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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der nigrische Präsident Mohamed Bazoum

© Imago/Stevens Tomas

Die übermächtige Last der Geschichte: Frankreich ist in Westafrika endgültig gescheitert

Eigentlich wollte Präsident Macron ein neues Kapitel mit den ehemaligen Kolonien aufschlagen. Aber er war zu inkonsistent. Nun wird ihm dafür, nicht erst im Niger, die Rechnung präsentiert.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Die Rolle Frankreichs als „Gendarm“ und Königsmacher in Westafrika ist beendet. Nach den Rauswürfen aus Mali und Burkina Faso 2022 und 2023 werden die französischen Truppen wohl auch aus Niger abziehen müssen.

Die Putschisten in Niamey haben den Sturz der gewählten Regierung zwar erst nachträglich als anti-französisch deklariert. Aber die Wut auf die ehemalige Kolonialmacht ist in den westafrikanischen Ländern einfach zu entfachen, weil sie so tief sitzt. Und weil Paris sie immer wieder nährt.

Damit ist die von Präsident Charles de Gaulle einst erdachte französische Variante des Postkolonialismus endgültig gescheitert. Frankreichs Größe sollte nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Weltbühne erhalten bleiben, indem man sich die Kolonien nach deren Unabhängigkeit als exklusive Einflusssphäre sicherte.

Schutz für die Machthaber im Austausch für Zugang zu Ressourcen

Frankreich versprach militärischen Schutz vor Putschversuchen. Im Gegenzug gewährten diese französischen Unternehmen den Zugang zu strategischen Ressourcen. Es flossen Provisionen in Millionenhöhe. „Françafrique“ nannte sich dieses Geflecht, das Kritiker als „inzestuös“ anprangerten.

Präsident Macron hatte sich durchaus bemüht, ein neues Kapitel aufzuschlagen, und mit seinen Initiativen in Frankreich Tabus gebrochen: Er entschuldigte sich für die Untätigkeit französischer Truppen beim Völkermord in Ruanda und ordnete die unabhängige Aufarbeitung der französischen Politik in Algerien und Ruanda an, um die Grundlage für eine neue Erinnerungs- und damit Außenpolitik zu schaffen. Aber das sind Langzeitprojekte, deren Wirkung sich nicht sofort entfaltet.

Gleichzeitig kam immer wieder die Arroganz der ehemaligen Kolonialmacht und die mittlerweile schon legendäre Inkonsistenz der Politik Macrons durch. So wie im Tschad, wo Macron noch 2021 eine dynastische Amtsfolge unterstützte und den Sohn eines Langzeitdiktators im Amt begrüßte.

Zum afrikanisch-französischen Gipfel in Montpellier 2021 hatte Präsident Macron Vertreter afrikanischer Zivilgesellschaften eingeladen. Dies war Teil der neuen Afrika-Strategie Frankreichs.
Zum afrikanisch-französischen Gipfel in Montpellier 2021 hatte Präsident Macron Vertreter afrikanischer Zivilgesellschaften eingeladen. Dies war Teil der neuen Afrika-Strategie Frankreichs.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Daniel Cole

Was Frankreichs Afrika-Politik nun zu Fall bringt, ist eben jene jahrzehntelange Unterstützung für die alten postkolonialen Eliten und Machthaber. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass diese oft um jeden Preis an der „Arbeitsteilung“ mit Frankreich festhalten wollen.

Die Wut vieler junger Menschen in Westafrika richtet sich in erster Linie gegen ihre eigenen korrupten, undemokratischen politischen Führer. Selbst wenn diese durch Wahlen an die Macht gekommen sind, ist das keine Garantie dafür, dass sie anschließend Demokratie fördern und Korruption bekämpfen.

Frankreich bleibt seine Soft Power: Sprache und Kultur

Es hat etwas Tragisches, dass Frankreich seine intime Beziehung zu Westafrika nicht konstruktiver gestalten konnte. Was bleibt, ist die sprachliche und kulturelle Verbundenheit – eine Soft Power, die es zu retten gilt. Dafür sollte Paris die letzten Instrumente seiner als imperial empfundenen bisherigen Politik über Bord werfen.

Auf europäischer Ebene könnte sich Frankreich von seiner dominanten Rolle verabschieden und anderen Ländern die Führung bei der Politik in Westafrika überlassen. Im Juli hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze den Vorsitz der Sahel-Allianz übernommen, welche die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern der Region koordiniert. Es könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein.

Afrikanische Gesellschaften versuchen verstärkt, sich von den eigenen korrupten Eliten und westlicher Interessenspolitik zu befreien. In der Hoffnung auf einen Bruch werden dabei  – wie jetzt in Niger  – offenbar auch Putsche in Kauf genommen. Das ist kein gradliniger Weg. Ausgang ungewiss.

Was aber klar ist: Das Scheitern des französischen Ansatzes geht nicht nur Frankreich etwas an: Mit reiner Interessenspolitik – wie jüngst beim EU-Migrationsabkommen mit Tunesien – wird Europa keinen Beitrag zu Stabilisierung und Entwicklung der afrikanischen Länder leisten.

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