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Attilio Fontana, Gouverneur der Region Lombardei.

© dpa/Claudio Furlan

Coronakrise in Italien: Das Sterben geht weiter, aber die Lombardei will den Neustart

Mit der Forderung nach baldiger Rückkehr zur Normalität blamiert sich die Regionalregierung. Die Justiz ermittelt wegen ihrer womöglich tödlichen Fehler.

Ausgerechnet am Tag, da die nationale Presse voll mit kritischen Berichten über das mutmaßliche Missmanagement der Krise in der Lombardei ist, preschen die Angegriffenen vor - und liefern neue empörte Schlagzeilen. Vergleichsweise nüchtern die Titelseite der großen italienischen Zeitung Corriere della Sera aus Mailand am Donnerstag: "Die Lombardei will wieder starten".

Doch die Unterzeile legt nahe, dass im Norden bereits Tatsachen geschaffen wurden. Das Innenministerium habe 65.000 Firmen inspiziert, die bereits ohne Erlaubnis arbeiten.

Die Schlagzeile der Konkurrenz aus Rom ist ein Aufschrei: "Kopflose Lombardei" titelt "La Repubblica". Ein Drittel der Corona-Infizierten und mehr als die Hälfte aller Toten in Italien, der Staatsanwalt ermittelt gegen die Regionalregierung wegen des Sterbens im größten Altenheim des Landes in Mailand, so das Blatt. Aber der Ministerpräsident der Region Attilio Fontana sage: "Am 4. Mai geht es wieder los."

„Die Lombardei bringt uns alle in Gefahr“

Il "Fatto Quotidiano" spottet bitter über die "lombardische Phase Zwei". "Fase due", so nennt Italien die noch nicht definierte Zeit des erneuten Anfahrens von Wirtschaft und öffentlichem Leben. Das sehe im Norden wohl so aus: 235 Tote - die Bilanz der letzten 24 Stunden -, keine Coronatests, aber die Unternehmen offen. Das Blatt zitiert den Epidemiologen und Hygienemediziner Pier Luigi Lopalco von der Universität Pisa: "Die Lombardei bringt uns alle in Gefahr."

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Erst vor wenigen Tagen sei festgestellt worden, dass die Mobilität dort noch immer bei 40 Prozent der Zeit vor dem Shutdown liege. Sein Urteil: "Solange die Situation nicht im Griff ist, und in der Lombardei ist sie das nicht, kann es keinen Neustart geben."

Der Mailänder Corriere hatte erst am Vortag nicht zuletzt den verschleppten Firmenschließungen in der Lombardei die explodierenden Ansteckungsraten und Todesfälle zugerechnet und sich erstaunt über die lange Entschlusslosigkeit der Regionalregierung unter der rechtsextremen Lega gezeigt. Die stets auf die Autonomie des Nordens pochende Lega habe wochenlang auf Anweisungen aus Rom gewartet, statt auch nur die bekannten Ansteckungsherde abzuriegeln.

Kühle Reaktion aus Rom auf die Pläne der Lombardei

Am Mittwoch nun forderte Regionalchef Fontana von der Lega in einer offiziellen Note für die Zeit ab dem 4. Mai aus Rom grünes Licht, um die Produktion in der Lombardei wieder anzufahren. Nach den Plänen der Regierung - die sich regelmäßig mit den Regionalregierungen abstimmt - soll am 4. Mai aber lediglich jene Phase Zwei beginnen, also die ersten Schritte Richtung Normalität gemacht werden.

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Die Reaktion war wohl nicht nur aus Rom mehr als kühl, auch die regionale Eisenbahngesellschaft Trenord winkte ab. Sie weiß noch nicht, wie sie zigtausend Pendler auf Abstand befördern kann. So bröselten im Lauf des Tages jene drei D, die Fontanas Regierung medientauglich formuliert hatte. Natürlich müsse man für ein Ende des Shutdowns Distanz, Digitalisierung - also App-Kontrollen - Diagnose der Ansteckung und "dispositivi", Mittel wie Schutzkleidung und Masken, haben.

Was geschah in den Altenheimen?

