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Das Anfang einer Freundschaft? Angela Merkel und Emmanuel Macron in Berlin.

© Guido Bergmann/REUTERS

Deutschland und Frankreich: Wir müssen endlich mehr Europa wagen

Was uns hilft, zu leben: Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich ist die einzige Chance, das Friedensprojekt der Europäischen Union zu retten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Es war eine Situation, wie man sie nur noch aus Geschichtsbüchern kannte: Da, wo meistens gegen und eigentlich nie für irgendetwas demonstriert wird, vor dem Kanzleramt in Berlin, schwenken jubelnde Menschen französische, deutsche und blaue Europafahnen, feiern in Sprechchören die Freundschaft beider Nationen. Großer Applaus für die dienstälteste Regierungschefin Europas und den jüngsten Präsidenten, den Frankreich jemals hatte. War das nicht tatsächlich der begeisterte Ausdruck jenes Gefühls, das Angela Merkel, neben Emmanuel Macron, aus dem Hermann- Hesse-Gedicht „Stufen“ zitierte: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“?

Die Realisten und vom europäischen Klein-klein Zermürbten warnen vor Euphorie. Sie gehen auf Distanz zu einer Hoffnung, die sich, nüchtern betrachtet, aus nichts speist als aus dem Anblick eines gut aussehenden, vitalen jungen Mannes, der zuerst Frankreich und dann dem Kontinent einen Aufbruch in eine bessere Zukunft verspricht. Noch ist die Mannschaft, mit der er seine Visionen zu Fakten werden lassen könnte, nicht komplett. Die Partei, aus der er Kraft schöpfen und die er dem Wähler präsentieren muss, hat bislang kaum mehr als einen Namen. Wie katastrophal muss die Lage der Europäischen Union sein, dass dies uns, dass dies einer Bundesregierung reicht, zu glauben: Ja, wir schaffen das?

Plötzlich beschwören die Jungen das Friedensprojekt Europa

Die Antwort ist so banal wie eindringlich: Wir, weder die Franzosen, noch die Europäer unter uns Deutschen, haben keine andere Chance als diese. Es ist die vermutlich letzte, ein Projekt zu retten, das einem von Kriegen zerfetzten und verwüsteten Kontinent immerhin 60 Jahre Frieden gebracht hat. Und plötzlich ist es nun auch nicht mehr nur die Generation der heute 70-Jährigen, die zum Gähnen ihrer Enkel das Friedensprojekt Europa nach der Devise „Opa erzählt vom Krieg“ beschwört. Nein, es sind Junge! Das stößt tatsächlich das Tor weit auf zu einem politischen Weg, dessen Richtung ja die meisten ahnen, den man aber zu beschreiten endlich wagen muss.

Dessen Wegmarken sind ein engeres Zusammengehen der Euro-Länder und legislative und exekutive Maßnahmen zu ihrer Stärkung. Ein gemeinsames Budget zur Bewältigung krisenhafter Entwicklungen in einzelnen Volkswirtschaften gehört so dazu wie ein Euro-Finanzminister, der Weisungs-Kompetenzen hat.

Macron verlangt keine Eurobonds

Dass jene 19 der bald nur noch 27 EU-Staaten, die die Gemeinschaftswährung nutzen, längst der schnellere Teil des existierenden Europa der zwei Geschwindigkeiten sind, wird sich in absehbarer Zeit auch in den Europäischen Verträgen niederschlagen müssen. Dieser Schritt wird der schwierigste sein. Das erwähnte Angela Merkel am Montagabend bei der Pressekonferenz mit Emmanuel Macron freilich nicht. Denn in mehreren Mitgliedstaaten sind Änderungen des Lissabon-Vertrages nur durch Volksabstimmungen möglich. Macron hingegen thematisierte mutig ein deutsches Trauma, als er klar sagte, dass er weder Eurobonds gefordert habe noch eine Vergemeinschaftung vorhandener Schulden. Ist diese Botschaft bei CDU und CSU angekommen?

In Hermann Hesses Gedicht, aus dem die Kanzlerin nur eine Zeile zitiert hatte, sollte man diese besser zusammen mit der folgenden lesen, erst dann erschließt sich der Sinn: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“.

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