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Jochen Ott, neuer Fraktionsvorsitzender der Nordrhein-Westfälischen SPD, bei einer Pressekonferenz.

© dpa/Henning Kaiser

Fraktionschef der NRW-SPD mahnt Scholz: „Der Kanzler sollte zuweilen an sein Temperament erinnern“

Jochen Ott ist der neue Fraktionschef der NRW-SPD. Er will vom Kanzler mehr Führungsstärke sehen und sagt, „wer Visionen hat, sollte zur SPD kommen“.

Herr Ott, was treibt die Menschen nach Ihrem Eindruck am meisten um?
Die Leute erleben, dass der Staat nicht funktioniert. Als meine Frau und ich zusammenziehen wollten, fanden wir eine bezahlbare Wohnung. Als wir Kinder bekamen, gab es problemlos eine Hebamme, eine Geburtsklinik, später einen Kita-Platz. Die Öffnungszeiten waren garantiert. Grundschule und weiterführende Schule konnten wir uns für die Kinder aussuchen.

Und heute?
Heute erleben die Bürger, dass die Bundeswehr nicht fliegen kann, der Personalausweis schwer zu beantragen ist. Die Bahn fährt nicht zuverlässig. In Kitas und Schulen mangelt es an Personal. Kein Durchschnittsverdiener kann sich Eigenheim leisten. Die Menschen erleben, dass die einfachsten Dinge im Staat nicht funktionieren. Obendrauf gibt es Krisen wie Pandemie, Klimawandel und Krieg.

Sie beschreiben ein Staatsversagen und ein gestresstes Volk. Was folgt daraus?
Die Leute sind erschöpft. Viele Kinder sind psychisch erkrankt. Die Handwerkskammern schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie die mangelnden Fähigkeiten von Schulabsolventen sehen. Der Neoliberalismus hat unter anderem Kinder hervorgebracht, die nicht oder falsch ernährt sind, mit sechs Jahren nicht schul- und mit 16 Jahren nicht ausbildungsreif. Wir brauchen zum Beispiel ein Mittagessen für alle Schüler und Kita-Kinder. Mehr Bildung mit den Händen bis zu Klasse 10. Und ein Chancen-Jahr im letzten Jahr vor der Schule zur frühzeitigen Förderung von Sprache und sozial-emotionalen Kompetenzen, damit alle Kinder mit Förderbedarf einen guten Schulstart haben. Dafür wird sich die SPD starkmachen.

Was denken Sie, wenn Sie das Wort „Ampel-Koalition“ hören?
Die Streitereien um das Heizungsgesetz nerven. 

84 Prozent der Deutschen sagen, der Kanzler müsste die Richtung klarer vorgeben.
Olaf Scholz muss die verschiedenen Seile am Ende verknoten. Das ist eine schwierige Aufgabe. Der Kanzler sollte zuweilen an seine Führungskraft, auch an sein Temperament erinnern. Das tut er ja auch. Bei seiner Rede vorige Woche, wo er den Putin-Fans den Marsch geblasen hat, hat Olaf Scholz sein Temperament auf beeindruckende Weise gezeigt. Das hat vielen gefallen, weit über die SPD hinaus.

22
Prozent der Stimmen bekam die SPD in der letzten Umfrage zur Landtagswahl in NRW (Insa). Die CDU liegt bei 36 Prozent.

Nervt Sie bei der Debatte um das Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Habeck der Moralismus der Grünen?
Die Leute wissen, dass es Veränderungen geben muss. Jeder will Klimaschutz. Die SPD sagt den Menschen: Wir werden dafür sorgen, dass der Klimaschutz, das Heizungsgesetz nicht euren Ruin bedeutet. Die Grünen agieren manchmal nach dem Motto: Wir vertreten 20 Prozent der Wähler und setzen deren Interessen kompromisslos durch.

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Die SPD ist Volkspartei und will alle Milieus zusammenhalten. Wir beschimpfen nicht die Hälfte oder zwei Drittel der Menschen. Noch absurder ist der Ruf nach einer Experten-Regierung. Eine Expertokratie ist so wenig demokratisch wie eine Monarchie.