An allem aber fehlt es bisher. Applaus bekam Fontana nur von seinem Parteichef Matteo Salvini. Mit etwas Verspätung kam dann auch der Parteifreund und Amtskollege aus Venetien dazu, Luca Zaia. "Wir legen entweder los oder wir sterben, während wir warten, dass das Virus verschwindet," sagte der. Fontana selbst ruderte noch am Mittwochabend zurück. Er sei "fehlinterpretiert" worden. "Wir haben von einer allmählichen Wiederaufnahme des alltäglichen Arbeitslebens gesprochen" und das werde natürlich mit Rom abgestimmt.

Wenn es nach der Regionalregierung der Lombardei geht, soll der Domplatz in Mailand bald nicht mehr nur den Tauben gehören.

© Flavio Lo Scalzo/Reuters

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Vorerst wird sich Fontanas Regionalregierung selbst zu verteidigen haben. Beamte der Guardia di Finanza haben in den letzten Tagen im großen Mailänder Altenheim Pio Albergo Trivulzio Akten beschlagnahmt. Dort starben zwischen dem 1. März und dem 11. April nachweislich mehr als 190 Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert waren.

Kamen Kranke wirklich in Quarantäne?

Die Familien der Verstorbenen, aber auch derer, die ihre betagten Mütter, Onkel oder Ehepartner aktuell nicht besuchen können und um deren Leben fürchten, haben ein Angehörigen-Komitee gegründet. Damit wollen sie zunächst die Überwachung der Heimleitung durchsetzen, um zu verhindern, dass der Aufenthalt im "Pat" das Todesurteil für die Heiminsassen bedeutet.

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Zwei Ermittlungsrichter arbeiten aber auch bereits die vermuteten politischen Hintergründe auf. Am 8. März verfügte die Regierung Fontana nämlich, dass weniger stark Erkrankte in die regionalen Altersheime gebracht werden dürften, um die überbelegten Intensivstationen zu entlasten. Voraussetzung sollte sein, dass sie dort ausreichend isoliert werden könnten. Ob das tatsächlich geschah, daran gibt es Zweifel, zumal die Regierung nur bekanntgab, dass dafür 15 Einrichtungen zur Verfügung stünden, nicht aber, welche das waren.

Inzwischen 22.000 Covid-Tote

Das Land leidet also weiter - vor allem unter dem nicht enden wollenden Zug der Särge, einem Massaker an der Wiederaufbaugeneration der 1940er Jahrgänge, wie Repubblica dieser Tage schrieb. Das Virus habe in den 55 Tagen seit seiner Entdeckung im Schnitt täglich 394 Leben gekostet - das sei deutlich mehr als die täglich 264, als der Zweite Weltkrieg in Italien wütete. An den Ostertagen wurde die Zahl von 20.000 Toten überschritten, am Donnerstag kletterte die Zahl auf 22.170.

Noch immer steigt sie täglich um zwischen 500 und 600. Andere Zeichen deuten immer klarer darauf hin, dass das Schlimmste überwunden ist: Trotz stark ausgeweiteter Tests sinkt die Zahl der Neuansteckungen und, noch klarer, die Intensivstationen sind nicht mehr überbelegt. Am Donnerstagabend vermeldeten die Daten der Zivilschutzbehörde, dass dort erstmals seit drei Wochen weniger als 3000 Menschen behandelt würden.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Der "Corriere della Sera" leistete sich - unter dem Eindruck des regionalen Establishments? - in seiner Donnerstagausgabe sogar eine launige kleinere Zeile auf der Titelseite: "Die gesündesten Länder werden alle von Frauen regiert" - ob Neuseelands Jacinda Ahern, Taiwans Tsai Ing-wen, Islands Katrin Jakobsdottir, Finnlands Sanna Marin, ob Erna Solberg in Norwegen, Mette Frederiksen in Dänemark oder Angela Merkel in Deutschland.

"Wo die Führung weiblich ist, ist der Umgang mit der Pandemie besser", schreibt, tja, ein Mann. Diese Einsicht umzusetzen, davon sind allerdings gerade Italiens große Zeitungen noch weiter entfernt als die deutschen und sogar Italiens Politik. Weibliche Namen sind, jedenfalls auf den Titelseiten, ähnlich selten wie in Saudi-Arabien.

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