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„Attraktivität der Bundeswehr steigern“: Klingbeil lehnt Wehrpflicht ab – Gegenwind aus CDU und SPD
Der SPD-Chef setzt bei den Plänen, die Truppenstärke zu erhöhen, nur auf Freiwillige. Denen müsse man etwas bieten – etwa einen kostenlosen Führerschein. Nicht nur in der Union regt sich Widerstand.
Stand:
Angesichts der veränderten geopolitischen Sicherheitslage muss auch die Bundeswehr reformiert werden, darin sind sich die politischen Akteure weitgehend einig. Dabei geht es einerseits um Ausrüstung und anderseits darum, dass für die Bundeswehr dringend mehr Soldatinnen und Soldaten benötigt werden. Trotz großer Bemühungen ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Truppenstärke signifikant zu erhöhen.
Aktuell wird deswegen intensiv über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Sie war 2011 ausgesetzt worden. Angesichts der Personalnot bei der Bundeswehr hatten sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag auf einen „neuen attraktiven Wehrdienst“ geeinigt. Dieser soll „zunächst auf Freiwilligkeit“ basieren.
Es ist unsere Aufgabe, der Truppe die öffentliche Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdient hat.
Lars Klingbeil, Co-Chef der SPD
Noch in diesem Jahr sollten dazu die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung geschaffen werden, heißt es in dem Dokument. Der alte und voraussichtlich neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte sich dabei an Schweden orientiert.
Die Union hatte ursprünglich eine Rückkehr zur Wehrpflicht verlangt. Generalinspekteur Carsten Breuer hat gerade klargemacht, dass er auf eine Erhöhung der Truppenstärke vor allem durch Reservisten setzt.
Während von Experten bezweifelt wird, dass ohne einen Pflichtdienst ausreichend Männer und Frauen für die Bundeswehr gewonnen werden können, pocht der Co-Vorsitzende der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil, auf die Freiwilligkeit. Er setzt auf einen anderen Weg. Wünschenwert sei eine Armee aus Freiwilligen, die aus eigenem Antrieb und Überzeugung den deutschen Streitkräften beitreten. „Das stärkt unsere Verteidigungsfähigkeit“, sagte Klingbeil.

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„Wir müssen die Attraktivität der Bundeswehr steigern. Ich bin mir sicher, über diesen Weg wird man ausreichend Freiwillige finden“, sagte er den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“. „Warum sollte man beim Bund nicht wieder kostenlos den Führerschein machen können?“
Auf die Nachfrage, ob die Bundeswehr als Freiwilligenarmee kriegstüchtig werde, sagte der 47-Jährige: „Es ist unsere Aufgabe, die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen, unsere Soldatinnen und Soldaten gut auszustatten mit moderner Ausrüstung und der Truppe die öffentliche Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdient hat.“
Union wäre Wehrpflicht lieber
Der mögliche Koalitionspartner der SPD ließ Widerspruch erkennen. „Die Union hätte eine sofortige Wehrpflicht befürwortet, weil wir in vier Jahren mindestens 100.000 Personen mehr militärisch ausgebildet haben müssen“, sagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul am Ostersonntag dem Tagesspiegel.
„Jetzt beginnen wir mit einer Freiwilligkeit, die wir in der Tat attraktiv gestalten wollen“, sagte der CDU-Außenpolitiker, der als möglicher künftiger Außenminister einer schwarz-roten Koalition gilt. Während der Legislaturperiode „müssen wir aber immer prüfen, ob die Bundeswehr genügend Personal erhält und gegebenenfalls zu Wehrpflichtmodellen übergehen“. Bis dato aber hätten Union und SPD „vereinbart, es zunächst ernsthaft mit der Freiwilligkeit zu versuchen“.
Die Bundeswehr habe, sagte Wadephul, „einiges zu bieten, vom Führerschein über berufliche Qualifikationen bis zur Schulung der eigenen Führungsfähigkeit“.
SPD-Politiker Bartels hält Wehrpflicht für unverzichtbar
Auch der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels widersprach Klingbeil. „Ohne das Wiederaufleben der Wehrpflicht in angepasster Form wird die Bundeswehr nicht größer, kampfkräftiger und einsatzbereiter“, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel.
