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Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist Kolumnistin des Tagesspiegels.

© imago

Die Mitte läuft der AfD willig entgegen: Nicht die Freibadrandale eskaliert, sondern der Umgang mit uns Migranten

Die Zahl der Gewalttaten in Freibädern sinkt – trotzdem fordern Rechte sowie Politiker demokratischer Parteien mehr Repression. Unserer Kolumnistin macht das Angst.

Eine Kolumne von Sawsan Chebli

Meine Beziehung zu Freibädern ist eine emotionale. Als Mädchen durfte ich, im Unterschied zu meinen Brüdern, dort nicht hin. Wohl auch deshalb stieg meine Wut, als ich von Gewaltausbrüchen in Neuköllner Freibädern hörte. Ich setzte mich an den Rechner und wollte mit diesen arabischen Jungs abrechnen, wollte schreiben, dass mich ihr Verhalten anwidert und ja, auch ich wollte harte Strafen fordern.

Dann sprach ich mit Menschen, die in den letzten Wochen quasi täglich im Columbiabad waren und warf auch einen Blick auf offizielle Statistiken. Ohne Zweifel gab und gibt es jeden Sommer in deutschen Freibädern Übergriffe gegen Frauen, Schlägereien, Gerangel zwischen Besuchern und Aufsichtspersonal. Doch zum ganzen Bild gehört auch: Die Gewalt in Freibädern wächst nicht, vielmehr sinkt die Zahl solcher Vorkommnisse seit Jahren deutlich. Auch in Berlin.

Allein die Wörter ,Araber’, ,Türke’, ,Muslime’ triggern selbst Menschen, die ich sonst nicht für Rassisten halte.

Sawsan Chebli (SPD)

Was zeigt uns das? Nicht die Freibadrandale eskaliert, sondern der politische und gesellschaftliche Umgang mit uns Migrant:innen. Nicht nur von Rechtsextremen kommen Forderungen nach Abschiebungen und harten Strafen. Auch Politiker:innen demokratischer Parteien lieferten sich ein Wettrennen um die härteste Forderung nach mehr Repression.

Mir macht all das Angst

Ich hätte mir eher einen Wettstreit um die besten Ideen gewünscht, wie wir unsere Jugendarbeit verbessern, soziale Ungleichheit abschaffen und Chancengerechtigkeit bei Bildung und im Arbeitsmarkt erreichen. Wir brauchen dringend Fachkräfte aus anderen Ländern, geben Zugewanderten und ihren hier geborenen Kindern aber keinen fairen Zugang zu schulischer und beruflicher Bildung.

Anstatt alles dafür zu tun, dass das Zusammenleben funktioniert, wird Hass geschürt und Migrant:innen immer mehr das Gefühl gegeben: Ihr gehört hier nicht her. Ihr seid eine Last. Geht zurück in eure Heimat. Ex-Bundesminister Peter Ramsauer bezeichnete Flüchtlinge kürzlich als Ungeziefer. Mir macht all das Angst.

Ich habe das Gefühl, dass das, was unsere Gesellschaft ausmacht und zusammenhält, gerade unter die Räder kommt. Während rechtsextreme Gewalt verharmlost wird, flippen viele in der Politik und in der Öffentlichkeit bei Migrant:innen, die Fehler machen, ja auch Recht brechen, regelmäßig aus.

Allein die Wörter „Araber“, „Türke“, „Muslime“ triggern selbst Menschen, die ich sonst nicht für Rassisten halte. Mir macht Angst, wie der politische Diskurs scheinbar unaufhaltsam nach rechts außen driftet. Die AfD muss die Mitte gar nicht erobern, die läuft ihr willig entgegen.

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