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Zu Besuch beim neuen Erdenbürger: Eine Hebamme und eine Mutter mit ihrem Kind.

© mauritius images / Cavan Images / Uncredited

Abrechnung in Kliniken: Koalition lässt sich von Hebammenprotest umstimmen

Im Streit um Pflegebudgets und Personaluntergrenzen ist die Ampel den Hebammen entgegengekommen. In der Geburtshilfe aber bleibt die Lage schwierig.

Für Deutschlands Hebammen dürfte es ein ungewohntes Gefühl gewesen sein. Denn über den heutigen Bundestagbeschluss konnten sie sich tatsächlich freuen. Möglich wurde dies, weil sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) von einem Protest der Hebammen und Familien umstimmen ließ.

Vorgesehen war ursprünglich, dass Hebammen von 2025 an nicht mehr aus dem Pflegebudget der Kliniken hätten bezahlt werden dürfen. Das war Teil des auf den Weg gebrachten Finanzstabilisierungsgesetzes für die gesetzlichen Krankenkassen.

Eine Petition zum Thema sammelte auf der Plattform change.org 1,5 Millionen Unterschriften und rief Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Plan. Die Koalition reagierte und änderte ihre Pläne. „Die Hebammen können ab 2025 im Pflegebudget voll angerechnet werden und die Krankenhäuser flexibel über sie verfügen“, sagte die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicole Westig dem Tagesspiegel.

Die Geburtshilfe rechne sich nicht über Fallpauschalen. „Deshalb wird es in Zukunft eine gesonderte Förderung nach dem Königsteiner Schlüssel geben, die die Kliniken bei den Vorhaltekosten finanziell unterstützt.“ Die Geburtshilfe solle dabei mit 120 Millionen Euro gestärkt werden. Streit gab es noch um ein zweites Thema, nämlich die Neufassung einer Verordnung, die Untergrenzen bei der Versorgung mit Pflegepersonal regelt. Darin ist festgelegt, wie viele Patienten auf eine Pflegefachkraft kommen dürfen. Werden die Werte nicht eingehalten, drohen Strafzahlungen.

Seit Januar 2022 gilt, dass höchstens zehn Prozent des Personals Hebammen sein dürfen. In der Nachtschicht sind es sogar nur fünf Prozent. Für die Praxis in den Wöchnerinnenstationen ist das ein nicht praktikabler Wert, denn dort sind Hebammen für die Versorgung der Patientinnen sehr wichtig.

Auch diese Regelung wird nun im Sinne der Hebammen geändert. Hebammen werden ab dem 1. Januar 2023 ohne Höchstanteil auf Geburtshilfestationen angerechnet. Geregelt wird dies nicht per Gesetz, sondern durch die Änderung der entsprechenden Verordnung. Vielen Hebammen ist laut Andrea Ramsell – Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes – zuletzt von der Klinikleitung geraten worden, sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen. Neueinstellungen seien nicht vorgenommen worden, trotz massiven Fachkräftemangels. „Die Kliniken haben enormen ökonomischen Druck. Lieber niemand da, als Strafe zu bezahlen, so ist bei vielen das Credo. Für die Versorgung von Frauen und Kindern ist das eine Katastrophe.“

Es fühlt sich nicht gut an, wenn man ständig denkt: Mit mehr Zeit hätte ich das doch besser machen können.

 Andrea Ramsell, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbands

Die Zahl der Kliniken, die Geburtshilfe anbieten, sinkt seit Jahren. Auch die Versorgung der Schwangeren und Gebärenden verschlechtere sich konstant, sagte Ramsell. „Die Verweildauer von Hebammen im Krankenhaus liegt im Durchschnitt bei etwa vier Jahren, vor allem deswegen, weil die Arbeitsbedingungen katastrophal sind. Eine gute Versorgung der Frauen kann nicht gewährleistet werden, wenn Hebammen im Kreißsaal drei bis fünf Frauen gleichzeitig betreuen müssen, die alle in der aktiven Geburtsphase sind.“

Die Arbeit sei nicht zu schaffen und dementsprechend sei der Krankenstand hoch. Der Personalstock sei immer weiter reduziert worden, die Hebammen durchgehend überlastet. „Es fühlt sich nicht gut an, wenn man ständig denkt: Mit mehr Zeit hätte ich das doch besser machen können“, sagt Ramsell. Ausfälle könnten nicht mehr kompensiert werden. „Wenn zum zehnten Mal im Monat am freien Tag die Klinik fragt, ob man schnell kommen kann, geht das an die Substanz.“

Die Ampel wollte das verbessern und hat sich im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Ziele darin sind etwa eine Eins-zu-eins-Betreuung während der Geburt und der Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle. Davon sei man im Moment noch weit entfernt, sagt Ramsell.

Trotz der geplanten Änderungen bleiben also viele Baustellen. Der Hebammenberuf müsse wieder attraktiver werden, sagt SPD-Sozialpolitikerin Heike Engelhardt dem Tagesspiegel. Dazu gehöre neben der Bezahlung, auch das Arbeitsumfeld attraktiv zu gestalten. Die aktuelle Einigung könne nur ein Anfang sein, sagt Saskia Weishaupt, Obfrau der Grünen im Gesundheitsausschuss.

„Im kommenden Jahr wird es deshalb eine umfassende Reform geben und auch ein starker Fokus darauf liegen, hebammengeleitete Kreißsäle auszubauen und zu einer engen Betreuung durch Hebammen in einem Eins-zu-eins-Verhältnis zu kommen“, so Weishaupt.

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