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Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern.

© dpa/Sven Hoppe

Bayern und das neue Bundeswahlrecht: Was wäre, wenn die CSU tatsächlich unter fünf Prozent bliebe?

Die Union will gegen das Ampel-Wahlgesetz in Karlsruhe klagen, um das Ende der Grundmandatsklausel zu verhindern. Auf die Richter kommt ein ziemlich vertracktes Problem zu.

Die CSU ist auf den Barrikaden. Seit die Ampel am vergangenen Freitag das neue Wahlgesetz im Bundestag gegen die Stimmen von Union und Linken, bei Enthaltung der AfD, durchgesetzt hat, sieht sie sich in der Opferrolle und die Demokratie in Deutschland gefährdet.

Vor allem aber in Bayern. Denn wenn die CSU von sich spricht, dann ist immer auch das ganze Land gemeint. Seit 1957 stellt sie ununterbrochen die Ministerpräsidenten im Freistaat. In der Bundespolitik nimmt sie die Rolle einer Regionalpartei mit gesamtstaatlichem Gestaltungsanspruch ein.

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Die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag wird zwar verlässlich nach jeder Wahl bestätigt. Aber die CSU ist eine eigenständige Partei, mit eigenem Programm, eigener Personalpolitik, eigenen Finanzen. Und eigenständig tritt sie auch bei den Bundestagswahlen an. Weshalb die bundesweite Fünfprozenthürde auch für sie gilt.

In ihren wirklich guten Zeiten war sie immer weit entfernt davon, sich deswegen kümmern zu müssen. Unter dem Vorsitzenden Franz Josef Strauß lag sie regelmäßig um die zehn Prozent bundesweit (weil in Bayern bei weit über 50 Prozent). Später waren es dann komfortable sechs bis neun Prozent.

Aber seit die CSU 2021 unter der Führung von Markus Söder nur bei 5,2 Prozent landete, ist die Hürde ein Thema. Wobei eine Klausel im bisherigen Wahlrecht bisher dafür sorgte, dass die Hürde nicht zum Angstthema werden musste. Denn es galt, dass Parteien, die unter fünf Prozent der Zweitstimmen bleiben, dennoch in den Bundestag kommen, wenn sie drei Direktmandate gewinnen.

Deshalb ist Die Linke (Zweitstimmenergebnis 4,9 Prozent) derzeit noch im Parlament vertreten. Sie lag in drei Wahlkreisen in Berlin und Leipzig vorn. Die CSU hat meist alle Wahlkreise gewonnen. Selbst 2021 gingen trotz eines schlechten Ergebnisses von landesweit 31,7 Prozent noch 45 der 46 Direktmandate an die CSU.

Seit der vorigen Woche ist die Welt aber eine andere. Am Freitag beschlossen SPD, Grüne und FDP diese vor allem für die CSU angenehme Regelung – sie heißt offiziell Grundmandatsklausel – abzuschaffen. Die Begründung lautete, dass sie systematisch nicht mehr in das neue Wahlrecht passe, in dem der Einfluss der Erststimmen auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgeschlossen wird.

Wahlkreise samt Direktmandaten werden über die Erststimmen gewonnen, daraus resultieren die Überhänge, die es nicht mehr geben soll. Beim Beibehalten der Klausel könnte eine Partei, die zu wenig Zweitstimmen hat, um ins Parlament zu gelangen, jedoch wieder über Erststimmenerfolge einziehen.

Ein Systembruch im Gesetz?

Den Widerspruch hatte sogar die Union zunächst so gesehen, denn zu den Gründen, weshalb sie Kritik übte am Ampel-Modell, gehörte das Beibehalten der Grundmandatsklausel. Man nennt das einen „Systembruch“, was auf einen Verstoß gegen die Normenklarheit eines Gesetzes hinausläuft. Es hätte ein Klagegrund sein können, denn auf diese Klarheit pocht das Bundesverfassungsgericht gern.

Nun wird umgekehrt das Abschaffen der Klausel von der Union als möglicher Klagegrund gesehen. Söder jedenfalls hat den Gang nach Karlsruhe angekündigt.

Aktuell gäbe es zwar wenig zu fürchten in der Parteizentrale der CSU. Nach einer Berechnung des Hamburger Wahlinformationsdienstes „election.de“ auf der Basis der neuesten Umfragen ist die CSU aufgrund eines bundesweiten Zweitstimmenergebnisses von sechs Prozent locker im Bundestag. Von den 46 Direktmandaten würden drei nicht zugeteilt, weil sie Überhänge wären. Kein massiver Einschnitt also. Geklagt soll trotzdem werden. Es könnte ja anders kommen.

Verfassungsrechtlich zweifelhaft?

