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Glaubenssache Globuli: Ein kleiner Junge bekommt homöopathische Zuckerkügelchen verabreicht.

© Frank Rumpenhorst/ dpa

„Beliebtheit ersetzt keine Wirksamkeit“: Natalie Grams-Nobmann war einst Homöopathin - heute ist sie scharfe Kritikerin von Globulis und Co.

Die Ärztin Natalie Grams-Nobmann erklärt im Interview, warum sie sich dafür einsetzt, dass hömöopathischen Mitteln der Status des Arzneimittels aberkannt wird.

Halten Sie den Vorstoß Karl Lauterbachs für richtig, Homöopathie als Satzungsleistung der Krankenkassen zu streichen?
Auf jeden Fall. Meines Erachtens kommt der Vorstoß jedoch deutlich zu spät, Herrn Lauterbachs Vorgänger haben einen großen Bogen um das Thema gemacht. Und das eigentliche Problem ist: Homöopathischen Mitteln müsste der Status als Arzneimittel aberkannt werden, den sie per Gesetz ohne wissenschaftlichen wirkungsnachweis Zugesprochen bekommen haben. Würde das passieren, hätte das automatisch zur Folge, dass sie keine Kassenleistung mehr wären.

Homöopathischen Mitteln müsste der Status als Arzneimittel aberkannt werden, den sie per Gesetz ohne wissenschaftlichen wirkungsnachweis zugesprochen bekommen haben.

Natalie Grams-Nobmann, Medizinerin.

Das wäre der deutlich größere Schritt, vor dem die Politik nicht länger zurückscheuen darf. Hersteller und Konsument:innen würden vermutlich auf die Barrikaden gehen, würde ihren Mitteln die „öffentliche Glaubwürdigkeit“ qua gesetz genommen. Aber Solidargeld sollte nicht für Unwirksames ausgegeben werden. Schon gar nicht in Zeiten wie heute. 

Wieso kommt die Entscheidung so spät, wo der Nutzen von Globuli doch seit Jahrzehnten in Frage gestellt wird? 

Genau aus dem Grund, aus dem die Diskussion darüber so intensiv geführt wird: Homöopathie hat eine starke Lobby, das ist eine Industrie mit mehreren hundert Millionen Jahresumsatz. Für die Kassen ist Homöopathie eigentlich nur ein gutes Marketingmittel: Sie zeigen sich damit als tolerant und weltoffen, Globuli sind ein nettes add on, das vor allem junge und gesunde Menschen, also „gute Risiken“, anziehen soll.

Ein Problem ist, dass viele Menschen Homöopathie mit Naturheilkunde gleichsetzen, ein weit verbreitetes Missverständnis.

Natalie Grams-Nobmann, Medizinerin.

Bei den Kassen, die ja selbst über die Satzungsleistungen entscheiden, will anscheinend niemand den ersten Schritt gehen, um keinen Wettbewerbsnachteil zu erleiden. Insofern muss es wohl von außen kommen. Ein Problem ist außerdem, dass viele Menschen Homöopathie mit Naturheilkunde gleichsetzen, ein weit verbreitetes Missverständnis:

Es ist beispielsweise erwiesen, dass Johanniskraut wirksam gegen leichte Depressionen sein kann, das ist wirksame Naturheilkunde. In der Homöopathie hingegen ist oft alles, was wirken könnte, herausverdünnt und was man einnimmt, ist zumeist reiner Zucker. Placebos können viel, aber sie als Arzneimittel anzupreisen halte ich für ethisch nicht vertretbar.

Frau Grams-Nobmann, Sie waren selbst bis vor wenigen Jahren Verfechterin der Hömöopathie. Was ist passiert? 

Ich wollte ein Buch schreiben, indem ich die Homöopathie verteidige. Sie hatte mir einmal sehr geholfen und ich habe dabei nach und nach verstanden, was da in Wahrheit gewirkt hat. Da muss man dann ehrlich zu sich sein: Beliebtheit ersetzt keine Wirksamkeit. Kassen sollten sich nicht an dieser Illusion beteiligen. 

Aber woher rührt dieser starke Glaube an die Homöopathie? 

