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Ein Kampfpanzer Leopard 2 schießt während einer Bundeswehrübung.

© dpa/Peter Steffen

Langer Stellungskrieg droht: Der Westen bewegt sich bei der Ukraine-Hilfe – das ist auch höchste Zeit

Die Nato-Staaten erwägen endlich die Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine, auch der Blick auf die Krim ändert sich. Das ist auch nötig, denn Russland hat aktuell die Zeit auf seiner Seite.

Ein Kommentar von Benjamin Reuter

Und sie bewegen sich doch – endlich, muss man sagen. Der Westen ist vor der Ukrainekonferenz in Ramstein am Freitag offensichtlich bereit, Kiew weitere schwere Waffen und dringend benötigte Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz steht inzwischen in der Panzerfrage mit dem Rücken zur Wand.

Polen hat am Donnerstag angedeutet, notfalls auch ohne ein „Go“ aus Berlin Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken. Die immer wieder von Scholz angekündigte Führung kommt aktuell aus Warschau und London. Die Briten kündigten schon Anfang der Woche die Lieferung von Challenger-Kampfpanzern an. Wahrscheinlich ist, dass die Bundesregierung am Freitag nachzieht und Leopard-Lieferungen freigibt.

Gleichzeitig schnüren die USA ein weiteres großes Waffenpaket. Mit dabei sind leichte Panzer und Raketen, die bis zu 150 Kilometer weit fliegen, was eine Verdoppelung der bisher mit den Raketenwerfern Himars möglichen Reichweite bedeutet. Die gelieferten Fahrzeuge könnten zusammen mit den Leoparden und Challengern die geplante Frühjahrsoffensive der Ukraine entscheidend stärken. Zusätzlich will auch Kanada 200 gepanzerte Fahrzeuge liefern. Auch Schweden und Estland kündigten am Donnerstag große Waffenpakete an. Die Liste der Länder und Systeme dürfte am Freitag noch länger werden.

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Das Frühjahrspaket für Kiew ist dabei nur das materielle Zeichen, dass sich auch die Diskussion um die Ukraine und ihre Ziele im Krieg verändert. Und das ist vielleicht noch wichtiger als das, was jetzt schon auf den Lieferlisten steht.

Die Krim als Hebel am Verhandlungstisch

Wie die „New York Times“ am Mittwochabend berichtete, kann sich die US-Regierung mittlerweile mit dem Gedanken einer ukrainischen Offensive in Richtung Krim anfreunden. Bisher war die unausgesprochene Haltung des Westens bei allen Unterstützungsbekundungen für Kiew: Lasst das lieber bleiben.

Denn klar ist: Wenn es um die Rückeroberung der Krim geht, könnte Putin zum letzten, dem atomaren Mittel greifen. Eher noch, so scheint das Kalkül in Washington nun, könnte er sich aber an den Verhandlungstisch setzen, um zu retten, was zu retten ist.

Zur Wahrheit gehört aber auch – und deshalb ist es so wichtig, dass der Westen jetzt endlich entschieden handelt: Derzeit ist Putin siegesgewiss und denkt gar nicht an Verhandlungen. Zwar ist er inzwischen bei Plan D seiner Invasion angekommen, nachdem alle anderen gescheitert sind. Plan A war die Eroberung der gesamten Ukraine, Plan B die Eroberung des Donbass, Plan C ein Sieg im Energiekrieg gegen die Ukraine und Europa in diesem Winter. Aber eben dieser Plan D zeigt erste Erfolge.

Moskaus Armee versucht neuerdings, mit menschlichen Wellen die ukrainischen Stellungen zu überrennen. In Soledar, im Kampf um die Stadt Bachmut, hat diese Taktik schon funktioniert, wenn auch unter astronomischen Verlusten. Die Soledar-Strategie könnte die Blaupause für eine Frühjahrsoffensive Moskaus liefern, die erneut die Eroberung des gesamten Donbass ins Auge fasst. Kiew warnt seit Wochen, dass Russland eine entsprechende Offensive vorbereitet.

Putins Taktik der menschlichen Wellen

Rund 200.000 Mann hat Putin aus der letzten Mobilisierungswelle dafür noch in der Hinterhand, die derzeit in Russland und Belarus trainiert werden. Diese Zahl entspricht fast dem Kontingent, das er am 24. Februar 2022 über die Grenzen der Ukraine schickte.

Wir können es uns nicht erlauben, dass sich der Krieg hinzieht und zu einer Patt-Situation entwickelt.

Der britische Außenminister James Cleverly

Die Ukraine muss diese Streitmacht nicht nur aufhalten und Putins Kalkül Lügen strafen, dass er mehr Männer als Kiew Kugeln hat. Sie muss auch offensiv tätig werden, um Russland nicht zu erlauben, sich auf breiter Front defensiv und dauerhaft einzugraben. In diesem Fall würde ein jahrelanger halbeingefrorener Konflikt drohen, von dem nicht klar ist, ob Kiew die Kraft und der Westen den Willen hat, ihn durchzuhalten. Putin ist dagegen davon überzeugt, dass Russland beides hat.

Vor diesem Hintergrund geht in den westlichen Hauptstädten die Angst vor einem Erster-Weltkrieg-Szenario um. Vor genau dem warnte der britische Außenminister James Cleverly am Dienstag in Washington. „Wir können es uns nicht erlauben, dass sich der Krieg hinzieht und zu einer Patt-Situation entwickelt“, sagte er dort.

Um das zu verhindern, kommen in den nächsten Tagen Militärs aus der Ukraine und dem Westen zusammen, um die Offensivpläne der Ukrainer mit den Waffenlieferungen aus dem Westen abzustimmen.

Mit der Lieferung von Kampfpanzern fällt auch eine Barriere. Denn sie wurde – zumindest in Berlin – immer als rote Linie Putins betrachtet. Bisher gibt es aber keine Anzeichen, dass der sich darum schert, was aus dem Westen kommt. Auf keine Waffenlieferung hat der Kremlherrscher mit einer Eskalation reagiert. Die Kampfpanzer könnten nun den Weg freimachen für die Lieferung von Raketen mit größerer Reichweite und vielleicht sogar alten Sowjet-Kampfjets, die noch in Osteuropa verfügbar sind.

Zusammen mit den Flugabwehrkapazitäten, der Ausbildung Zehntausender ukrainischer Soldaten im Westen, präziser Artillerie und Raketenwerfern und den jetzt geschickten leichten und schweren Panzern ist die Ukraine in der Lage, auf Augenhöhe mit Moskau zu kämpfen. Dass sie die westlichen Mittel überraschend effizient einsetzen, haben die Ukrainer schon gezeigt.

All das ist die Vorraussetzung, dass dieser Krieg vielleicht doch dieses Jahr und am Verhandlungstisch mit einer starken Ukraine endet – und nicht in einem Erster-Weltkrieg-Szenario.

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