zum Hauptinhalt
Rebecca Merlics Installation „Glitchbodies“ beim „VR Kunstpreis“.

© VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin 2023 / © Rebecca Merlic

VR-Kunst in Berlin: Prophezeiungen von der KI und eine neue Haut

Im Haus am Lützowplatz sind im Moment fünf preisgekrönte VR-Kunstwerke zu sehen. Wie die Kunst unter der Brille wirkt und wieviel man davon verträgt.

Es ist gleich eine ganze Truppe, die man hier kennenlernen kann, queere Menschen aus aller Welt, samt ihres jeweils speziellen Habitats, einer Bar, einem Wald, einer Strandpromenade, einer Bibliothek.

Unter der VR-Brille erlebt man die Menschen dann in Statuen verwandelt, man kommt ihnen so nah, dass man glaubt, über die wächsernen Gesichter und Rücken streichen zu können. Ein Rücken mit Schrammen. Gesichter mit pixeligen Leerstellen.

Die Künstlerin Rebecca Merlic lässt bei ihren 3D-Scans von realen Personen die Glitsches, die Fehler, absichtlich drin. Das Unperfekte und Zufällige soll Bestandteil des Digitalen bleiben. Im „Glitch Feminism“, auf den sich die Künstlerin bezieht, begrüßt man die von der Technik produzierten Unregelmäßigkeiten und Zufälligkeiten, nichts muss der Norm oder den Beschränkungen der realen Welt folgen, auch nicht in Bezug auf Gender, ethnische Zugehörigkeit und Sexualität. Zu sehen ist Diversität im Cyberspace.

Das Motto des Preises ist „Virtuelle Utopien“

Rebecca Merlic ist eine von fünf Künstlerinnen, die beim diesjährigen „VR Kunstpreis“ nominiert waren und die in diesem Zuge ein VR-Kunstwerk zur Vollendung gebracht hat. Die Ausstellung „Unleashed Utopias“ setzt den Fokus auf Utopien, auf positive wohlgemerkt. Fünf Künstler:innen denken über Szenarien nach, in denen wir mit neuen Technologien Werte wie Offenheit, Toleranz und soziale Gerechtigkeit befördern, anstatt gesellschaftliche Konventionen zu übernehmen. Sie nehmen sich die Freiheit, das Digitale jenseits von Entertainment und Kommerz zu denken.

Rebecca Merlic hat für ihr Arbeit „Glitchbodies“ 60 reale Personen 3D gescannt.

© Rebecca Merlic

„Bei der Ausstellung war es uns wichtig, dass sich die analoge und die virtuelle Welt verschränken“, sagt Peggy Schoenegge, die gemeinsam mit der Kuratorin und VR-Kunst-Expertin Tina Sauerländer die Ausstellung der fünf nominierten Künstler:innen kuratiert hat. Das heißt, jedes Kunstwerk hat eine virtuelle und analoge Dimension, im Ausstellungsraum sind die VR-Brillen und Tablets in Installationen eingebettet. Bei Rebecca Merlic sieht man die 60 Menschen, die sie für ihre Arbeit 3D-gescannt hat, in einem Gruppenbild, kann sie in einem Game, einer Augmented Reality- und einer VR-Anwendung erleben – und zur Eröffnung traten einige im Rahmen einer Performance in Persona auf.

Es geht in diesem Stadium, in dem die Technologien immer noch neu sind, auch darum, das Publikum erstmal dazu zu bringen, sich die Brillen aufzusetzen oder die Controller anzufassen. Auch damit experimentiert die Kunst: liegen, stehen, sitzen wir, welche neue Formen der Interaktion kann es geben? Ob man tatsächlich seinen Akzeptanzmuskel trainiert, offener wird, weil man unkonventionellen Menschen virtuell und real begegnet ist eine andere Frage. Aber so funktioniert Kunst generell, sie bietet einen anderen Blick. Ausgang offen.

Treffpunkt am Brunnen

Den ersten Platz hat der im Iran geborene und in Berlin lebende Künstler Mohsen Hazrati gewonnen. Bei ihm beginnt alles an einem Brunnen im Ausstellungsraum, dem man sich mit einem Tablet nähert und der dann via VR auch in eine weitere Welt führt.

Die Jury hat überzeugt, dass Hazrati traditionelle Mythen und persische Literatur mit Techno-Kultur verbindet. Hazrati liefert sozusagen digitale Spiritualität. In seiner Arbeit werden von der KI verfasste Gedichte im Stil des persischen Dichters Hafiz den Besuchern als Prophezeiungen mit auf den Weg gegeben.

Moshen Hazratis Installation im Haus am Lützowplatz hat beim „VR Kunstpreis“ gewonnen.

© VR Kunstpreis der DKB/J. Pegman

Hazrati hat die KI auf die Gedichte von Hafiz trainiert, Wort- und Satzzahl analysiert, Schlüsselwörter definiert. Den Namen der Ausstellungsbesucher nutzt er als Trigger, um bestimmt Zahlenreihen zu generieren, die dann wiederum ein Gedicht auslösen.

Ein bisschen ist das so, als würde man im realen Leben einen Wellensittich auf das Buch von Hafiz fliegen lassen und die Zeile, auf der er sich niederlässt, als Hinweis für die eigene Lebenssituation verwenden. Das mit dem Wellensittich stammt aus dem Iran, man nennt es Bibliomantie. Wenn man mittels VR-Brille dann die von Hazrati erschaffende virtuelle Welt betritt, ist dort auch ein Wellensittich zugegen, die anderen Besucher, die schon eine Prophezeiung erhalten haben schwimmen als Fische herum. Die KI als Orakel funktioniert gut.

Dass die Künstliche Intelligenz sich in eine positive und negative Richtung entwickeln kann, ist Hazrati bei seiner Arbeit sehr bewusst. Er setze die KI sehr vorsichtig ein, sagt er am Telefon. Achte darauf, stets die Kontrolle zu behalten, programmiert vieler seiner Algorithmen selbst, störe die KI bewusst in ihrer Arbeit. Auf Augenhöhe mit der KI könnte man es nennen, wohl wissend, dass viele, die technisch nicht so versiert oder interessiert sind wie Hazrati, der digitale Kunst und neue Medien im Iran studiert hat, schnell an ihre Grenzen kommen werden.

VR oder die Systeme der Künstlichen Intelligenz werden ein „normales“ Medium in der Kunst werden, gleichbedeutend mit Malerei, Fotografie oder Video. Einige Hochschulen lehren inzwischen „Expanded Reality“, die nötige Hard- und Software wird erschwinglicher. Das Immersive wird Alltag. Das neue iPhone kann bereits 3D-Scans von der Umgebung machen.

Einziges Problem ist bisher noch, dass man es unter den VR-Brillen eigentlich gar nicht so lang aushält, als dass man alles wirklich in Ruhe betrachten könnte, die Inhalte, die Welten, die Ästhetik. Schon bei fünf Beiträgen kommt man ans Limit dessen, was man aufnehmen kann. Deshalb ist ja der analoge Teil der Ausstellung so wichtig. Vermutlich wird man sich als Betrachter daran gewöhnen, vielleicht bald so schnell zwischen den VR-Welten zu switchen wie von einem Gemälde zum nächsten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false