In der neuen Legislaturperiode müsse die Truppe von 180.000 auf etwa 250.000 aktive Soldaten aufwachsen, sagte Bartels. Zu Zeiten des Kalten Krieges vor 1990 habe die Bundeswehr 495.000 Soldaten gezählt. Hinzu kamen die Soldaten der Alliierten, und in der DDR die der Nationalen Volksarmee (NVA).
Ohne das Wiederaufleben der Wehrpflicht in angepasster Form wird die Bundeswehr nicht größer, kampfkräftiger und einsatzbereiter.
Hans-Peter Bartels (SPD), ehemaliger Wehrbeauftragter
„Mehr Geld für mehr Waffen allein macht Deutschland noch nicht ,kriegstüchtig’ und zum Kern der konventionellen Abschreckung in Europa“, sagte Bartels in Anspielung auf das Wort von Verteidigungsminister Pistorius, wonach Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse.
„Wir brauchen auch mehr Soldaten – und eine substanzielle Reserve dazu!“, sagte Bartels: „Die Zeit der Friedensdividende mit einer reinen Freiwilligenarmee ist unwiderruflich vorbei.“
Kretschmann fordert Pflichtjahr für junge Menschen
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach sich für ein Pflichtjahr für einen verpflichtenden Dienst an der Gesellschaft für junge Menschen aus.
„Es braucht Verteidigungsbereitschaft. Deswegen trete ich für ein republikanisches Pflichtjahr aller jungen Bürgerinnen und Bürger ein“, sagte Kretschmann dem Nachrichtenportal „ZDF heute“ und ergänzte: „Früher war es der Wehrdienst oder Zivildienst. Das kann man heute neu komponieren. Aber ein Wehrdienst gehört tragend dazu.“
2024 verzeichnete die Bundeswehr fast ein Fünftel mehr Bewerbungen als im Vorjahr. Rund 51.200 Menschen hätten sich im vergangenen Jahr für den militärischen Dienst bei den Streitkräften beworben, so das Personalamt der Bundeswehr in Köln am Donnerstag. Es bestätigte damit einen Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Im Jahr 2023 seien es noch 43.195 Bewerbungen gewesen. Das ist ein Plus von 18,5 Prozent.
Ein entscheidender Faktor für die höheren Bewerberzahlen ist aus Sicht des Personalamtes die gezielte Ansprache junger Menschen über Social-Media-Kampagnen, wie eine Sprecherin der Nachrichtenagentur AFP sagte. Sie verwies auch auf Angebote regionaler Rekrutierungsveranstaltungen.
Der Sprecherin zufolge stieg auch die Zahl der Bewerberinnen bei der Bundeswehr deutlich an. Die Zahl der Frauen habe sich um rund 1000 oder 14 Prozent auf 8200 erhöht. Der Anteil an allen Bewerbungen lag damit bei 16 Prozent.
Im Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl, heißt es, dass im vergangenen Jahr rund 20.290 Soldatinnen und Soldaten tatsächlich ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten haben. Dies war ein Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Zahl der Männer und Frauen in der Bundeswehr ist trotz verstärkter Personalwerbung unter dem Strich rückläufig. Stand 31. Januar 2025 gab es nach Angaben des Verteidigungsministeriums 182.857 Männer und Frauen in Uniform. Ende 2022 hatte die Bundeswehr noch 183.050 Soldaten.
Gleichzeitig wird die Bundeswehr immer älter: Während das Durchschnittsalter Ende 2019 noch 32,4 Jahre betrug, ist es bis Ende 2024 auf 34 Jahre gestiegen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte Mitte der Woche gefordert, die Bevölkerung bei den Plänen zum Wehrdienst stärker beteiligen. „Derzeit wird die Debatte über die Köpfe der jungen Menschen und der Eltern hinweggeführt“, sagte Kretschmer dem „Spiegel“. Man müsse die Bevölkerung bei der Frage nach der Form der Wehrpflicht einbeziehen.
Ein repräsentativ gebildeter Bürgerrat könne dabei ein Instrument sein, so Kretschmer. Vielleicht gebe es auch „einen klugen Weg“, Volksbefragungen auf Bundesebene zu ermöglichen.
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