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Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner begrüßt beim Bundesparteitag in Berlin Wahlhelfer.

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FDP-Parteitag: Christian Lindner - zwischen Populismus und Seriosität

Der FDP-Bundesparteitag hat gezeigt: Die Liberalen wollen politische Ideengeber sein. Ein Knallerthema für die Bundestagswahl verkneift man sich.

Wer zuspitzt, verliert. Wer differenziert, gewinnt. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt das eigentlich nicht unbedingt, schon gar nicht für politische Parteien. In diesem Sinne ist es nicht so ganz einfach für eine Partei, sich öffentlich zu positionieren und zu profilieren. Es stimmt schon ein bisschen: Wie man es macht, man macht es irgendwie verkehrt.

Der FDP-Parteichef Christian Lindner hat noch bevor der dreitägige Parteitag in Berlin begonnen hatte, der am heutigen Sonntag endet, ein Interview gegeben. Dort antwortete er auf die Frage, ob er sich wünsche, dass der Nationalspieler Mesut Özil die Nationalhymne singt mit einem Wort, das er sich aus drei Wörtern aussuchen durfte: Nein, Ja, egal. Lindner sagte Ja. Und natürlich wusste er genau, was danach passieren würde. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat ihn sofort auf Twitter mit dem AfD-Politiker Alexander Gauland verglichen. Der öffentliche Reflex in den sozialen Medien war: Buh, bäh, afdnah.

Lindner ist seit mehr als 20 Jahren im politischen Geschäft, man muss kein Mitleid mit ihm haben, er wusste schon, auf was er sich bei der Antwort einlässt. Die Frage ist nun, ob man als Politiker mit einer solchen, gezielten Provokation den richtigen Weg wählt, um ein Thema anzustoßen, das einem wichtig ist und das viel größere Zusammenhänge hat, als die Debatte um einen prominenten Fußballspieler.

Auf dem Parteitag der Liberalen ist Lindner darauf eingegangen, hat selbst von "Özil-Gate" gesprochen und dann erklärt, was er meinte. Natürlich könne jeder singen, was er wolle, sagte Lindner. Er wolle auch keine Hymnenpolizei, aber man dürfe sich doch wünschen, dass die Hymne Teil eines Verfassungspatriotismus ist und das dass auch Fußballer so sehen. Nun hat Mesut Özil einen türkischstämmigen Hintergrund, und Deutschland hat in den Wochen zuvor heftig darüber diskutiert, warum so viele deutsche Türken für das Verfassungsreferendum des türkischen Präsident Erdogan gestimmt hatten.

Lindner wollte populistisch eine durchaus sinnvolle Debatte anfachen

Christian Linders Ja auf die Frage im Interview zielte darauf, populistisch eine durchaus sinnvolle Debatte anzufachen. Er hätte dies auch klüger tun können. Dabei geht es überhaupt nicht um die Hymne, nicht um Özil, sondern um ein wichtiges Thema, das die FDP in den Bundestagswahlkampf tragen will. Die FDP will ein modernes Einwanderungsgesetz und gleichzeitig eine Neuordnung der deutschen Staatsbürgerschaft. Lindner sagte auf dem Parteitag, man brauche eine Generalinventur der Einwanderungspolitik. "Jetzt ist der historische Moment gekommen, eine Einwanderungspolitik zu machen, die die historische Verantwortung Deutschlands mit dem eigenen Interesse verknüpft.

Im Wahlprogramm steht nun wörtlich und vom Parteitag beschlossen: "Wir Freie Demokraten wollen, dass Deutschland ein Einwanderungsgesetz und endlich auch ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht aus einem Guss bekommt – so wie andere erfolgreiche Einwanderungsländer auch. Die bestehenden Herausforderungen in der Integration bestärken uns in dieser Überzeugung. Viel zu lange haben Konservative genauso wie die politische Linke die Notwendigkeit verbindlicher Integration ignoriert. Konservative wollten keine verbindliche Integration, weil sie nicht anerkannt haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Linke verweigerten Integration, weil sie in dem naiven Glauben verharrten, jeder Einwanderer sei per se eine Bereicherung und Integration gelinge von allein. Beides war eine gravierende Fehleinschätzung. Wir Freie Demokraten treten für verbindliche Integration ein, mit dem Ziel, dass Einwanderer zu Verfassungspatrioten werden und sich mit unserer offenen Gesellschaft identifizieren."

Christian Linder will die Einbürgerung erleichtern, das Leitbild sei "mehr Einwanderung", aber mit dem Ziel der Einbürgerung. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll für viel mehr Menschen möglich sein, die einwandern, wenn sie dies unter bestimmten Bedingungen tun. Im Programm steht dazu: "Einwanderer müssen zu deutschen Staatsbürgern werden können, ohne ihre Wurzeln und etwa Eigentum in ihrem Herkunftsland aufgeben zu müssen. Für eine Einbürgerung muss es verbindliche Bedingungen und ein klares Regelwerk geben. Voraussetzungen sind insbesondere gute Sprachkenntnisse, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis seit mindestens vier Jahren, die eigene Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie, Straflosigkeit, ein bestandener Einbürgerungstest und vor allem das uneingeschränkte Bekenntnis zur Rechtsordnung unseres Grundgesetzes."

