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Im Juni hat Olaf Scholz Emmanuel Macron seine neue Heimatstadt Potsdam präsentiert – am Montag zeigt er ihm seine alte, Hafenrundfahrt inklusive.

© picture alliance/dpa/dpa Pool

Deutsch-französische Kur an der Seeluft: Scholz und Macron bringen zur Premiere beide Kabinette mit

Erstmals kommt es zu einer gemeinsamen Kabinettsklausur der deutschen und französischen Regierung. In Hamburg will man ausgiebig über die vielen gemeinsamen Probleme diskutieren.

Hafenrundfahrten auf der Elbe, ein Besuch beim europäischen Flugzeugbauer Airbus in Hamburg-Finkenwerder und gemeinsame Gespräche in einem Hotel an der Elbchaussee – so sieht der Rahmen für die deutsch-französischen Regierungsgespräche aus, die am Montag und Dienstag in der Hansestadt geplant sind.

Auch wenn der deutsch-französische Austausch zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zur Routine gehört, ist der Termin an der Elbe doch eine Besonderheit. Zum ersten Mal kommt es zu einer Begegnung der Regierungsmannschaften beider Länder im Rahmen einer Kabinettsklausur.

Das heißt: Ein gemeinsames Abschlusskommuniqué ist nicht geplant, dafür soll es mehr ums gegenseitige Kennenlernen und offene Diskutieren der anstehenden Aufgaben gehen.

Die Vernachlässigung des Verhältnisses zu Frankreich gehört zu den großen Fehlern der Bundesregierung.

Der frühere CDU-Chef und Außenpolitiker Armin Laschet.

Zwar kennen sich die Ministerinnen und Minister aus beiden Ländern spätestens seit dem letzten Treffen zum Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages im vergangenen Januar. Doch nun soll das neue Format der lockeren Kabinettsklausur helfen, die Streitpunkte zwischen beiden Ländern aus dem Weg zu räumen. Und davon gibt es einige.

Ukrainekrieg als Belastungstest

Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges vor über 19 Monaten ist offensichtlich geworden, dass die viel beschworene deutsch-französische Freundschaft kein Allheilmittel ist. Statt sich mit französischen Rüstungsgütern einzudecken, setzte die Bundesregierung bei der Modernisierung der veralteten Tornado-Kampfjets auf das US-Modell F-35.

Im bisherigen Verlauf des Ukraine-Krieges war es Scholz besonders wichtig, sich mit US-Präsident Joe Biden abzusprechen. Das galt beispielsweise zu Beginn dieses Jahres für die Entscheidung, Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 an die Ukraine zu liefern. Die damalige Entscheidung der Regierung in Paris, Spähpanzer vom Typ AMX-10 RC an die Ukraine zu liefern, kam hingegen für die Bundesregierung überraschend.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete den Zustand der Beziehungen kürzlich als „so schlecht wie noch nie“ in der Nachkriegszeit. „Die Vernachlässigung des Verhältnisses zu Frankreich gehört zu den großen Fehlern der Bundesregierung“, so sein Parteifreund Armin Laschet zum Tagesspiegel: „Gerade jetzt braucht Europa deutsch-französische Initiativen.“ Er hoffe, dass Kanzler Scholz „einen Neustart der Beziehungen zu Frankreich nicht weiter verhindert“.

„Allen Unkenrufen der Opposition zum Trotz ist das deutsch-französische Verhältnis gut und belastbar“, betont dagegen der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid, Co-Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentsversammlung.

„Der Durchbruch bei der EU-Asylreform wäre ohne die Kooperation zwischen Berlin und Paris nicht gelungen“, führt Schmid gegenüber dem Tagesspiegel als Beispiel an, „zuletzt haben sich auch die Positionen zur Erweiterung und Reform der Europäischen Union stark angenähert.“ Neue spektakuläre Ankündigungen gebe es nur nicht, „weil wir mit den meisten Vorhaben längst in den Mühen der Ebene angekommen sind“.

