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Performance von Ulysses Jenkins „Without Your Interpretation rehearsal documentation“, 1984.

© courtesy of the artist/Ulysses Jenkins / courtesy of the artist/Ulysses Jenkins

Update für die Medienkunst : Das Erbe der Schwarzen Community

Ulysses Jenkins’ Kunst wird erstmals in Europa entdeckt: Kuratorin Meg Onli spricht im Interview über Schwarze Videokunst und Sichtbarkeit auf dem Kunstmarkt.

Der US-amerikanische Künstler Ulysses Jenkins, 1946 in Los Angeles geboren, wird soeben als Pionier der Schwarzen Videokunst in Berlin entdeckt. Seine Kunst, die Themen wie Race, Gender, Idendität und Ritual in Filmen und Performances verhandelt, gilt als wegweisend für nachfolgende Generationen.
Die Kuratorinnen Meg Onli und Erin Christovale, ebenfalls beide aus Los Angeles, ließen einen Großteil seines Werkes erstmals digitalisieren und organisierten die erste umfassende Retrospektive, die sich seinem Werk widmet. Die Ausstellung war 2021 am ICA Philadelphia und 2022 am Hammer Museum in Los Angeles zu sehen. Die Julia Stoschek Collection hat aus dem Konvolut des kalifornischen Videokünstlers drei Werke angekauft. Die von Onli und Christovale kuratierte Retrospektive „Without Your Interpretation“ ist derzeit in der Julia Stoschek Collection in Berlin zu sehen (bis 30.7.). Das Gespräch mit Meg Onli wurde am Rande der Berliner Eröffnung geführt.

Frau Onli, selbst in Los Angeles, wo Ulysses Jenkins seit fünf Jahrzehnten arbeitet, ist seine Videokunst kaum bekannt. Sie sagen, auch Sie selbst haben sein Werk erst 2014 wahrgenommen. Wie kommt das?
In Amerika existieren noch viele Vorurteile gegenüber Videokunst. Es gibt kaum Sammler, die Videokunst kaufen. Und Ulysses Jenkins war ohnehin nie Teil des Kunstmarktes. Für und mit der Schwarzen Community zu arbeiten, war ihm stets wichtiger. Deshalb wurde seine Arbeit nicht so sehr gesehen. Julia Stoschek hat die Ausstellung in Los Angeles gesehen und hatte sofort den Impuls, sie nach Europa zu bringen. Institutionen wie die Julia Stoschek Collection, die sich auf die Archivierung, Sammlung und Verbreitung von Videokunst spezialisiert haben, gibt es in Amerika nicht.

Ulysses Jenkins ist in der Künstlerszene von Los Angeles stark verankert. Er arbeitete eng mit Künstlern wie Senga Nengudi, David Hammons und anderen zusammen.
Viele Künstler, mit denen Jenkins befreundet war, verließen in den Siebzigerjahren bereits Los Angeles. David Hammons, die Performerin Maren Hassinger und andere gingen nach New York, wo sie mehr Aufmerksamkeit bekamen. Ulysses Jenkins hingegen blieb in Los Angeles und machte sein Ding weiter. Los Angeles war in dieser Zeit keine Kunststadt. Jenkins war nicht auf Ruhm oder auf das perfekte Video aus. Seine Kunst handelt von seinem Leben.

Inwiefern beeinflusst Ulysses Jenkins Werk die Arbeit jüngerer Generationen Schwarzer Künstler? Geht es immer noch um Fragen der Repräsentation?
Jenkins ist ein Pionier in der Arbeit mit Found Footage und Fernsehbildern. Er hat früh die Repräsentation von Schwarzen Menschen in den Massenmedien hinterfragt. Er ist in L.A. aufgewachsen, vom Fernsehen geprägt, denkt über das Fernsehen nach, ist aber auch an Hollywood, Film und Medien interessiert. Viele jüngere Künstler entdecken Jenkins‘ Arbeit nicht über Galerien sondern über das Internet.


Ulysses Jenkins begann seine Karriere als Wandmaler: „Centinela Valley Juvenile Diversion Mural Project documentation“, 1976.
Ulysses Jenkins begann seine Karriere als Wandmaler: „Centinela Valley Juvenile Diversion Mural Project documentation“, 1976.

