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Ein Krankenpfleger schiebt in einer Berliner Klinik ein Krankenbett durch den Flur.

© Daniel Bockwoldt/dpa

GroKo-Pläne für Pflege im Krankenhaus: Rezept gegen den Sparzwang

Die große Koalition will, dass die Pflege im Krankenhaus nicht mehr über Fallpauschalen abgegolten wird. Wenn Kliniken dafür mehr Personal benötigen, sollen sie es auch erstattet bekommen.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist es nur ein kleine Passage. Doch für Patienten, Krankenpfleger und Klinikbetreiber könnte sie eine Zeitenwende bedeuten. „Künftig sollen Pflegepersonalkosten besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden“, heißt es dort. Im Klartext: Wenn Kliniken für ihre Patienten mehr Pflegekräfte benötigen als andere Häuser, sollen sie diese Zusatzkosten auch erstattet bekommen. Es würde sich für sie nicht mehr lohnen, am Pflegepersonal zu sparen. Durch die Umstellung ende der „Ökonomisierungszwang“ für Krankenpflege, freut sich SPD-Experte Karl Lauterbach.

Um die Bedeutung der Ankündigung zu verstehen, bedarf es eines Blicks auf das bisherige System. Seit dem Jahr 2004 bezahlen die Krankenkassen die Kliniken nicht mehr nach Liegezeit und individuellen Aufwand für die Patienten, sondern nach den durchschnittlichen Behandlungskosten für ihre Krankheit.

Krankenhäuser sollen Behandlungen ökonomisch gestalten

Abgebildet sind diese in sogenannten Fallpauschalen. 1200 davon sind einem bundesweit gültigen Katalog festgelegt. Eine Blinddarmoperation wird demnach anders vergütet als ein Magendurchbruch, für eine Hüftoperation gibt es weniger Geld als für eine Nieren-Transplantation. Durch diese Pauschalpreise sind die Krankenhäuser gehalten, ihre Behandlungen möglichst ökonomisch zu gestalten und die Patienten nicht länger als nötig auf Station zu behalten. Wer sie schneller wieder auf die Beine bringt, macht Gewinn. Wenn er dies mit geringem Personaleinsatz schafft, lohnt es sich doppelt.

Die Folge der Abrechnungsumstellung waren erhebliche Sparmanöver – und zwar nicht bei den Ärzten, mit denen sich ja Fallzahl und Umsatz erhöhen ließ, sondern bei den Pflegekräften. Während die Zahl der Klinikbehandlungen seit Anfang der 90er Jahre um ein gutes Drittel gestiegen ist, blieb die Zahl der Pflegenden in den Krankenhäusern nahezu konstant. Entsprechend erhöhte sich ihre Arbeitsbelastung. Betreute eine Pflegekraft 1991 im Schnitt noch 45 Patienten, waren es 25 Jahre später im Schnitt 60. Und die Auswirkungen des demografischen Wandels sind damit noch gar nicht erfasst. In den Klinikbetten liegen schließlich immer mehr Multimorbide, Demenzkranke und schwerst Pflegebedürftige.

"Grundlegende Neuausrichtung"

Offensichtlich habe nun auch die Politik erkannt, dass es so nicht mehr weitergehe, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum. Die Ankündigung, die Pflegekosten aus den Fallpauschalen herauszunehmen, bedeute eine „grundlegende Neuausrichtung“. Und die Krankenhäuser begrüßten es, „wenn regionale, strukturelle und hausindividuelle Aspekte sowie die Personalfinanzierung eine bessere Berücksichtigung finden“.

Dass das Fallpauschalensystem die tatsächlichen Personalkosten richtig abbilde, werde seit Langem bezweifelt, sagt Baum. Schließlich hätten die 1200 Fallpauschalen 12000 Krankheitsarten mit unterschiedlichstem Pflegeaufwand abzudecken. „Kliniken, die viele Kranke mit hohem Pflegeaufwand haben, sind die Dummen.“ Dazu kämen Tarifsteigerungen. „Wir kritisieren seit Jahren, dass wir die nicht refinanziert bekommen.“ Im vergangenen Jahr etwa seien die Personalkosten um vier Prozent gestiegen, über die Fallpauschalen habe es von den Krankenkassen aber nur zwei Prozent mehr Geld gegeben. „Dadurch hatten wir wieder einen Rationalisierungsdruck aufs Personal von 500 Millionen Euro.“

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist angetan von den Plänen, die Pflegekosten der Krankenhäuser gesondert zu finanzieren. „Wird das konsequent umgesetzt, ist die bisher praktizierte Zweckentfremdung von Personalkosten nicht mehr möglich“, sagt Sabine Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. „Damit würde lange bekannten Fehlsteuerungen im System der Fallpauschalen in Bezug auf das Pflegepersonal entgegengewirkt.“ Den Grund für das Umdenken sieht die Gewerkschafterin in Protesten der Pflegekräfte. Der Vorstoß sei wohl „auf die große Unruhe und den Unmut der Beschäftigten im Krankenhaus zurückzuführen“, mutmaßt sie.

Umstellung soll behutsam erfolgen

DKG-Geschäftsführer Baum ist zurückhaltender. Nach 15 Jahren müsse die Politik in der Lage sein, ein System grundsätzlich zu überdenken, findet er. Der Vorschlag von Union und SPD sei tatsächlich eine Chance, gute Patientenversorgung besser finanziert zu bekommen – sofern es nicht in neue Streitereien mit den Krankenkassen münde. Eine Umstellung müsse behutsam erfolgen. Womöglich komme dadurch ja auch noch anderes ins Rollen. So könne man schon die Frage stellen, welchen Nutzen ein Fallpauschalensystem überhaupt noch habe, wenn ihm einer der größten Kostenblöcke entzogen werde.

Und die Krankenkassen? Sie fürchten hohe Kosten und warnen. „Die Pflege aus den Fallpauschalen ohne Verzerrungen und Nebenwirkungen herauszulösen, macht man nicht einfach mal hoppla hopp“, sagt eine Sprecherin des Spitzenverbandes. Bei verantwortungsvoller Umsetzung werde das ein „mehrjähriger Prozess“. Und „völlig inakzeptabel“ wäre es ihr zufolge, „die Kosten für Pflege im Krankenhaus einfach eins zu eins an die GKV weiterzureichen, ohne dass es noch einen Bezug zur tatsächlich erbrachten Pflege am einzelnen Patienten und zur Pflegequalität gibt“.

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