Wir haben keinen guten Zeitpunkt gewählt, um die Standorte der Goethe-Institute zu hinterfragen – das ist vielen Franzosen sauer aufgestoßen.

Nils Schmid (SPD), Co-Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentarierversammlung

Es ist teilweise in Vergessenheit geraten, dass die Bundesregierung vor dem Beginn des Ukraine-Krieges eigentlich mit dem Anspruch angetreten war, eine „strategisch souveräne EU“ voranzubringen, wie es im Koalitionsvertrag heißt.

„Teil der Fortschrittsagenda unserer Koalition ist die europäische strategische Souveränität, welche aufgrund der russischen Expansionspolitik umso dringlicher geworden ist“, sagte die Grüne Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, dem Tagesspiegel: „Wir haben die Verantwortung, hier die europäische Dimension auch im militärischen Bereich voranzutreiben – und dafür braucht es Frankreich und Deutschland“.

Die schiere Notwendigkeit könnte allein daraus entstehen, dass sich die USA perspektivisch aus Europa zurückziehen könnten. Dass in Washington gerade ein Übergangshaushalt ohne zusätzliche Militärhilfe für die Ukraine verabschiedet wurde, war ein möglicher Vorgeschmack darauf.

Schwierige Rüstungskooperation

Und daher nach der US-Präsidentschaftswahl im November 2024 eine Rückkehr des früheren Staatschefs Donald Trump ins Weiße Haus nicht auszuschließen ist, könnte die deutsch-französische Zusammenarbeit im Rahmen gemeinsamer Rüstungsprojekte wieder in den Fokus rücken.

Zu den Projekten, die bei der gemeinsamen Kabinettsklausur in Hamburg besprochen werden sollen, gehört der gemeinsame Kampfpanzer MGCS. Geplant ist, dass der gemeinsame Panzer 2035 den deutschen Leopard und den französischen Leclerc ab 2035 ersetzt. Doch die deutsch-französische Industriezusammenarbeit erweist sich als schwierig.

Immerhin konnte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kürzlich mit seinem Amtskollegen Sébastien Lecornu einen Fortschritt erzielen und ein Papier über die genauen militärischen Anforderungen „zur Zeichnungsreife“ bringen, wie es im Anschluss an ein Treffen Évreux hieß.

„Wirklich strittig ist eigentlich nur das European Sky Shield“, sagt der Außenpolitiker Schmid in Bezug auf Scholz’ Anstoß für ein europäisches Raketenabwehrsystem, das von zahlreichen Staaten unterstützt wird, aber in Konkurrenz zu den Plänen Frankreichs steht.

Ein anderes Streitthema in Hamburg, wo eventuell verkündet wird, dass Macrons für vergangenen Juli, aber wegen der Unruhen in Frankreich abgesagter Staatsbesuch im ersten Halbjahr 2024 pompös nachgeholt wird, könnte die Kulturpolitik sein. „Dass Außenministerin Annalena Baerbock zum Entsetzen der Zivilgesellschaft in Frankreich ausgerechnet jetzt Goethe-Institute in Straßburg, Bordeaux und Lille schließen lässt, zeigt ihr mangelndes Gespür und falsche Schwerpunktsetzungen ihrer Außenpolitik“, kritisiert Laschet. 

„Wir haben keinen guten Zeitpunkt gewählt, um die Standorte der Goethe-Institute zu hinterfragen – das ist vielen Franzosen sauer aufgestoßen“, muss auch Schmid einräumen, der auf eine entsprechende Ausschusssitzung am Montag verweist, um das Problem möglicherweise noch rechtzeitig abzuräumen.

Außerdem gebe es im Kulturbereich auch etwas Positives zu vermelden: „Wir haben schon drei der neun im Aachener Vertrag vorgesehenen deutsch-französischen Kulturinstitute eröffnet – in Palermo, Ramallah und Atlanta.“

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