Vor allem geht die homöopathische Therapie mit mehr Zeit und Wertschätzung einher. Die Menschen fühlen sich gesehen, haben das Gefühl, mehr Zuwendung zu erfahren. „Ich gebe Dir nicht irgendein Mittel, Du bist für mich nicht irgendein Fall“, dass ist das Gefühl, das vermittelt wird. Außerdem gibt einem der Griff zu den Globuli ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, das wird ja auch so beworben.

Natürlich hilft das, psychologisch. Dieser gute Teil, mehr Zeit für die Patient:innen, der sollte in der wissenschaftlichen Medizin natürlich genauso da sein. Dafür braucht es aber natürlich mehr Geld und andere Strukturen im Gesundheitswesen. Homöopathie wird außerdem oft als die „sanfte Alternative“ gesehen. Aber das ist nicht wahr, die Homöopathie ist nicht sanft, sie ist schlicht unwirksam – und ganz sicher keine Alternative zu wirksamen Therapien. 

Fakt ist, dass es einen riesigen Markt gibt und der Glaube in der Gesellschaft auch höchstwahrscheinlich trotz Lauterbachs Vorhaben bestehen bleiben wird. Wie könnte dem möglicherweise entgegengewirkt werden? 

Ich bin mir sicher, dass der Wind in Deutschland sich bereits gedreht hat. Wir sind an einem Kipp- und Wendepunkt. Die Kritik und die Gründe dafür sind immer mehr in der Gesellschaft angekommen. Und nachdem der Umsatz homöopathischer Mittel über Jahre immer weiter angestiegen war, ist er seit 2016 / 2017 rückläufig. Ich hoffe sehr, dass dieser Trend anhält - und es irgendwann so ist, dass es ein Wettbewerbsvorteil für Kassen ist, wenn sie sich von dieser Geschäftemacherei lossagen und ihren Versicherten vermitteln, dass sie für echte Medizin stehen. 

Wie sieht es denn in anderen Ländern aus? Werden auch dort homöopathische Mittel von den Kassen gezahlt oder „siegt“ dort die Evidenzbasierte Medizin? 

Deutschland ist die Wiege der Hömöopathie, deshalb ist sie in den deutschsprachigen Ländern besonders stark verankert und wird sehr gefördert. In Großbritannien, Frankreich und Spanien etwa sind homöopathische Mittel bereits als Kassenleistungen gestrichen und zum Teil auch kein Arzneimittel mehr - und die Nachfrage lässt deutlich nach. 

© privat.

Das wirft ein Licht auf das Scheinargument der Beliebtheit von Homöopathie – ist sie nur beliebt, wenn die Kassen dafür erstatten? Andere europäische Länder; z.b. in Skandinavien, kennen keine Bevorzugung von Homöopathie im Gesundheitssystem.

Norwegen ist dabei, die Homöopathie vollständig aus den Apotheken zu verbannen. Übrigens: Niemand will die Homöopathie verbieten, man darf daran glauben, wie an einen Glücksbringer und soll sie auch weiterhin erwerben können. Und muss sie dann eben auch selbst bezahlen. 

Wie hat sich Ihr Leben durch die medizinische Kehrtwende, die sie durchgemacht haben, verändert? 

Enorm. Ich bin seit Jahren Hass, Bedrohungen und Verfolgung ausgesetzt, ich habe teils Polizeischutz benötigt. Ich wurde nicht nur von Privatpersonen angegriffen, sondern auch zur Zielscheibe von Herstellern, die gegen mich juristisch vorgehen wollten.

Meinen Beruf als praktizierende Ärztin kann ich nicht mehr ausüben, es ist zu gefährlich, in einer Praxis oder einer Klinik präsent zu sein. inzwischen arbeite ich vor allem in der Wissenschaftskommunikation. 

Dieses Thema ist nach wie vor emotionsbeladen, obwohl es doch ein Sachthema ist, bei dem die Fakten klar auf dem Tisch liegen. Vermutlich liegt die Lösung darin, dass die Politik endlich handelt und die Privilegien der Homöopathie, die ohne diese sicher weiter existieren wird, rückgängig macht. 

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