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Albrecht Dürers Holzschnitt „Die vier Reiter der Apokalypse“(1497/98).

© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz

Im Wartesaal der Verdammten: Christian Jakob über Zukunftsängste und Endzeiten

Klimawandel, Atomkrieg, Massenmigration: Der Berliner Journalist unterzieht in seinem neuen Buch die Sorgen unserer Zeit einem Realitäts-Check.

Der Autor hat sein Manuskript ein wenig zu früh abgegeben. Christian Jakobs Buch „Endzeit“ erschien kurz vor dem Angriff der Hamas auf Israel, weshalb die inzwischen allenthalben geäußerten Warnungen vor einem unkontrollierbaren „Flächenbrand“ darin nicht enthalten sind.

Ansonsten aber widmet sich der langjährige Redakteur der taz sehr eingehend den militärischen, wirtschaftlichen und ökologischen Katastrophenerwartungen der Gegenwart. Viel Platz nimmt der Klimawandel ein, hinzu kommen Ängste vor einem Atomkrieg, Blackouts, der Künstlichen Intelligenz, einer „Überfremdung“ der Gesellschaft durch Zuwanderung oder durch Bodenerosion bewirkte Hungersnöte.

In einer global durchgeführten Umfrage befürchteten über die Hälfte der Teilnehmenden, dass die Menschheit dem Untergang geweiht sei. Und 96,5 Prozent der Befragten einer US-Studie zeigten sich „sehr“ oder „äußerst besorgt“ über das Wohlergehen ihrer vorhandenen oder hypothetischen Kinder.

Wartesaal der Verdammten

Die Zukunft erscheint als eine gefährliche Zeit, die Gegenwart nur noch als Wartesaal für die Verdammten. Jakob trennt in seinem Buch sorgsam die berechtigten von den unberechtigten Befürchtungen. Schnell als irrational oder gezielt geschürt, disqualifiziert er die von selbst ernannten Finanz-Gurus verbreitete Erwartung eines nahenden Crashs oder die in rechten Kreisen kursierende Paranoia über ein Aussterben der Weißen.

Vorsichtiger behandelt er Sorgen um das Klima. So zitiert er mit Nachsicht Aktivistinnen, die sich sogar sterilisieren ließen, weil sie ein weiteres Leben in dieser Welt nicht verantworten könnten. Doch setzt er ihnen auch andere Stimmen entgegen, wie die des schwedischen Klimaforschers Zeke Hausfather, der betont, in Bezug auf Lebenserwartung, Wohlstand, Kindersterblichkeit oder den Zugang zu Bildung sei jetzt „so etwas wie die beste Zeit, um als Mensch auf diesem Planeten geboren zu werden“.

Einerseits, andererseits

Die Struktur des Buchs folgt über weite Strecken einer Einerseits-Andererseits-Erörterung. Jakob erklärt zunächst, wovor und warum sich Menschen Sorgen machen, um die Katastrophenerzählungen danach zu hinterfragen. Er schränkt sie ein, wechselt die Perspektive, rückt die Daten zurecht.

So weist er etwa die geläufige Verwendung des Begriffs „Kipppunkt“ zurück. Der Begriff meint, dass ab einer bestimmten Erwärmung unaufhaltsame Folgen entstünden. Wissenschaftlich gesichert sei das jedoch keineswegs. Der Begriff werde in Fachkreisen lediglich verwendet, um anzuzeigen, dass es ab einem bestimmten Schwellenwert deutlich schwieriger werde, erfolgte Veränderungen zu revidieren. Nicht aber, dass von da an keine Kontrolle mehr möglich sei.

Drahtseilakt

Jakobs Argumentation gleicht einem Drahtseilakt, denn er möchte zwar kühl, aber nicht beschwichtigend wirken und betont immer wieder, dass die Herausforderungen tatsächlich immens seien. Gerade deshalb plädiert er dafür, der Angst nicht das Steuer zu überlassen. Er kritisiert damit auch die Emotionalisierung einer Debattenkultur, in der Medien, Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten, nach der knappen Ressource Aufmerksamkeit gierend, gerne das schlimmste Szenario bemühen.

Greta Thunberg kommt nicht allzu gut weg.

© REUTERS/ISABEL INFANTES

Aus diesen Gründen kommt auch Greta Thunberg („I want you to panic!“) nicht allzu gut weg, der man durchaus eine Mitschuld daran geben kann, dass sie zur „Projektionsfläche für das apokalyptische Denken unserer Zeit“ avanciert sei.

Bemerkenswert ist, dass Jakob den beschriebenen Fatalismus nicht im engeren Sinne als politisches Problem versteht. Gerne hätte man mehr darüber gelesen, warum die westlichen Gesellschaften überhaupt so verfasst sind, dass ihre Angehörigen derart negativ in die Zukunft blicken.

Warum kam es anders?

Jakob verweist lediglich darauf, dass die Linke, also jene Kraft, die traditionell für Utopien und Hoffnungen zuständig ist, nach 1989 daran gescheitert sei, ein Gegenmodell zum Neoliberalismus zu entwickeln. Das ist jedoch keine befriedigende Erklärung, da in den letzten dreißig Jahren, Neoliberalismus hin oder her, weltweit bedeutende Erfolge in den Punkten Lebensdauer- und -standard zu verzeichnen sind. Diese Errungenschaften hätten durchaus auch Zuversicht säen können. Warum kam es anders?

Hier hält sich der Autor weitgehend bedeckt, wie er ohnehin am liebsten über Bande spielt und andere zu Wort kommen lässt. Eifrig arrangiert er Studien, Statistiken, Social-Media-Posts, Zitate aus Artikeln und selbst geführte Interviews.

Das ist beim Lesen auf Dauer ermüdend, zumal nicht jede Aussage von einem Experten beglaubigt werden muss. Das Verfahren ist wohl dem Umstand geschuldet, dass „Endzeit“ auf dem Skript eines Radiofeatures basiert. Bei der Buchfassung hätte man auf einen Großteil der O-Töne gut verzichten können.

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