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In der Zukunftswelt „NOX“, die der Künstler Lawrence Lek im ehemaligen Kranzler Eck inszeniert, schmeißen selbstfahrende, superintelligente Autos den Laden.

© Lawrence Lek. Commissioned by LAS Art Foundation. Foto: Andrea Rossetti

Lawrence Leks Ausstellung „NOX“: Was, wenn das selbstfahrende Auto einen Unfall baut?

Ein Londoner Künstler inszeniert eine faszinierende Smart City im ehemaligen Kranzler Eck. Und setzt neue Maßstäbe für die Kategorie Ausstellung.

Ein Unfall ist passiert. Eines der selbstfahrenden Autos hat die Kontrolle verloren. Zu viel gefilmt mit der eigenen Überwachungskamera, Akku leer, ausgepowert. Nun muss es in ein Behandlungscentrum für superintelligente KI-Fahrzeuge, um neu trainiert zu werden. Wegen akuten Selbstzweifeln gibt’s eine Dosis Stimmungsaufheller für das Vehikel, ähnlich wie in Huxleys „Schöne neue Welt“, wenn die aufmunternden Worte des Therapiebots nicht helfen.

Die KI hat Bewusstsein

Worte? Ja, in dieser Welt namens „NOX“ – das steht für „Nonhuman Excellence“ – haben die selbstfahrenden Autos Gefühle, sie befürchten, Fehler zu machen, unbeliebt zu sein, ausrangiert zu werden. Die Künstliche Intelligenz hat Bewusstsein.

Künstler Lawrence Lek geht es dabei nicht um die Frage, ob das gut ist oder nicht. In seiner gar nicht so fernen Zukunftswelt ist die bewusste KI bereits Fakt und „NOX“ ist der Ort, an dem sich die Besucher daran gewöhnen können.

Das Kranzler Eck taucht in der „NOX“-Welt auf.
Das Kranzler Eck taucht in der „NOX“-Welt auf.

© Lawrence Lek

Musik, Film und Game

Die Stiftung Light Art Space (LAS) hat dem Londoner Künstler für seine Installation das ehemalige Kranzler Eck am Ku’damm zur Verfügung gestellt. Es ist das erste Mal, dass in dem leerstehenden Gebäude, aus dem Karstadt Sport 2020 ausgezogen ist, eine Kunstausstellung stattfindet. Große Schilder weisen schon auf der Joachimsthaler Straße auf die Ausstellung hin.

Lawrence Lek lebt in London. Er ist 1982 in Frankfurt geboren, aber nicht in Deutschland aufgewachsen.
Lawrence Lek lebt in London. Er ist 1982 in Frankfurt geboren, aber nicht in Deutschland aufgewachsen.

© AFP/MICHELE TANTUSSI

Die Installation füllt das Erdgeschoss und zwei weitere Stockwerke. In der untersten Etage, mit zwei Rolltreppen in der Mitte, stehen mehrere schwarze Autos herum, eine Leitplanke ist installiert, ein riesiger Screen zeigt eine Film-Episode, die Lek in einer Game Engine programmiert hat.

Die Gäste brauchen nur einen Kopfhörer, der an definierten Orten jeweils Erzählungen, Musik und Stimmen einspielt. Zur Eröffnung ist der Künstler angereist, bei der Preview liefert er drei Begriffe, mit denen sich seine Kunst zwischen Installation, Videospiel, Film und Architektur richtig einordnen lässt: „Gesamtkunstwerk“, „Bildungsroman“ und „Weltanschauung“.

Die Art wie Lawrence Lek Kunst versteht, was er überhaupt als Kunst anbietet, sprengt jede Kategorien. „NOX“ ist eine ortsspezifische Installation – Stadt, Wartezimmer, Servicestation – es gibt eine Dramaturgie, Charaktere, Poesie, Sound sowie eine Game-Experience, verpflanzt in die echte Welt. Den institutionellen Rahmen bildet die Firma Farsight, die man schon aus vorherigen Arbeiten Leks kennt.

Die Rolle der „Humans“, die ohnehin nichts mehr kontrollieren, übernehmen die Ausstellungsbesucher, die mit ihren Headsets die Räume durchwandern. Ein bisschen wie schlafwandelnde Geister. Dabei ist Lek kein Tech-Pessimist. In seiner Welt existieren autonome Autos, Rennpferde, und Menschen parallel – und alle finden sich gegenseitig irgendwie interessant.

Ab in die Therapie

Lawrence Lek, 1982 geboren, ist mit dem Internet und mit Computerspielen aufgewachsen. Er hat in Cambridge, London und New York Architektur studiert. Eine Weile interessiert er sich für improvisierte DIY-Kunstinstallationen mit Musik und Film. Aber wo soll sich ein junger Architekt in einer dicht bebauten Metropolen austoben? Lek wechselt in den virtuellen Raum, wo es endlos Platz gibt und alle Medien problemlos verknüpft werden können.

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Der Künstler selbst pflegt einen nomadischen Lebensstil, in seiner Zukunft ist es vielleicht nicht mehr so wichtig, wo man lebt – sondern wie man sich bewegt. Das Auto dient ihm als Metapher für technologischen Fortschritt. Lokalisiert hat er seine Smart City an der „Great Silk Road“, wo dank 3D-Rendering auch das Kranzler Eck auftaucht. „Sinofuturism“ ist ein weiterer Begriff aus Leks künstlerischer Syntax. China ist darin keine exotische Nation mit bedrohlicher Entwicklung, sondern das Modell einer KI schlechthin, voll-automatisiert, enthumanisiert, gamifiziert.

Eine Entdeckungsreise

Leks technisch komplexes „Gesamtkunstwerk“ wirkt, obwohl es überall düster ist und menschenleer, zugänglich und emotional. Vermutlich liegt es daran, dass der Künstler seine eigenen Gefühle in die Welt der selbstfahrenden Autos projiziert. Die hochentwickelte Tech-Spezies hat dieselben banalen Emotionen wie der Mensch, will gemocht werden, fühlt sich mal alt, mal träumerisch, mal traurig. Und in diesen Dingen ist nun mal der Mensch der Kompetenzträger, während sich das selbstfahrende Auto wie ein Teenager erst an seine komischen Gefühle gewöhnen muss.

Lek legt seiner Geschichte in doppelter Hinsicht einen Reifungsprozess zugrunde (deshalb ja auch „Bildungsroman“). Er ermöglicht jedem Besucher eine ganz individuelle Reise: Wer sich mit Videokunst wohlfühlt, nimmt Platz vor dem Film, die Gaming-Experten werden heimisch im dritten Stock, wo sie als Angestellte des Konzerns Farsight die Autos trainieren können. Architektur-Liebhaber bestaunen das Ex-Kaufhaus, und Ohrenmenschen achten auf den Sound. Auf diese Weise führt der Künstler an eine Welt heran, in der es die bewusste KI bereits gibt. Statt Unbehagen löst er Neugier aus.

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