Doch wie sind die Aussichten? Zwei Beiträge von Juristen auf dem Portal „Verfassungsblog“ präsentieren sehr unterschiedliche Einschätzungen. Der Kölner Rechtsprofessor Christoph Schönberger kommt zum Schluss: keine Chance. Die Kritiker des Ampel-Gesetzes könnten kein „auch nur von Ferne valides verfassungsrechtliches Argument gegen die Streichung vorbringen“. Ersetzt werde das durch „verfassungspolitisches Klagen und Raunen“. Das Ende der Klausel entspreche dem Grundkonzept des neuen Wahlrechts.

Es ist nicht Aufgabe des Wahlrechts, politische Geschäftsmodelle ehrgeiziger Regionalparteien zu fördern.

Christoph Schönberger, Verfassungsjurist

Was die CSU konkret betrifft, findet Schönberger deutliche Worte. Es mute grotesk an, „wie sehr diese Partei nunmehr versucht, ihre eigene Entscheidung, bei Bundestagswahlen ausschließlich in Bayern anzutreten, als Problem des zukünftigen Wahlrechts darzustellen“. Es sei nicht dessen Aufgabe, „politische Geschäftsmodelle ehrgeiziger Regionalparteien zu fördern, die Sorge haben, vor Ort nicht länger fünf Prozent der Wähler für sich zu gewinnen“.

Eine etwas andere Einordnung nimmt dagegen der Berliner Rechtswissenschaftler Dominik Rennert vor. Die Grundmandatsklausel markiere keinen „Systembruch“, sondern sichere Parteien den Einzug in den Bundestag, die politische Bedeutung besäßen, weil sie Wahlkreise gewinnen könnten.

Die Grundmandatsklausel ist weiterhin gut zu rechtfertigen.

Dominik Rennert, Verfassungsjurist

Rennert bezieht sich dabei auf ein Karlsruher Urteil von 1994 und betont, dass in aller Regel regionale Bedeutsamkeit für die Klausel spreche. Das Ampel-Wahlgesetz bringe hier keine Veränderung, die Klausel sei weiterhin „gut zu rechtfertigen“. Rennert argumentiert, dass ein Ausscheiden der regional bedeutsamen CSU in ein „ernstzunehmendes Legitimationsproblem für das Wahlsystem“ umschlage, weil dann auch ein ganzes Land nicht mehr „proportional getreu abgebildet wird“.

60 statt 100 Sitze für Bayern

Für den Tagesspiegel hat „election.de“ berechnet, was passieren würde, läge die CSU nicht bei sechs Prozent, sondern nur bei 4,9 Prozent. Die 46 Direktmandate, welche die Partei in Bayern dann immer noch gewinnen würde, würden komplett verfallen, weil das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde das nach dem neuen Gesetz auslöst. Die CSU wäre an der Sitzverteilung nicht mehr beteiligt.

Feste Sitzkontingente für die Länder sind nicht vorgesehen. Die Mandate der Parteien werden in einem zweistufigen Verfahren zugeteilt, in dem zuerst der bundesweite Sitzanspruch festgestellt wird. Es folgt die Verteilung dieser Sitze nach den jeweiligen Zweitstimmen auf die Länder. Bayern wäre mit 100 Abgeordneten im Bundestag vertreten, wenn die CSU mitzählen würde. Ohne die CSU wären es nach der Projektion nur noch 60.

Bundesweite Verteilung

Diese würden sich auf SPD, Grüne, AfD und FDP verteilen. Es wären aber nur drei Mandate mehr, als diese vier Parteien in Bayern bekommen hätten, wäre die CSU im Bundestag. Der Rest der durch das Ausscheiden der CSU verfügbar gewordenen Sitze würde bundesweit verteilt. Verglichen mit dem Szenario, in dem die CSU sechs Prozent erringen würde, hätte die CDU dann zwölf Abgeordnete mehr, die SPD elf, bei den Grünen wären es neun, bei der AfD acht und der FDP drei. Der Parteienproporz wäre dann hergestellt. Aber die föderale Verteilung hätte ein Schieflage.

Das ist das Ergebnis mit Blick auf die CSU-Problematik, vor der das Bundesverfassungsgericht stünde, käme es zu einer Klage. Es läuft also auf eine Abwägung zwischen Verfassungsrecht und Verfassungspolitik hinaus. Einerseits scheint das Fortbestehen der Grundmandatsklausel rechtlich nicht geboten zu sein. Andererseits hat das Streichen Folgen für die Sitzverteilung im Bundestag, die zumindest nicht ganz unbedeutend sind.

Die Ampel-Koalition hat das durchaus auf dem Schirm. Sie hat angeboten, gesetzlich die Möglichkeit einer Listenverbindung zu schaffen. Dann könnten CDU und CSU eine Zählgemeinschaft bilden bei Bundestagswahlen, so wie sie im Bundestag in einer Fraktionsgemeinschaft verbunden sind. Ein anderer Weg, der auch den Linken nutzen würde, wäre eine deutlich abgesenkte Zugangshürde – etwa vier statt fünf Prozent.

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