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Im Februar demonstrierten unter dem Motto „Aufstand für Frieden“ auch in Berlin Menschen gegen die Rüstungslieferungen an die Ukraine.

© imago/IPON/imago

„Bringt keinen nachhaltigen Frieden“: Friedensforscher weisen Stopp der Waffenhilfe zurück

Wissenschaftler aus vier Instituten warnen vor dem Ende der Militärhilfe für die Ukraine. Die Bundesregierung fordern sie auf, Vermittlungsinitiativen vorzubereiten.

Von Hans Monath

Führende deutsche Friedensforscherinnen und -forscher haben Forderungen aus der Friedensbewegung nach einem Ende der militärischen Hilfe für die Ukraine als gefährlich und kontraproduktiv zurückgewiesen.

Ein Einstellen der militärischen Unterstützung der Ukraine zugunsten von sofortigen Friedensverhandlungen, wie es in offenen Briefen, Manifesten und auch auf Demonstrationen gefordert werde, „wird nach unserem jetzigen Wissensstand keinen nachhaltigen Frieden bringen“, sagte die Chefin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Nicole Deitelhoff, am Montag bei der Vorstellung des Friedensgutachtens 2023.

Das Gutachten wurde von der HSFK, dem Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen, dem Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg erarbeitet.

Ein Stopp der Waffenhilfe werde eine militärische Niederlage der Ukraine und voraussichtlich deren Zerschlagung nach sich ziehen, „einhergehend mit einer Besatzungspraxis von Folter, Verschleppung, sexueller Gewalt und gezielten Tötungen“, sagte Deitelhoff weiter.

Zudem sei zu befürchten, „dass Russlands Expansionsdrang damit nicht abnehmen“, sondern „eher zunehmen wird“. Fazit der Institutschefin: „Dies würde die Sicherheitslage für ganz Europa weiter verschlechtern“. Gegenwärtig seien Friedensverhandlungen daher „weder für die Ukraine noch für Europa eine realistische Option“.

Vermittlungs- oder Verhandlungsinitiativen „bereits jetzt vorzubereiten“

Ungeachtet dieser Einschätzung forderten die vier Institute die Bundesregierung auf, Vermittlungs- oder Verhandlungsinitiativen „bereits jetzt vorzubereiten“. Dabei gehe es darum, Staaten und Persönlichkeiten in einer internationalen Kontaktgruppe zusammenzuführen, gemeinsam mit anderen Regierungen mögliche Verhandlungsgegenstände zu skizzieren und Lösungsansätze zu diskutieren. Dabei sei es geboten, Initiativen aus nicht-westlichen Staaten, etwa aus China oder Brasilien, einzubinden, soweit das möglich sei.

Einen ganzen Band für den Frieden präsentierten die Wissenschaftler Conrad Schetter, Ursula Schröder, Nicole Deitelhoff und Tobias Debiel mit ihrem Gutachten vor der Bundespressekonferenz.
Einen ganzen Band für den Frieden präsentierten die Wissenschaftler Conrad Schetter, Ursula Schröder, Nicole Deitelhoff und Tobias Debiel mit ihrem Gutachten vor der Bundespressekonferenz.

© imago/epd/imago/Christian Ditsch

Die Institute forderten die Bundesregierung zu einer lang anhaltenden Unterstützung der Ukraine auf. Es sei „in naher Zukunft kein Frieden in Sicht“, sagte Deitelhoff. Der Krieg in der Ukraine werde Deutschland, Europa und die Welt „noch sehr lange begleiten“.

Deutschland müsse die Ukraine zusammen mit den westlichen Partnern militärisch, ökonomisch und politisch „weiter nach Kräften unterstützen“. Dies werde vermutlich auf sehr lange Zeit notwendig sein und „immense Ressourcen“ erfordern.

Parallel zur Vorbereitung von möglichen künftigen Vermittlungs- und Verhandlungsinitiativen zur Beendigung des Krieges müssten Deutschland und seine Partner „belastbare und glaubwürdige Sicherheitsgarantien für die Ukraine“ organisieren, sagte die HSFK-Chefin. Dabei gehe es um eine enge Partnerschaft mit der Nato bei der Ausrüstung und Ausbildung von Soldaten.

Eine Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis sei aber in naher Zukunft „nicht sehr plausibel“, meinte die Konfliktforscherin. Sie verwies auf die von Schweden beantragte Aufnahme in das Militärbündnis, die von der Türkei und Ungarn weiterhin blockiert wird. Im Fall der Ukraine drohe eine ähnliche „Hängepartie“.

Die Wissenschaftler fordern in ihrem Gutachten außerdem eine Ausweitung der multilateralen Rüstungskontrolle. Die derzeitige Lage sei „extrem gefährlich“, betonte Deitelhoff. Die Zahl der gefechtsbereiten Atomwaffensprengköpfe nehme weltweit zu, gleichzeitig sei ein Abbau der Rüstungskontrollabkommen zu beobachten. „Ein neuerlicher Rüstungswettlauf muss verhindert werden“, betonte die Friedensforscherin.

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