zum Hauptinhalt
Der Berliner Pianist, Trompeter und Komponist Sebastian Studnitzky bei den Aufnahmen zu „Memento Odesa“.

© Alina Dichkova

Orchester im Echo des Kriegs: Ukrainisch-deutsches Projekt „Memento Odesa“ tourt durch Deutschland

Trotz des Kriegs tourt ein ukrainisches Orchester durch Deutschland. Die Musik dafür hat der Berliner Jazzmusiker Sebastian Studnitzky geschrieben. Am Sonntag tritt es in der Hauptstadt auf.

„Ich will euch daran erinnern, dass der Krieg nicht vorbei ist“, ruft Anastasia Pokaz dem am Samstagabend in der Potsdamer St. Nikolaikirche versammelten Publikum zu, und schiebt mit kämpferischer Stimme hinterher: „Wir brauchen eure Unterstützung jetzt mehr denn je.“ Nur zwei Nächte vorher wurde ihr Zuhause, die südukrainische Hafenstadt Odessa, von russischen Drohnenangriffen heftig getroffen. 20 Menschen sind dabei nach ukrainischen Angaben gestorben.

Kompositionen von Jazzer Sebastian Studnitzky

Inmitten dieser Kriegswirren ein ganzes Orchester für eine Tournee nach Deutschland zu bringen, klingt nach einer wahnsinnigen Idee. Doch genau das hat die Kuratorin und Sängerin Pokaz gemeinsam mit dem Berliner Jazztrompeter und Pianisten Sebastian Studnitzky, der auch das XJazz-Festival leitet, geschafft. „Memento Odesa“ heißt das Projekt, mit dem ein Teil des Symphonieorchesters Odessa gerade durch Deutschland reist. Nur ein Teil, da die männlichen Musiker zum größten Teil nicht ausreisen durften – auch das gehört zum Krieg dazu.

Angefangen hat es im Juli 2023, als Studnitzky mit einem kleinen Team und einer Reihe von eigens dafür geschaffenen Kompositionen nach Odessa gereist ist, um mit dem Orchester aufzunehmen. In dem Sommer strotzte die Hafenstadt vor Lebensfreude, der Krieg schien trotz Militärkontrollen und Straßenbarrieren nicht in unmittelbarer Nähe, die russischen Angriffe hatten vorerst geendet. Doch nur wenige Tage später schlugen die Raketen wieder ein – bis heute.

Die Idee entstand, das im Februar digital erschienene Mini-Album in Deutschland zu präsentieren, um Geld für ukrainische Hilfsorganisationen zu sammeln. Und, was vielleicht noch wichtiger ist: Nicht vergessen zu lassen, dass knapp 1300 Kilometer östlich von Berlin immer noch täglich Menschen ihr Leben verlieren. Dass die Angriffe jetzt, während der „Memento Odesa“-Tour, an Heftigkeit einen Höhepunkt erreicht haben, weist einmal mehr auf die Dringlichkeit des Anliegens hin.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Begleitet wird das Orchester unter der Leitung von Volodymyr Dikiy und Studnitzky von den Jazzmusikern Andrii Pokaz am Piano, Paul Kleber am Bass sowie Magro an Schlagzeug und Percussion. Zwischen den Welten von Jazz und Klassik lebend, fangen Studnitzkys Kompositionen Lebensdrang und Trauer zugleich ein, sind von einer Bedächtigkeit und Melancholie geprägt, ohne ins Dramatische zu verfallen. „Margolina“ klingt wie eine Erzählung in mehreren Akten. Eine tänzelnde Melodie wird von Studnitzky am Piano dargeboten, als die Streicher das Motiv übernehmen und es harmonisch umwandeln, bis eine düster anmutenden Ruhe aufkommt, in der hinein zuckende Phrasen der einzelnen Instrumente aufblitzen.

Am Samstagabend lebt die Vorstellung neben dem charaktervollen und dynamischen Klang der Streicher aus Odessa vom Zusammenspiel von Studnitzky und Pianist Andrii Pokaz. Die beiden eröffnen mit einem Duett, bei dem die getragenen Blues-Lines von Studnitzky, die grazil phrasiert werden und von einem luftigen, hingehauchten Sound geprägt sind, wunderbar über den spärlichen Begleitungen Pokaz’, die oftmals nur aus wenigen Noten bestehen, zur Geltung kommen.

Wenig später erklingen perkussive Töne, deren Quelle schnell als Tablas auszumachen sind, bevor das ukrainische Orchester anhebt und den hohen Kirchenraum mit zunächst ruhigen, dann kraftvollen Klängen füllt. Das Publikum, in dem auch viele Menschen aus der Ukraine sitzen, ist sichtlich gerührt.

Nach mehreren Standing Ovations und Umarmungen auf der Bühne wird deutlich, dass dieses Projekt auch für die beteiligten Musikerinnen und Musiker eine Kraft schenkende Erfahrung ist. Konzerte in ihrer Heimatstadt Odessa sind aktuell keine angekündigt – der Grund dafür ist der andauernde Ukraine-Krieg. Wer das Orchester live erleben will, kann das jedoch bis zum 21. März in Deutschland tun.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false