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Das Kulturzentrum Oyoun in der Lucy-Lameck-Straße.

© Kulturzentrum Oyoun

Neuköllner Kulturzentrum vor dem Aus: Neue schwere Vorwürfe gegen das Oyoun

Weil das Land Berlin das umstrittene Zentrum nicht mehr fördern will, beklagen dessen Betreiberinnen jetzt „Zensur“. Doch so einfach ist es nicht.

Mit ihrer Erzählung haben die Betreiberinnen des Kulturzentrums Oyoun in den vergangenen Wochen eine Menge Unterstützung bekommen und mehr als 80.000 Euro Spenden eingesammelt. Diese Erzählung lautet: Nur weil man der israelkritischen Gruppe „Jüdische Stimme“ Räumlichkeiten für eine Trauerfeier zur Verfügung stellte, werde man nun vom Berliner Senat gecancelt. Der Senat verweigere sich konstruktiven Gesprächen, gefährde Arbeitsplätze und bedrohe die Meinungsfreiheit.

Wer mit Personen spricht, die mit der Geschichte des Oyouns und den dortigen Zuständen vertraut sind, wundert sich vor allem, wie viele Menschen das Narrativ der Betreiberinnen bislang unbesehen übernommen und weiterverbreitet haben.

Tatsächlich ist die Liste der Vorwürfe, die sowohl von außen als auch intern gegen die Betreiber des Neuköllner Kulturzentrums erhoben werden, lang. Die Rede ist von herrischem Führungsstil, Unzufriedenheit von Mitarbeitern und Künstlern sowie einer extremen Positionierung gegen Israel und alles, was sich mit dem jüdischen Staat assoziieren lässt. Hinzu komme ein außergewöhnliches Maß an Sturheit: Denn das Oyoun wusste seit langem, dass der Stopp der Förderung droht, sollte es seinen Kurs beibehalten.

Unstimmigkeiten gab es bereits Anfang 2020, als sich das Oyoun als Kulturzentrum für „dekoloniale, queerfeministische und migrantische Blickwinkel“ gründete – als Nachfolger der ehemaligen „Werkstatt der Kulturen“. Das fünfköpfige Frauenkollektiv, das die Trägerschaft übernommen hatte, zerstritt sich so heftig, dass drei von ihnen ausstiegen.

Musiker sprach schon 2020 von „feindlicher Übernahme“

Der mit dem Ort vertraute Musiker Fuasi Abdul-Khaliq schrieb im März 2020 einen Offenen Brief, in dem er das Wirken der neuen Betreiber als „feindliche Übernahme“ bezeichnete. Er könne nicht erkennen, dass die neuen Betreiber die bisherigen Ziele des Hauses – darunter das Eintreten für Frieden und Vielfalt sowie die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung – in der gebotenen Form verfolgten.

Wie richtig Abdul-Khaliq mit seiner düsteren Einschätzung lag, zeigte sich erst kürzlich wieder. Am 1. November, keinen Monat nach den Massakern der Hamas, stellte das Oyoun der „Palästina Kampagne“ seine Räumlichkeiten zur Verfügung – einer Gruppe, die den Terror der Hamas am 7. Oktober für gerechtfertigt hält und sogar unterstützt. Die Massaker verklärt sie zum „Befreiungskampf gegen Siedlerkolonialismus“, der „bedingungslose Solidarität“ verdiene. 

An diesem Abend holte sich das Oyoun auch die „Revolutionäre Linke“ ins Haus. Diese Splittergruppe setzt sich für ein „freies Palästina vom Fluss bis zum Meer“ ein, also das Ende Israels. Nach dem Massaker der Hamas erklärte sie sich mit den Terroristen solidarisch, schließlich sei „Widerstand in all seinen Formen“ das Recht „jedes unterdrückten Volks“. Bei der „Revolutionären Linken“ handelt es sich um Aktivisten, die wegen ihrer radikalen Haltung aus dem trotzkistischen Netzwerk „Marx 21“ ausgeschlossen wurden. Im Oyoun, das allein in diesem Jahr mehr als eine Million Euro an öffentlichen Fördergeldern erhielt, sind sie dagegen willkommen.