Die Migration treibt viele Menschen um. Der letzte Flüchtlingsgipfel vertagte sich. Der Kanzler rückte nur eine Milliarde Euro heraus. Tut der Bund genug für Länder und Kommunen?
Die Länder nehmen zurzeit mehr Steuern ein als der Bund. Die Kommunen haben enorme Probleme. Den Kommunen müssen die Altschulden getilgt werden. Dafür müsste das Grundgesetz geändert werden, das will aber die CDU nicht. Wir müssen das Föderalismus-Gewirr insgesamt entzerren und klären: Wer zahlt was? Vor allem auch im Bildungsbereich. 

In der jüngsten Umfrage liegt Ihre SPD, die Kanzlerpartei, bei 18 Prozent, gleichauf mit der AfD.
Wir haben Konzepte, die AfD hat nur Parolen. Sie bezieht ihre Kraft aus der Angst. Unsere Kraft ist die Hoffnung auf eine gerechte Zukunft. War es schon immer. Wer Visionen hat, sollte zur SPD kommen. Wenn sichtbar ist, wohin wir das Land führen wollen und was wir alles für die Menschen tun, wird die Unterstützung für die SPD wieder steigen und die der AfD wieder sinken.

Sie haben sich kürzlich gegen zwei Mitbewerber als SPD-Fraktionschef in NRW durchgesetzt. Warum bewerben Sie sich weder als Parteivorsitzender noch als Spitzenkandidat zur nächsten Landtagswahl?
Demnächst wählen wir eine oder zwei Parteivorsitzende. Seit Ostern ist sich die NRW-SPD einig: Wir werden im Team auftreten, um unser verloren gegangenes Profil zu schärfen. Am Ende werden mehrere Männer und Frauen bereitstehen, um 2027 Spitzenkandidat zu werden. Ich bin jetzt der Angriffsspieler im Landtag, werde Schwarz-Grün stellen und Herrn Wüst mit der Realität konfrontieren.

Herr Wüst ist gut in der Inszenierung, wie ein Schauspieler. Nur schöne Bilder mit Frau Merkel aber reichen nicht.

Jochen Ott, NRW-SPD-Fraktionschef, über den Ministerpräsidenten

Welche Fähigkeiten muss der oder die künftige Parteivorsitzende haben?
Wir brauchen unterschiedliche Charaktere. Personen, die eine hohe Akzeptanz mitbringen, Teamgeist, zusammenführen können und kampagnenfähig sind.

Wollen Sie eine SPD-Troika?
Es kann auch ein Quartett sein. In Köln titelte der „Express“ vor der Wahl 2009 über unser Team: „Die glorreichen Sieben“. Als Team gewannen wir die Oberbürgermeister-Wahl.

In der jüngsten Umfrage zur Landtagswahl kommt die CDU auf 36 Prozent, die SPD auf 22 Prozent. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) macht also einen klasse Job, oder?
Die Menschen kennen Wüst doch gar nicht, haben ihn vielleicht mal im Fernsehen gesehen. Herr Wüst ist gut in der Inszenierung, wie ein Schauspieler. Nur schöne Bilder mit Frau Merkel aber reichen nicht. In NRW funktioniert vieles nicht. Die Obdachlosigkeit steigt, es gibt zu wenig Wohnungen, Unterricht fällt aus, Azubis und Studierende sind finanziell am Limit. Und der Ministerpräsident macht schöne Fotos.

Rechnen Sie mit einer Kanzlerkandidatur Wüsts?
Niemand weiß das. Ich weiß aber: Herr Wüst hat keine Ideen. Er verwaltet ohne Inspiration. Die Menschen wollen in diese Krisen einen Typ wie einst Brandt, Strauß, Wehner, mit Idee und Temperament.

Jeder Auftritt, den Olaf Scholz mit Temperament und Emotion hinlegt, wie neulich in Brandenburg, dazu seine Besonnenheit in der Krise, wird sein Ansehen weiter steigern. Nicht erst seit dieser Rede neulich bin ich zuversichtlich, dass Scholz die Bundestagswahl 2025 gewinnen wird.  

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