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Chinas Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden trafen sich zuletzt beim G20-Gipfel auf Bali im November 2022.

© Foto: AFP/Mandel; NGAN/Noel Celis

Sie müssen reden, aber Peking stellt sich taub: Xi Jinping sollte ans Telefon gehen

Selten war das Konfliktrisiko zwischen zwei Atommächten so hoch wie jetzt. Deshalb ist es fahrlässig, dass China Gesprächsversuche aus den USA und Taiwan ablehnt. Ein Plädoyer für den direkten Draht.

Ein Kommentar von Cornelius Dieckmann

Sie müssen reden. So schnell wie möglich. Selten waren die Beziehungen zwischen zwei Atommächten so schlecht wie aktuell jene zwischen China und den USA. Peking bedroht Taiwan, Washington stellt sich schützend an die Seite des demokratischen Inselstaats.

Letzteres ist mehr als begrüßenswert. Das Gefährliche an der Situation aber ist, dass die Auseinandersetzung über Bande stattfindet – in Statements und Gesten, Interviews und Reden, Drohgebärden und Reaktionen.

Wenn die Eskalation gebremst werden soll, braucht es dringend persönliche Kommunikation auf ranghoher Ebene. Das Problem: China will nicht.

Eine Konsequenz aus der Kubakrise von 1962, als die Welt am Rande eines Atomkriegs stand, war die Einrichtung des „roten Telefons“ zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml. Die USA und die Sowjetunion, regiert von Kennedy und Chruschtschow, hatten zwar kein Interesse an einer Annäherung, noch weniger jedoch an der Zerstörung des Planeten in einem nuklearen Weltkrieg.

Der Minimalkonsens zwischen den beiden Großmächten lautete: Wer im Begriff ist, die Menschheit in den Abgrund zu stürzen, ruft vorher sicherheitshalber nochmal an, um sich zu vergewissern, dass nicht doch ein Missverständnis vorliegt.

Es reicht nicht, wenn sich jeder seinen Teil denkt

Es ist die Kehrseite der „mutually assured destruction“, wie sie seither heißt – im Vokabular des Kalten Krieges ein „Gleichgewicht des Schreckens“. Beide Seiten wollen einander glaubhaft versichern, dass sie in der Lage sind, den anderen auslöschen.

Doch das ohnehin beängstigend riskante Konzept kann nur funktionieren, wenn die Parteien notfalls miteinander reden können, um rote Linien zu definieren oder Fehlinterpretationen und Überreaktionen zu vermeiden.

Die kommunikative Eiszeit zwischen China und den USA beunruhigt, ebenso die zwischen China und Taiwan. Was geschähe etwa, falls einer der vielen Militärjets, die Peking als Drohung täglich Richtung Taiwan schickt, eines Tages mit einem von Taipeh zur Abdrängung entsandten Flugzeug zusammenstoßen sollte? Ein Unfall als casus belli? Nicht undenkbar.

Man erinnere sich an den Schock, als im März eine US-Drohne mit einem russischen Flugzeug über dem Schwarzen Meer kollidierte und abstürzte. Die Vorstellung einer Konfrontation zwischen zwei Nuklearmächten, von denen eine gerade im imperialen Rausch ein Nachbarland auszulöschen versucht, war existenzieller Horror.

Vernünftigerweise kommunizierten Washington und Moskau schnell und direkt miteinander, um den Vorfall zu besprechen, trotz effektiv feindlicher Beziehungen seit Russlands Totalinvasion der Ukraine.

Im Fall China zeichnet sich auch diplomatisch ein Muster ab: Washington bekundet immer wieder Interesse an hochrangigen Gesprächen, Peking lehnt ab.

US-Präsident Joe Biden will erklärtermaßen eine „competition with guardrails“ schaffen, eine Rivalität mit Leitplanken. Sein Außenminister Antony Blinken hat den Wunsch geäußert, einen wegen der Verstimmung aufgrund eines chinesischen Spionageballons im Februar verschobenen Peking-Besuch nachzuholen.

Auch das Pentagon hat offenbar mehrfach versucht, Gespräche mit chinesischen Militärs aufzunehmen, nachdem Peking im August 2022 den Dialog einseitig abgebrochen hatte, eine Reaktion auf die Taiwan-Visite der damaligen US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi. Aus Peking: Funkstille.

Gleiches gilt für Kontaktversuche Taiwans. Mitunter herrscht im Westen die naive Vorstellung, die Regierung in Taipeh müsse nur den Dialog mit Peking suchen, um die Spannungen zu lösen, aber stelle sich stur. Das Gegenteil ist der Fall.

Als die liberale Staatspräsidentin Tsai Ing-wen 2016 ins Amt gewählt wurde, sprach sie umgehend ein Gesprächsangebot an die Volksrepublik aus, das sie seitdem mehrfach erneuert hat. Chinas Machthaber Xi Jinping jedoch lehnt es bis heute kategorisch ab, mit Tsais DPP-Regierung zu sprechen.

Selbst bei einfachen administrativen Fragen herrscht zwischen den jeweiligen Regierungsbehörden – in Taiwan der „Mainland Affairs Council“, in China das „Taiwan Affairs Office“ – kaum direkter Austausch, weil Peking nicht drangeht, wenn Taipeh anruft.

Die Nachrichtenagentur Reuters hat das unlängst eindrücklich recherchiert. Taiwan will Dialog, China lässt die Kampfjets sprechen. Ein fahrlässiges Spiel.

Nicht immer führen Gespräche zum Ziel, Angriffskrieger Wladimir Putin beweist das derzeit jeden Tag. Dass die Möglichkeit des Scheiterns zur Diplomatie dazugehört, macht sie aber nicht weniger ehrenwert.

Noch ist Ostasien dem Frieden näher als dem Krieg. Damit das so bleibt, reicht es nicht, wenn sich jeder seinen Teil denkt. Xi Jinping sollte ans Telefon gehen.

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