BDS-Unterstützer bekamen Räume

Zu einem ähnlichen Eklat kam es bereits im Mai 2022, als das Oyoun „Palästina Spricht“ in ihre Räume ließ. Auch diese Gruppe unterstützt die Boykottbewegung BDS. Auf dem Podium saß die Marx-21-Funktionärin Christine Buchholz, die die Terrorgruppen Hamas und Hisbollah bereits vor Jahren zu „legitimen Organisationen“ erklärte.

Als Reaktion auf den Abend stellte die Senatsverwaltung öffentlich klar, „Palästina Spricht“ vertrete Positionen, die sich „gegen das Existenzrecht Israels richten und als antisemitisch zu werten sind“. Eine Veranstaltung unter Beteiligung dieser Gruppe dürfe in einer öffentlich geförderten Einrichtung wie dem Oyoun keine Räume zur Verfügung gestellt bekommen.

Eine weitere, sehr deutliche Warnung erhielt das Oyoun im Sommer 2022. Da schickte die Senatsverwaltung den Verantwortlichen einen Zuwendungsbescheid. In ihm wurde das Oyoun noch einmal an die Gültigkeit des 2019 beschlossenen „Landeskonzepts zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention“ erinnert – Verstöße dagegen würden eine Förderung infrage stellen.

Vorwarnungen gab es viele

In diesem Konzept heißt es wörtlich: „Organisationen, Vereine und Personen, die die Existenz Israels als jüdischen Staat delegitimieren oder anderweitig antisemitisch agieren, werden keine Räumlichkeiten oder Flächen zur Verfügung gestellt und erhalten auch keine Zuwendungen oder Zuschüsse des Landes.“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste dem Oyoun klar sein, dass seine Förderung nicht nur ernsthaft gefährdet war, sondern zwangsläufig enden musste, sollte es weiterhin Gruppen einladen, die das Existenzrecht Israels ablehnen.

Ehemalige Mitarbeiter, Musiker und Freunde des Hauses sagen, sie seien wütend darüber, dass die Führung des Oyouns trotz klarer Rechtslage und mehrfacher Hinweise ihren radikalen Kurs beibehielt und so die Zukunft des Zentrums riskiert habe. Kernproblem, sagen einige, sei das autoritäre und herrische Auftreten von Mitgründerin und Geschäftsführerin Louna Sbou, die unfähig zu jeglicher Selbstkritik sei. Manche berichten, Sbou habe im Oyoun eine „Atmosphäre der Angst“ geschaffen. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärt das Haus, man sei von diesen Vorwürfen überrascht und trete ihnen „entschieden entgegen“.

Die radikale Ablehnung Israels ist von Louna Sbou schon länger bekannt. Vor dem Oyoun war sie Mitgründerin und Kuratorin des Café Be’kech im Wedding. Dass die Räumlichkeiten 2019 für einen Auftritt der verurteilten PFLP-Terroristin Rasmea Odeh zur Verfügung gestellt werden sollten, löste damals einen Skandal aus. Odeh hatte 1969 an einem Bombenattentat auf einen Jerusalemer Supermarkt mitgewirkt, bei dem zwei israelische Studenten getötet und neun weitere Menschen verletzt worden waren.

Zu dem Auftritt kam es am Ende nicht, da die Berliner Innenverwaltung Odehs Visum aufhob. Ihre Anhänger durften sich trotzdem im Be’kech versammeln, auf der Leinwand wurde eine kämpferische Video-Botschaft der Terroristin übertragen.

„Israelisch“ durfte nicht mal auf der Menütafel stehen

Bereits zu dieser Zeit wies Louna Sbou ihre Mitarbeiter an, israelische Lebensmittel konsequent zu boykottieren. Ihre Begründung: Weil das Café „Unterdrückung, strukturellen Rassismus und jede Form von Diskriminierung“ ablehne, kaufe oder unterstütze man keine Produkte des „Apartheidstaats Israel“.