© ULYSSES JENKINS/Ulysses Jenkins

Ulysses Jenkins war einer von vier Schwarzen Studenten, als er in den Siebzigerjahren am Otis College of Art and Design in Los Angeles studierte. Wie sehen sie die Repräsentation Schwarzer Künstler in der Kunstwelt heute?
Da ist noch sehr viel zu tun. Und nicht nur in Bezug auf Schwarze Künstler, sondern auch in Bezug auf Kuratoren, Direktoren und Verwaltung. Die Frage ist, wie das ganze Kunstsystem mehr ein Abbild der Welt sein kann, in der wir leben. Einzelne Communities bekommen vielleicht plötzlich Beachtung, Schwarze Künstler:innen oder indigene Künstler:innen. Aber es geht um das ganze Ökosystem. Wir müssen fragen, welche Künstler nehmen teil, welche sind ausgeschlossen?

Ulysses Jenkins hatte noch nie eine Einzelausstellung in einem Museum. Das ist unglaublich! Aber nicht nur marginalisierte Communities sind unterrepräsentiert. Es sind auch bestimmte Medien, etwa Performance, Poesie und eben Video, die nicht so leicht zugänglich und deshalb unterrepräsentiert sind.

Dabei möchte man meinen, Video ist das Medium der Zeit.
Wir sind umgeben von Film und Video. Es gibt in der Kunst aber trotzdem das Vorurteil, dass man eine Videoarbeit ganz sehen muss, um sie zu begreifen. Bei einem Gemälde hingegen reicht es scheinbar aus, wenn wir es nur eine paar Sekunden ansehen. Videokunst wird gerade in amerikanischen Kunstinstitutionen weniger wertgeschätzt als etwa Malerei.

Beim Aufbau der Ausstellungen in Philadelphia und Los Angeles diskutierten wir viel über die Frage, wie man Besucher dazu bringt, Zeit mit den Videos zu verbringen, welche Sitzgelegenheiten es braucht, welche Choreografie der Arbeiten. In Berlin war das weniger ein Thema. Hier scheinen die Besucher vertrauter damit zu sein, Videos in Kunstausstellungen zu sehen. Es ist eine interessante Frage, warum wir Videos in der Kunst nicht ernstnehmen, obwohl das Medium so sehr zum Alltag gehört.

Ulysses Jenkins hat für seine Videoarbeiten den Begriff „Doggeralismus“ geprägt. Was bedeutet das?
Per Definition geht es bei „Doggerel“ um einen „Vers im losen Stil und mit unregelmäßigem Versmaß“. Es steht für eine bestimmte Art von Commedy, die trivial und ein bisschen lächerlich ist. Jenkins verwendete diesen arhythmischen Stil, dieses Stolpern, als Schnitttechnik und Stilmittel in seinen Videos.

Doggerel ist für ihn eine Art, über Schwarzes Leben in Amerika zu sprechen. Es steht für die gelebte Realität der Unterdrückten. Jenkins spricht auch von seinem Leben als „Doggerel-Leben“. In der afroamerikanischen Community würde man sagen „lachen, um nicht zu weinen“.

Die Ausstellung heißt „Without Your Interpretation“. Das bezieht sich auf einen Artikel eines Kritikers, der in den Achtzigerjahren über Jenkins Arbeit schrieb. Und aus Jenkins Sicht alles missverstand. Worin liegt diese falsche Interpretation?
Ich habe versucht, diesen Artikel zu finden. Es ist mir aber nicht gelungen. Es geht wohl um eine Art Überinterpretation durch einen weißen Kritiker, der Jenkins’ Arbeit in den Kontext der weißen Kunstgeschichte setzte. Jenkins selbst lehnte das damals ab, er bezog sich nicht auf Fluxus, nicht auf abstrakten Expressionismus oder eine andere Strömung dieser Zeit.

Er wollte Kunst machen, die frei ist und neu, von und für die Schwarze Community. Das war das Ethos, das in Los Angeles damals herrschte: Schwarze Amerikaner spürten Ignoranz und reagierte mit ebensolcher. Der Titel ist aber auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Jenkins’ Arbeit sollte offen sein für Interpretationen aller Art. Ich denke, das sieht Ulysses Jenkins heute auch so.

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