Gleichzeitig soll diese doppelte Staatsbürgerschaft aber begrenzt werden auf drei Generationen. Ab der vierten Generation, so hat es auch der Parteitag beschlossen, soll das Recht auf den Doppelpass enden. Man könne dann nicht mehr mit der kulturellen Bindung argumentieren. Außerdem weist die FDP darauf hin, dass Deutschland so auch mit den eigenen Landsleuten im Ausland verfährt. Ab der vierten Generation im Ausland gibt es keinen Automatismus für die deutsche Staatsbürgerschaft mehr.

Lindner hat auch nichts dagegen, dass Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, dauerhaft einwandern. Auch für sie würden die gleichen Voraussetzungen gelten. Allerdings müssten Flüchtlinge ansonsten, und gerade dann, wenn sie kein Recht mehr auf Asyl haben, zurück in ihre Heimat. Im Tagesspiegel hatte Lindner seine Position kürzlich im Interview begründet: "Wir möchten, dass Flüchtlinge nicht durch das Asylverfahren gehen, sondern direkt einen Aufenthaltsstatus bekommen, pauschal, schnell, mit der Förderung der Arbeitsaufnahme – aber dass der Aufenthalt begrenzt ist. Ich bin auch bereit, gewisse Härten bei der Aufnahme und Abschiebung in Kauf zu nehmen, wenn die Heimat von Flüchtlingen wieder sicher ist."

Die Gefahr, die Lindner sieht, formulierte er so: "Für einen dauerhaften Aufenthalt muss man sich bewerben, weil wir, anders als in den USA, einen entwickelten Sozialstaat haben. Dort zwingt der harte Kampf im Alltag die Menschen zur Integration. Wir haben einen humanen Sozialstaat, aber wenn wir uns nicht aussuchen, wer bei uns bleibt, würden wir einen Karrierismus im Wohlfahrtsstaat fördern, in dem sich Leute abkoppeln und blickdichte Parallelwelten alimentiert werden."

Schon 2009 zählte er zu denen, die ein breiteres Profil forderten

Drei Tage diskutierten die 660 Delegierten ziemlich intensiv ihre Inhalte, und das Erstaunlichste vor allem für eine Partei wie die FDP ist, dass man sich verkneift, anders als 2009, mit einem großen Knallerthema in den Bundestagswahlkampf zu gehen. Damals war es die große Steuerreform, doch schon im Wahljahr selbst hatten viele gefordert, die Partei müsse sich breiter aufstellen, müsse mehr Themen offensiv abdecken. Darunter war auch der heutige Parteichef Lindner.

Die 88 Seiten, die am Sonntag schließlich verabschiedet werden sollten, haben dennoch klare Schwerpunkte, die auf den ersten Blick gar nicht so spektakulär wirken. Da ist einmal die Bildung, die Digitalisierung und eben die Einwanderung, danach gliedern sich Themen, die die FDP schon immer auch hatte, darunter auch Steuersenkungen. In Wahrheit ist die Bildung gemeinsam mit der Digitalisierung entscheidend für die Zukunft. Niemand hat die Regierungen der vergangenen Jahre daran gehindert, Bildung in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen. Die FDP nennt es nun ein "Mondfahrtprojekt", um daran zu erinnern, dass man wie einst die Amerikaner als Gesellschaft auch ein großes Ziel braucht, hinter dem man sich versammeln kann. Erstaunlich ist, dass die FDP hier für mehr Staat plädiert, für einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern, um die Finanzierung sicherzustellen.

Allerdings waren die Delegierten nicht immer so mutig wie ihr Parteichef. Als Christian Lindner am Freitag in seiner großen Rede sich freute, dass er an der Stelle Applaus bekam, als es um mehr Staat ging, sagte er: "Ein Traum wird wahr: Ein FDP-Parteitag applaudiert, wenn ein Vorsitzender die Aufhebung des Kooperationsverbot im Bildungsföderalismus fördert." Doch genau diese Aufhebung verweigerten die Delegierten dann dem Bundesvorstand, was eigentlich die Grundvoraussetzung für eine finanzielle Einigung wäre. Nun heißt es, die Finanzierung müsse eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Die Parteispitze interpretiert es jetzt so: Das sei der Auftrag an eine künftige Bundestagsfraktion, sich für die Aufhebung des Kooperationsverbot einzusetzen.

Die FDP hofft bei den Landtagswahlen auf zweistellige Ergebnisse

Zerstritten ist die Partei allerdings nicht. Nach dem bitteren Rauswurf 2013 und den Jahren des Neuaufbaus, gibt es vor allem im Präsidium und im Bundesvorstand keine Intrigen mehr. Das war in der FDP vor 2013 üblich. Im Großen und Ganzen hat die Partei gezeigt, dass sie lieber Ideen- und Impulsgeber sein will, nicht mehr Besserwisser. Das sieht man auch daran, dass doch viele Mitglieder bis hinein in die Parteispitze ehrlich glauben, dass die Oppositionsrolle besser wäre als eine sofortige Regierungsbeteiligung. Nach dem Motto: Lieber langsam wachsen. Seriös bleiben.

Parteichef Lindner und sein Parteivize Wolfgang Kubicki hatten sich vor vier Jahren in die Hand versprochen, dass sie sich gegenseitig öffentlich bis zum 24. September nicht kritisieren werden. Bisher hat der Schwur gehalten. Demnächst sind Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und dann in NRW. Lindner und Kubicki sind die Spitzenkandidaten und hoffen beide auf ein zweistelliges Ergebnis. Dann, sagen beide, sei die Chance auf den Wiedereinzug in den Bundestag sehr groß.

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