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Juliette  Binoche in „Mit Liebe und Entschlossenheit“, Regie: Claire Denis. 

© Arsenal Filmverleih

Neuer Film von Claire Denis: Eine verwirrende, gefährliche Kraft

... ist die Liebe, jedenfalls im Kino der Französin Claire Denis. Jetzt startet ihr Dreiecksdrama „Mit Liebe und Entschlossenheit“, mit Juliette Binoche, Vincent Lindon und Grégoire Colin.

Dieses Seufzen ist tief und gründlich, es kommt aus allen Fasern des Körpers. Sara steht mit geschlossenen Augen im Fahrstuhl und schlingt die Arme um sich, als leide sie unter stechenden Schmerzen. „François, François“, flüstert und klagt sie. Soeben hat sie auf der Straße einen Blick auf ihre alte Liebe erhascht, aus der Ferne und nur wenige Sekunden lang. Ein Knockout.

Sara (Juliette Binoche) lebt seit neun Jahren mit Jean (Vincent Lindon). Ein Paar, das miteinander im Fluss ist. Zu Beginn des Films sieht man sie zusammen im Meer. Ihre Körper, die gelöst sind und weich, treiben umher, umkreisen und umarmen sich, die Hände halten sich unter Wasser fest, die Schritte sind im Takt.

Aus den Bewegungen, Blicken und Gesten der beiden spricht so viel Liebe, Verbundenheit und Vertrautheit, dass all das in Gefahr zu bringen ein ziemlicher Wahnsinn wäre. Von genau diesem Wahnsinn erzählt Claire Denis in „Mit Liebe und Entschlossenheit“, ihrer mittlerweile dritten Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Christine Angot, der auf der Berlinale 2022 Premiere feierte. Claire Denis wurde mit einem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet.

„Warum bin ich mit dem Mann zusammen, der weggeht?“, hat sich Sara einmal gefragt. Da war sie noch mit François (Grégoire Colin), Jeans ehemals engem Freund liiert, ein Typ, dessen Unberechenbarkeit offenbar einen Teil seiner Anziehungskraft ausmacht. Als dieser unvermittelt auftaucht und Jean vorschlägt, zusammen eine Sportleragentur zu gründen, kreuzen sich unvermeidlich auch die Wege des früheren Paars.

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Die Liebe ist bei Denis eine verwirrende, gefährliche, heftige und vor allem physische Kraft, sie kommt mit der Gewalt eines Schubs, dessen man sich kaum erwehren kann. Begleitet wird die Gefühlswelt von den gedehnten, zehrenden Klängen von Stuart Staples (Tindersticks), der seit mehr als 25 Jahren die Filmmusik für Denis schreibt. „Jetzt geht es wieder los“, sagt sich Sara, „die Panik, die Angst, das Telefon neben dem Bett.“

Im Film kündigt sich das wiederaufgeflammte Begehren mit dem Suspense eines Thrillers an. Die Wohnung von Sara und Jean, eingeführt als ein Ort der Beständigkeit, der Routine und des geschmeidigen Miteinanders, wandelt sich zum unsicheren Terrain: Blicke, die von Verunsicherung und Misstrauen geprägt sind, Fragen, die mit falscher Beiläufigkeit gestellt werden, Beteuerungen, die so vehement vorgebracht werden, dass ihre Überzeugungskraft mehr an sich selbst als den anderen gerichtet scheint.

Der vormals einheitliche Raum ist plötzlich gefährlich und wie zerschnitten. Auf dem Balkon wird unter der lauernden Beobachtung des/der anderen telefoniert oder auf die Straße gespäht. Das Fenster, durch das sich das Paar zuvor noch zulächelte, steht wie eine Trennscheibe zwischen ihnen. Ebenso Türschwellen.

Die Kamera von Éric Gautier drängt Gesichter und Körper in eng kadrierte Bilder, sie spürt jede Regung auf, registriert jedes Zittern und Beben, den Genuss wie die Angst und den Schmerz. Die Körper ziehen einander an, fließen zusammen oder gehen auf Abstand. Es gibt wohl kaum eine Filmemacherin, die Sexszenen so selbstverständlich und ohne „Jargon“ zu inszenieren vermag wie Claire Denis. Sie sind gleichermaßen sinnlich wie komplex.

Anders als die meisten Liebesdramen im französischen Kino spielt „Mit Liebe und Entschlossenheit“ in einem zerklüfteten sozialen Milieu. Jean ist ein ehemaliger Rugby-Spieler mit Knastvergangenheit, arbeitslos und finanziell von seiner Frau abhängig. Marcus, sein 15-jähriger Sohn aus der Beziehung mit einer Frau aus Martinique, lebt bei der Großmutter und strauchelt bei der Suche nach Identität.

Dass die alten Gewissheiten von drängenden Fragen abgelöst wurden, spielt auch in Saras Arbeit als Radiomoderatorin hinein. In ihrer Sendung spricht sie mit politischen Aktivist:innen und Intellektuellen aus dem Libanon und den Antillen über gesellschaftliche Krisen und die Herausforderungen der postkolonialen Gegenwart.

Die mit der Pandemie verbundenen Produktionsbedingungen führen in „Mit Liebe und Entschlossenheit“ zu einer konstruktiven Beschränkung, alle Energie bündelt sich im Zusammenspiel kontrastierender Körperlichkeit. Juliette Binoche ist weich und zerfließend. Vincent Lindon, sehnig, knochig, mit schmalen Lippen, erinnert an ein Tier, das einen heranziehenden Sturm wittert. Und Grégoire Colin, nach seinen Rollen in Denis’ frühen Filmen – etwa „Nénette et Bonis“ (1996) – umgibt ein zwielichtiges Schillern, in dem das jugendliche Draufgängertum noch immer durchscheint.

Vereinfachte Konzepte von (weiblicher) Autonomie finden im Kino von Claire Denis grundsätzlich keinen Halt. Ihr Verständnis von Handlungsmacht misst sich vor allem an der unverrückbaren Entschlossenheit der Figuren – etwa Dinge zu tun, von denen sie wissen, dass sie möglicherweise Zerstörung bedeuten. Die sie aber auch frei machen und die sie deshalb mit spürbarer Lust verfolgen.

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