Sbou untersagte ihren Mitarbeitern sogar, das Wort „israelisch“ zur Beschreibung von Speisen zu verwenden. Als eine Mitarbeiterin „Israeli stuffed tomatoes“ auf die Menütafel schrieb, wies Louna Sbou sie zurecht und erklärte, dies solle nicht wieder vorkommen.

Man muss sich dies vor Augen halten: In einem Café, das offiziell alle Formen von Diskriminierung bekämpft, darf nicht einmal das Wort „Israelisch“ auf einer Speisekarte stehen. 

Gegenüber dem Tagesspiegel erklären Jüdinnen und Juden, sich bei Besuchen im Oyoun unwohl gefühlt zu haben oder den Ort generell zu meiden. Gleiches erzählen Nichtjuden, die eine Dämonisierung Israels nicht hinnehmen wollen.

Nicht willkommen im Oyoun

Wie schnell man im Oyoun unerwünscht ist, hat Tayfun Guttstadt erlebt. Der Musiker türkischer Herkunft besuchte dort im vergangenen Herbst mit seiner zehnjährigen Tochter und deren Freundin eine Veranstaltung. Einer Anwesenden missfiel dies, wohl weil sie wusste, dass Guttstadt zwar Israels Regierung kritisiert, aber das Existenzrecht des jüdischen Staats achtet. Die Frau verlangte seinen Rausschmiss, ein Mitarbeiter des Oyouns setzte dies durch. Beim Verlassen des Gebäudes wurde Guttstadt mehrfach „Free Palestine“ hinterhergerufen.

Gegenüber dem Tagesspiegel stellt das Oyoun die Situation nun völlig anders dar: Der Musiker sei wegen „aggressivem Verhalten, Beleidigungen und Bedrohungen und zum Schutz anderer Besucherinnen“ des Platzes verwiesen worden.

Ein sonst immer freundlicher, ausgeglichener Musiker soll ausgerastet sein, im Beisein seiner zehnjährigen Tochter?  Die jetzt behauptete Version widerspricht zudem früheren Aussagen des Oyouns: Das Haus hatte nämlich bereits zugegeben, an besagtem Abend überhaupt nicht nach einer „näheren Begründung“ gefragt zu haben, bevor man Guttstadt hinauswarf.

Warum so lange geschwiegen wurde

Tayfun Guttstadt sagt: „Ich verstehe, dass viele Menschen lange zu den offensichtlichen Missständen im Oyoun geschwiegen haben, einfach aus Sorge, dass das Kulturzentrum ansonsten durch ein 08/15-Projekt ersetzt wird. Denn die Grundidee, eine kulturelle Anlaufstelle für marginalisierte Menschen, ist ja sehr gut.“ Dies habe allerdings auch schon das Vorgängerprojekt am Standort, die Werkstatt der Kulturen, geleistet. Guttstadt hofft, dass das Haus nach der Neuausschreibung nun wieder zu einem Ort werde, der „wirklich inklusiv“ ist. Die Unterstützer des Oyouns hoffen dagegen, den Förderstopp noch abwenden zu können. Die trotzkistische Gruppierung “Klasse gegen Klasse” hält das Ende der Förderung für einen “Angriff auf die antiimperialistische Bewegung”. Ein Autor der Zeitung „Junge Welt“ erkennt in der Entscheidung sogar „gelebten Rassismus bürgerlicher Politik“.

Für Donnerstag hat das Oyoun zur Pressekonferenz geladen, geplant ist auch ein dreitägiges Festival. Zudem haben die Betreiberinnen Klage eingereicht. Ändern wird dies alles wohl nichts: Die Kulturverwaltung wird die Förderung definitiv auslaufen lassen. Doch selbst, wenn sie ihre Entscheidung noch einmal überdächte, hätte sie keine Wahl. Vergangene Woche hat der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit großer Mehrheit eine sogenannte Maßgabe erlassen. Diese legt die Senatsverwaltung darauf fest, die „Verausgabung der Mittel“ für das Zentrum „mit einer Neuausschreibung der Betreibergesellschaft zu verbinden“.

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