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Der verstorbene Ex-Staatspräsident Gorbatschow machte Ende der Neunziger Jahre Werbung für die amerikanische Fastfood-Kette.

© imago images/Paul Weaver

Gorbatschows Werbung für Pizza Hut: Ein Spot erinnert an eine hoffnungsvolle Generation, die es in Russland nicht mehr gibt

Zum Tod Michail Gorbatschows geht eine Werbung mit ihm für die amerikanische Fastfood-Kette wieder viral. Aus heutiger Sicht wirkt sie beinahe ironisch.

Michail Gorbatschow betritt an einem verschneiten Tag gemeinsam mit einem jungen Mädchen das Schnellrestaurant Pizza Hut in Moskau, im Hintergrund ragen die verspielten Türme des Kremls auf dem Roten Platz empor. Drinnen sitzt eine russische Familie an einem Tisch zusammen. Der Vater erkennt Gorbatschow sofort: „Das ist Gorbatschow!“ Alle drehen sich um, sein älterer Sohn erwidert: „Das ist Gorbatschow.“

Der Vater wird sofort ärgerlich, beschwert sich, dass „seinetwegen in der Wirtschaft Chaos herrscht“. Der Sohn sieht es anders: „Dank ihm haben wir nun neue Möglichkeiten.“ Ein Schlagabtausch beginnt: „Aber seinetwegen herrscht nun politische Instabilität.“ - „Dank Gorbatschow leben wir nun in Freiheit!“ – „Komplettes Chaos!“ – „Perspektive“ – „Politische Instabilität!“

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Schließlich schaltet sich die Mutter ein: „Seinetwegen…gibt es Pizza Hut.“ Alle prosten nun dem umstrittenen Staatsmann zu: „Auf Gorbatschow!“

In Russland wurde er nie ausgestrahlt – und dennoch steht der Werbespot der amerikanischen Fastfood-Kette Pizza Hut sinnbildlich dafür, wie Michail Gorbatschows Lebenswerk in Russland rezipiert wurde. Für die einen war er der Totengräber der Sowjetunion, Ursache für Chaos und Instabilität. Für die anderen war Gorbatschow ein Hoffnungsträger, der ein besseres, freieres Leben versprach.

Zum Tod Gorbatschows geht der Spot noch mal viral

Zum Tode Gorbatschows am Dienstagabend geht das Werbevideo aus dem Jahr 1998 wieder viral – auch weil der Kurs, den Gorbatschow als letzter Staatspräsident der damaligen Sowjetunion einschlug, dem des heutigen Kremlchefs Wladimir Putin diametral entgegensteht. Für Putin ist der Zusammenbruch der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.

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Und in der Tat wirkt es ironisch: Pizza Hut eröffnete 1990, ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer, Filialen in Moskau – nur wenige Monate, nachdem auch die ersten McDonald’s-Restaurants in Russland an den Start gegangen waren.

Wohl wenige andere Marken stehen symbolhafter für den US-amerikanischen Kapitalismus als diese beiden Fastfoodketten. Ermöglicht wurde diese neue Entwicklung durch Gorbatschows Öffnung gen Westen, die „Perestroika“-Politik.

Zwar schloss im Oktober 1998 – im Jahr der Ausstrahlung des Gorbatschow-Werbespots – Pizza Hut seine Filialen in Moskau wieder. Doch die Kette war in anderen Teilen Russlands weiterhin präsent. Erst mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 schloss Pizza Hut seine verbliebenen 50 Filialen im Land.

Brauchte Gorbatschow einfach das Geld?

Doch auch zur Zeit seiner Entstehung entbehrte der Spot nicht einer gewissen Ironie: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion litt Russland unter einer schweren Wirtschaftskrise – die auch an Gorbatschow persönlich nicht vorbei ging.

Seine selbstgegründete Stiftung, mit der er weiterhin seine Vision eines liberalen Russlands vorantreiben wollte, geriet ins Wanken. Kurzum: Er brauchte Geld. Wie viel Gorbatschow für den Pizza-Hut-Werbespot bekam, wurde nie öffentlich. Doch der „New York Times“ zufolge soll der Ex-Präsident bis zu eine Million US-Dollar für seinen Auftritt bekommen haben.

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Dem US-Sender CNN sagte er damals, sein Honorar fließe in seine Stiftung, mit der er eine Bibliothek und ein „Perestroika“-Archiv aufbauen wolle. „Und dieses Projekt erfordert bestimmte Mittel. Die Perestroika hat Russland und der ganzen Welt neue Impulse gegeben. Es ist sehr wichtig, dass alles, was geschehen ist, in diesen beiden Zentren bewahrt wird“, so Gorbatschow.

Dabei gehe es „nicht nur um Konsum, sondern auch um Geselligkeit“. Wenn er nicht gesehen hätte, dass es „für die Menschen von Vorteil ist“, hätte er dem Werbedeal nicht zugestimmt, sagte Gorbatschow.

Im Jahr 2010 wurde der Werbespot vom Magazin „Time“ in den „Top10 der peinlichsten Promi-Werbespots“ geführt. Zwölf Jahre später erscheint der Film in einem anderen Licht: Er erinnert in Gestalt des Sohnes, der sich mit seinem Vater anlegt, an die „Generation P“ Russlands: Die Generation, die noch in der Sowjetunion aufgewachsen ist, allerdings in der Wende eine positive Entwicklung sah.

Geprägt hat den Begriff der russische Autor Viktor Pelevin mit seinem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1999. „P“ steht vermutlich für „Pepsi“, das sich noch vor „Coca Cola“ in der Sowjetunion verbreitete. Heute allerdings wächst in Russland eine Generation Z heran, die eine Politik der Abschottung, Repression und Kriegstreiberei erlebt.

Generation Z steht in Russland nicht nur für die Postmillennials, geboren nach 1997. Sondern auch für eine Generation, die den russischen Angriffskrieg teils befürwortet und in einer medialen Propaganda-Blase aufgewachsen ist. Sinnbildlich steht dafür das „Z“, das russische Kriegssymbol.

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