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Entenbrunnen von August Gaul

© Michael Bienert

Berliner Trüffel, Folge 36: Enten und Jungschwäne in Charlottenburg

Gerne betätschelte Messingvögel: Die Tierskulpturen von August Gaul bevölkern Berlin. In manchen steckt mehr als harmlose Tiergeschichten.

Eine Kolumne von Michael Bienert

Die Enten fühlen sich auf dem Brunnenrand vor dem Renaissance-Theater pudelwohl: Ein Exemplar döst vor sich hin, den Schnabel ins Gefieder gesteckt, eine andere putzt sich. Der laute Autoverkehr um den Ernst-Reuter-Platz stört die sechs Artgenossinnen nicht. Ihre glatt polierten, messingglänzenden Köpfchen beweisen, dass die Bronzevögel gerne gestreichelt werden. Große Kunst zum Anfassen von August Gaul, der um 1900 die Millionenstadt Berlin mit seinen Tierskulpturen bevölkerte, mit anmutigen Kreaturen, weitab von Bedeutungshuberei und wilhelminischem Bombast.

Auf einem niedrigen Sockel ruht ein Brunnenbecken aus Muschelkalk, in der Mitte erhebt sich ein steinerner Pilz, über den Wasser in das Becken rinnt. Und an zwei Seiten des Beckenrands hocken je drei Entlein zusammen. Ein liebliches, ein märchenhaftes Arrangement.

Geschenkt vom Stadtverordneten

Es gibt Anwohner, die es verstimmt, dass der Brunnen derart harmlos plätschert, ohne Hinweis auf seinen Stifter. Der Straßenschmuck von 1908 war ein Geschenk des Industriellen, Berliner Stadtverordneten und ehrenamtlichen Stadtrates Max Cassirer an die Stadt Charlottenburg. Wie sein Neffe, der Kunsthändler Paul Cassirer, förderte er August Gaul. Max Cassirer besaß eine Villa an der Kaiserallee, der heutigen Bundesallee. In seinem Garten ließ er einen kleineren Brunnen errichten, ebenfalls mit sechs Vögeln von Gaul auf dem Rand. Damit die Proportionen passten, entschied man sich für Jungschwäne statt ausgewachsener Enten.

Dieser zweite Brunnen steht seit 1962 am Kurfürstendamm, Ecke Leibnizstraße. Auch hier könnte an das Schicksal des jüdischen Stadtrates erinnert werden: Die Ehrenbürgerwürde von Charlottenburg wurde Cassirer 1933 aberkannt, seine Fabriken wurden arisiert. Die Villa an der Kaiserallee musste er verkaufen, um eine Zwangsabgabe an den NS-Staat aufzubringen. Ende 1938 rettete er sich der 82-jährige Mäzen ins Ausland, danach wurde er ausgebürgert, um sein Restvermögen und die Kunstsammlung zu beschlagnahmen.

Im Foyer des Rathauses Charlottenburg erinnert ein etwas ramponierter Aufsteller an Max Cassirer und seine Ausplünderung. Der Weg zwischen dem Rathaus und den beiden Brunnen ist aber doch recht lang, und so bleibt es eine Herausforderung, das Schöne und Grausame zusammenzudenken.

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