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Tropisches Memory. Die Fotografin Mimi Cherono Ng’ok rastert ihre Motive von Palmenblättern und Banadenstauden (Untitled, 2020).

© Mimi Cherono Nd'ok

Pflanzenfotografie in der Berlinischen Galerie: Natur ist Dada

Mangroven, Tannen, Rhabarber - die Formen von Pflanzen sind so ornamental wie grafisch. Sechs Künstler und Künstlerinnen setzen sich in der Ausstellung „Grünzeug“ in der Berlinischen Galerie damit auseinander.

Nanu, morgens um zehn eine Schlange vor der Berlinischen Galerie? Aber klar, das sind die Edvard-Munch-Enthusiasten, die in die Ausstellung „Zauber des Nordens“ strömen.

Bei „Grünzeug – Pflanzen in der Fotografie der Gegenwart“, geht es da meditativer zu. Pflanzen sind seit Beginn des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Sujet experimentierfreudiger Fotografen. Die Bilder können einen erstaunlichen Sog entfalten. Vom Witz gar nicht zu reden, der in den in Nahaufnahme fotografierten Runzeln von Rhabarber-Trieben ebenso zu nisten scheint, wie in den Stengelverzweigungen der Tollkirsche.

Sechs zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen sind mit knapp 70 Arbeiten vertreten. Und dazu historische Makrofotografien aus dem Folkwang-Auriga-Verlag, für die der Schriftsteller und Philosoph Ernst Fuhrmann 1924 bis 1932 von renommierten Fotografen ein Bildarchiv aus dem Geist der Neuen Sachlichkeit anfertigen ließ. Gewissermaßen als Formenschatz einer verborgenen organischen Welt, die nicht nur Ornament ist, sondern von Lebewesen erzählt.

Natur und Menschenordnung. Ingar Krauss, Ohne Titel, aus der Serie Holz, Schwarzwald 2018.

© Ingar Krauss

Die Spannung zwischen rein grafischer Struktur und der Aura der Bäume füllt auch Falk Haberkorns Foto „Schonung #2“, das das Entree zu „Grünzeug“ bildet. Es stammt von 2003 und zeigt eine Kiefernmonokultur in silbrigem Schwarzweiß. Baumplantagen wie diese sind geheimnislos, in ihrer Monotonie ein Symbol der vom Menschen nach Profitkriterien gestalteten Natur. Der dunkle Tann der deutschen Romantik, die den Wald zu einem Topos der Märchen und Mythen adelte, scheint in solchen Schonungen ebenso weit entfernt wie Rotkäppchen und der böse Wolf.

Mangrove und Müll. Susanne Kriemann, Mngrv polymersday, 2020.

© Susanne Kriemann/VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Nicht so bei Haberkorn, wo zwischen staksigen Stämmen mit rauer Borke Myriaden aufeinandergetürmter Nadeln auf dem Waldboden ruhen, und sich zwischen den Bäumen ein Pfad auftut, der ins Schwarz des Bildhintergrunds führt. Dieser fotorealistische und trotzdem verrätselte Wald ist eine Lockung und eine Warnung zugleich.

Viel weniger aufgeladen geht die Fotografin Mimi Cherono Ng’ok an die Abbildung der Natur heran. Sie hat ihre in tropischen Ländern aufgenommen Bilder von Bananenstauden und Palmenblättern zu einem Riesenraster multipliziert. 18 Motive, die sich zu einem Memory verschiedenfarbiger Grüns vereinen. Eine eher lapidare, ausschnitthafte Darreichungsform, die den Pflanzen genau jene Aura verweigert, die ihr Falk Haberkorn mit seiner „Schonung“ verleiht.

Das Ornament der Tannen. Stefanie Seufert, 1-07, 2008.

© Stefanie Seufert

Dass die Pflanzen die Leidtragenden des vom Menschen gemachten Klimawandels sind, aber durch die Photosynthese auch seine wichtigsten Verbündeten, um dessen Folgen zu begrenzen, steht heute als Subtext unter jeder zeitgenössischen Pflanzenfotografie. Susanne Kriemann geht in ihrer Serie „Mngrv polymersday“ noch einen Schritt der Verdeutlichtung weiter.

Sie hat 2020 in den indonesischen Mangrovenwäldern auf Pulau Bintan die bizarren Wurzeln und Zweige dieser Gewächse aufgenommen, die an Küstenlinien bis tief hinein ins Salzwasser siedeln. Und dort auch mit dem Zivilisationsmüll in Berührung kommen, den die Ozeane mit sich tragen.

Fünf Bildpaare zeigen die Mangroven und Plastiktüten oder Fischernetze, deren Struktur per Druck auf das Fotopapier gebracht wurde. Dass die Künstlerin dafür Schweröl aus der industriellen Fischerei verwendet hat, ist eine beziehungsreiche Zusatzinformation des Bildtextes, die dann aber doch etwas verkopft anmutet. Die Botschaft, dass eine unangetastete, unschuldige Natur im Anthropozän, in dem auch der letzte Winkel von menschlichen Hinterlassenschaften durchdrungen ist, nicht mehr existiert, begreift man auch so.

Ebenso wie das Wunder des vom Artensterben bedrohten tierischen und pflanzlichen Lebens. Es spricht aus der Schönheit der Waldfotos von Ingar Krauss, in denen Bäume und abgesägte Äste und Stämme in vertikalen und horizontalen Mustern von der Unordnung der Natur und der Ordnung des Menschen erzählen. Und aus den Tannenwipfeln, die Stefanie Seufert in lakonische abstrakte Formen bannt.

Sogar die Witze, die Andrzej Steinbach auf Einladung der Berlinischen Galerie mit den historischen Makrofotografien treibt, sind respektvoll. Er kombiniert in den von ihm gestalteten Vitrinen obskure Blütenstände beispielsweise mit dem Foto einer Leiter, an die per Schraubzwinge eine Packung Waschmittel geklemmt ist. Neben einen Blütenkelch, dessen Struktur den Speichen eines Fahrrads gleicht, setzt er eine Frau, die so ein Rad in der Hand hält. Das sind geschaffene Formzitate, die ebenso gaga anmuten wie die gewachsenen Absurditäten. Natur ist Dada, endlich ist es erkannt.

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