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Viel Platz für große Gefühle: die Deutsche Oper Berlin

© Anja Steinmann

Kolumne „Der Klassiker“ (Folge 19) : Bloß nicht Opas Oper

Wenn es um ihr Marketing geht, wollen die Berliner Opernhäuser am liebsten mit den hauptstädtischen Hipstern konkurrieren. Bei der Deutschen Oper ging das jetzt ziemlich schief.

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

Menschen, die Opernhäuser leiten, werden ja meistens von der chronischen Angst geplagt, den Kontakt zur Gegenwart zu verlieren. Weil sie sich vor allem mit den Werken der Alten Meister beschäftigen. Darum sind sie eine besonders leichte Beute für hippe Grafikbüros und PR-Agenturen. Von ihnen lassen sich die Intendantinnen und Intendanten nur zu gerne den neuesten „heißen Scheiß“ aufschwatzen. Dietmar Schwarz von der Deutschen Oper Berlin beispielsweise haben sie mit dem Reizwort artificial intelligence gelockt. Was genau das ist, kann der Musiktheatermacher zwar bei der Vorstellung seiner Saison 2023/24 nicht erklären, aber es hört sich auf jeden Fall cool an. Nicht nach Opas Oper.

Höhere Mächte befahlen also nicht, die obere rechte Ecke der Spielzeitvorschau schwarz zu malen, aber sie katapultierten den Strausberger Platz auf die Titelseite der Werbebroschüre. Wie bitte? Warum wirbt eine Kulturinstitution aus Charlottenburg mit einem Motiv aus Friedrichshain?

Dietmar Schwarz war bei der Pressekonferenz ehrlich erschüttert, dass sich die Location so leicht ausmachen lässt: „Dabei haben wir extra den Fernsehturm wegretuschieren lassen.“ Hat nichts genützt. Als Musikkritiker bin ich ja mehr ein Ohren- als ein Augenmensch. Und sogar ich habe das erkannt.

Dabei geht es in der Imagekampagne, die sich die Deutsche Oper von der Agentur Stan Hema hat kreieren lassen, gar nicht um konkrete Orte, beteuert der Intendant. Schon gar nicht um Berlin. Sondern um generelle, grenzüberschreitende Gefühle.

Aha. Dafür wurden „reale Szenen und Momente digital erweitert, gebrochen, gekoppelt, verfremdet – bis kurz vor der Orientierungslosigkeit“, heißt es im Kleingedruckten ganz hinten in der Broschüre. Online sieht man auf www.deutscheoperberlin.de einen 360-Grad-Kameraschwenk über den Strausberger Platz (inklusive Fernsehturm), bei dem alle Konturen verwischen.

„Für die Saison 23/24 stellen wir den Menschen ins Zentrum“, raunt es von der Website. „An der Schwelle von Fiktion und Realität appellieren wir mit Fragen nach den Herausforderungen der Menschheit an die Urteilskraft des Einzelnen.“

Bei der aktuellen Saisonvorschau der Staatsoper hängt übrigens auf dem Titelbild ein schlaffer Arm aus einer Wanne: Die kleine Brünnhilde will aus dem Klangbad abgeholt werden.

In seiner „Klassiker“-Kolumne berichtet Frederik Hanssen jede Woche vom Berliner Musikleben.

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