warschau dafür geworbenRussland ein für alle Mal seine Grenzen aufzuzeigen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Russland weiter die europäische Sicherheit untergräbt“, sagte er in einer Rede. Mehr dazu in unserem Newsblog.
  • Belgien hat nach der Sichtung eines mutmaßlichen russischen Spionageschiffs vor seiner Küste Ermittlungen aufgenommen. „Wir kennen die genauen Motive dieses russischen Schiffs nicht, aber seien wir nicht naiv“, sagte Belgiens Justiz- und Nordseeminister Vincent Van Quickenborne.
  • US-Präsident Joe Bidenhat den Staaten an der Ostflanke der Nato einmal mehr Beistand für den Fall eines Angriffes zugesagt. Bei einem persönlichen Treffen mit mehreren östlichen Nato-Partnern in Warschau sagte er: „Artikel Fünf ist eine heilige Verpflichtung, die die Vereinigten Staaten eingegangen sind. Wir werden buchstäblich jeden Zentimeter der Nato verteidigen.“ Mehr hier.
  • Spaniens Regierung will nach eigenen Angaben sechs Leopard-Panzer des Typs 2A4 in die Ukraine schicken. Die Zahl könnte in nächster Zeit noch steigen, sagt Verteidigungsministerin Margarita Robles vor Parlamentariern in Madrid.
  • Die Ukraine strebt eine Verlängerung des Getreide-Abkommens mit Russland um ein Jahr an. „Wir werden noch diese Woche einen formellen Vorschlag (...) vorlegen“, sagte der stellvertretende Infrastruktur-Minister Jurij Waskow der Nachrichtenagentur Reuters. 
  •  Einen Tag nach der Ankündigung von Kremlchef Wladimir Putin hat Russland die Aussetzung des letzten großen atomaren Abrüstungsvertrages mit den USA gesetzlich verankert. Die Abgeordneten des Parlaments in Moskau verabschiedeten ein entsprechendes Gesetz einstimmig.
  • Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist zuversichtlich, dass sein Land zur Abwehr der russischen Invasion in Zukunft auch Kampfflugzeuge erhalten wird - auch wenn es noch keine internationalen Zusagen gibt. „Wir arbeiten beständig daran, eine Luftkoalition beziehungsweise eine Flugzeugkoalition aufzubauen“, sagte er.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will persönlich am Nato-Gipfel im Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius teilnehmen. „Das ist unser Plan“, sagt der ukrainische Botschafter in Litauen, Petro Beschta, der Nachrichtenagentur BNS.

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