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Am Stand der Ukraine: Claudia Roth und Olena Odynoka vom Ukrainien Book Institute.

© dpa/Hendrik Schmidt

Die Ukraine auf der Leipziger Buchmesse: Im Krieg zählt nur die Gegenwart

Slowenen und Niederländer bereiten sich auf ihre Gastauftritte in Frankfurt und nächstes Jahr in Leipzig vor - die Ukrainer dagegen kennen gerade nur die Wirklichkeit des Krieges. Ein Rundgang über die Messe.

Die Gegenwart einer Messe wie der Leipziger wird stets von der Zukunft mitbestimmt. Die digitalen Entwicklungen der Branche sind das eine; die Messen, die folgen, die Gastländer, die ihre Auftritte vorbereiten, das andere. In der Halle zwei sind an diesem Freitagvormittag die Slowenen gerade dabei, ihr Gastland-Programm für die Frankfurter Buchmesse im kommenden Oktober vorzustellen.

Jürgen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse sitzt am Traduki-Stand neben der Direktorin der slowenischen Buchagentur, Katja Stergar, und den beiden Auftrittskuratoren Matthias Göritz und Miha Kovac, um zum Beispiel zu erfahren, dass über dreißig Autoren und Autorinnen aus Slowenien an den Main kommen werden.

Gastland 2024: die Niederlande

Einen Gang weiter haben die Niederländer einen ziemlich großen, von einem satinhellblauen Vorhang dominierten Stand, zusammen mit Flandern sind sie 2024 in Leipzig zu Gast. Das erschließt sich nicht unbedingt: Erst 2016 waren die Niederlande und Flandern das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Zudem würde man sich nach dem heuer machtvollen österreichischen Leipziger Auftritt gern wieder ein Land aus dem Osten oder Südosten Europas wünschen. Schließlich ist die Leipziger Buchmesse, wie nicht zuletzt Kulturstaatsministerin Claudia Roth weiß, die Brücke nach Osteuropa.

Auch Portugal ist mit einem Stand vertreten, das Gastland der ausgefallenen Messe des Vorjahres. Portugal versucht dieser Tage, die Gegenwart gewissermaßen zu überholen und noch einmal auf sich aufmerksam zu machen.

Die augenblicklich völlig zukunftslose Gegenwart bestimmt dagegen das Programm des ukrainischen Standes. Im Vergleich zu dem improvisiert punkrockmäßigen Stand auf der Frankfurter Buchmesse 2022 wirkt der in Leipzig ausgefeilt designt: hell, mit vielerlei Broschüren auf den Tischen und einer Installation neben der Bühne. Letztere besteht aus kaputten Schreibtischen und Stühlen, die aus von den Russen bombardierten Büchereien stammen. Diese wurden von den Künstlerinnen Dariia Bila und Sofia Hupalovska weiß übermalt.

„Sensitive Content“ nennen die beiden das, um damit darauf hinzuweisen, unter was für Bedingungen sich ukrainische Autorinnen und Autoren ihren Texten und Büchern widmen.

Bevor an diesem Freitag die Soziologin Oksana Dutchak mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Artem Chapeye die Bühne betritt und über ukrainische Familien im Krieg spricht, weist eine Vertreterin des Standes darauf hin, dass in der vergangenen Nacht wieder Menschen in der Ukraine gestorben sind: „In der Nähe von Kiew hat eine Rakete ein Wohnhaus zerstört. Von 14 russischen Raketen konnten zwar 12 abgefangen werden, aber die zwei anderen haben zehn Menschen getötet, darunter zwei Kinder und eine junge Familie. Ich will damit nur sagen, was für einen Preis die Ukraine zahlt, damit wir hier auf der Buchmesse sein können.“

Von diesem Preis sprechen auch Dutchak und Chapeye, die gleich nach Kriegsbeginn mit ihren zwei Söhnen unter schwierigsten Umständen in den Westen fliehen konnten. Dutchak ist mit den Kindern in Leipzig untergekommen; Chapeyre jedoch kehrte nach kurzer Zeit zurück. Er hat sich den Streitkräften seiner Heimat angeschlossen.

„Ich hielt mich für einen Pazifisten bis zum 24.2. 2022. Doch der Mensch wird immer wieder vor neue Entscheidungen gestellt. Ich sah die Freiwilligen und wollte im Vergleich zu vielen anderen nicht zu den Priviligierten gehören“, sagt Chapeye. Und Dutchak ergänzt: „Ich wusste schon vorher, dass er das machen würde. Es ist sein Gewissen. Ich unterstütze ihn, so schwer es für mich fällt, hier in Deutschland meine Arbeit zu leisten und die Kinder allein aufzuziehen.“

Man meint, in ihren ernsten Gesichtern die Spuren des Krieges zu erkennen. Das Leben besteht für Chapeye und Dutchak im Moment aus nichts als der reinen Gegenwart.

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