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Der Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. (Archivbild)

© Foto: dpa/Armin Weigel

Update

Grüne stimmen für Atom-Einsatzreserve: FDP beharrt weiterhin auf AKW-Betrieb bis 2024

Auf dem Parteitag stimmen die Grünen für einen Streckbetrieb zweier AKWs. Die FDP beharrt auf einen längeren Betrieb bis 2024 – dies sei eine „energiepolitische Notwendigkeit“.

Die Grünen haben auf ihrem Parteitag in Bonn den Weg frei gemacht, die beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim über den Jahreswechsel am Netz zu halten. Das beschloss eine Mehrheit der Delegierten am späten Freitagabend.

Trotz des Beschlusses des Grünen-Parteitags beharren die Liberalen auf ihrer Forderung eines längeren Betriebs von Atomkraftwerken bis 2024, wozu auch der Kauf neuer Brennstäbe nötig wäre. „Der kurzfristige Weiterbetrieb bis 2024 und der damit verbundene Kauf neuer Brennstäbe sind keine Kernanliegen der FDP, sondern energiepolitische Notwendigkeit“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler dem Tagesspiegel.

Der kurzfristige Weiterbetrieb bis 2024 und der damit verbundene Kauf neuer Brennstäbe sind keine Kernanliegen der FDP, sondern energiepolitische Notwendigkeit.

 Lukas Köhler, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender

Er verwies dabei auf wissenschaftliche Studien zur Strompreisentwicklung und den vom Wirtschaftsministerium beauftragten Stresstest. „Durch den Parteitagsbeschluss der Grünen hat sich nichts geändert“, sagte Köhler weiter. Nach seinen Worten müssten „parteipolitische Befindlichkeiten angesichts der potenziellen Folgen weiter steigender Strompreise sowie einer gefährdeten Versorgungssicherheit zurückstehen“.  Im bevorstehenden Winter drohe Deutschland eine „dramatische Energiekrise“, sagte er zur Begründung.

Angesichts des koalitionsinternen Streits galt es als wahrscheinlich, dass Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Wochenende nach der Rückkehr Lindners von der Washingtoner Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds zu einem erneuten Krisentreffen im Kanzleramt zusammenkommen.

Nach dem Beschluss des Grünen-Parteitags sollen die beiden Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 maximal bis zum 15. April Strom liefern. Das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen soll laut Parteitagsbeschluss dagegen wie geplant am 31. Dezember abgeschaltet werden.

Vor dem Beschluss der Grünen in Bonn hatte Habeck nochmals für die von ihm konzipierte Atom-Einsatzreserve geworben. Der Stresstest habe gezeigt, dass es im Extremfall zu einer Stromlücke von vier bis acht Gigawatt Leistung kommen könne.

Die beiden süddeutschen Atomkraftwerke würden 0,5 Gigawatt bereitstellen. „Sie lösen das Problem nicht“, sagte Habeck. Aber die Atomkraftwerke könnten helfen. „Weil die Lücke so groß ist, sollten wir diese Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen.“

Robert Habeck erhält Rückendeckung von seiner Partei.
Robert Habeck erhält Rückendeckung von seiner Partei.

© REUTERS / Benjamin Westhoff

Auch die Parteispitze hatte für den Kompromiss von Wirtschaftsminister Habeck geworben. „Wir sind bereit, schwierige Wege zu gehen“, sagte Parteichefin Ricarda Lang. Es stünde den Grünen gut, an dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen.

Gleichzeitig machte sie deutlich, dass die Einsatzreserve der maximale Kompromiss für ihre Partei sei. Atomkraft sei noch immer teuer und unsicher.

„Neue Brennstäbe, ein Wiedereinstieg in die Atomkraft wird es mit uns nicht geben“, sagte Lang. Schon vor dem Parteitag hatte sie den Kauf von Brennelementen als „rote Linie“ für ihre Partei definiert - eine klare Absage in Richtung der FDP, die genau das vehement fordert.

Was der Bundesvorstand hier vorgelegt hat, ist eine Zumutung – auch für mich persönlich.

Umweltministerin Steffi Lemke

Auch Umweltministerin Steffi Lemke, die auch für die Reaktorsicherheit zuständig ist, warb für den Kompromiss - trotz persönlicher Bedenken. „Was der Bundesvorstand hier vorgelegt hat, ist eine Zumutung – auch für mich persönlich.“

Wenn die beiden Atomkraftwerke in der angespannten Lage helfen könnten, dürfe die Partei davor nicht die Augen verschließen. Sie versprach, dass es sich um eine einmalige Verlängerung handle. „Wir sind der Garant in der Bundesregierung, dass wir aus der Atomkraft aussteigen.“

Wer garantiert uns, dass wir den 15. April nicht auch wieder kippen?

Karl-Wilhelm Koch

Andere Grünen-Mitglieder hatten dagegen vor der Einsatzreserve gewarnt. Ein Antrag des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg und des grünen Urgesteins Karl-Wilhelm Koch hatte die Partei aufgefordert, an dem vereinbarten Atomausstieg zum Jahreswechsel festzuhalten.

„Wer garantiert uns, dass wir den 15. April nicht auch wieder kippen?“, fragte Koch in seiner Rede gegen die Pläne der Parteispitze. Der Atomausstieg sei mühsam erarbeitet worden mit den Betreibern der Meiler, der Anti-AKW-Bewegung und den Menschen vor Ort.

„Diesen Kompromiss geben wir jetzt auf, weil die FDP meint, Wahlkampf machen zu müssen“, kritisierte Koch. Er äußerte zudem Sicherheitsbedenken angesichts der Sabotage-Akte auf kritische Infrastrukturen in den vergangenen Wochen, wie die Kommunikationsnetze der Bahn und auf die Nordseepipeline Nord Stream 1 und 2.

Ricarda Lang warb für die Einsatzreserve.
Ricarda Lang warb für die Einsatzreserve.

© AFP / INA FASSBENDER

Mit dem Beschluss ist die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke jedoch noch immer nicht geklärt. Die Ampel-Regierung hat sich seit Wochen darüber zerstritten.

Die FDP fordert den Kauf neuer Brennelemente und möchte alle drei Atomkraftwerke bis 2024 betreiben. Die Liberalen, die nach Wahlniederlagen in den Ländern unter Druck stehen, argumentieren mit den hohen Stromkosten und der Versorgungssicherheit.

Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kritisierte am Rande seiner Reise in die USA die Äußerungen von Grünen-Chefin Lang.  Er erwarte von allen Beteiligten, dass sie keine roten Linien zeichneten, „sondern den Horizont erweitern“, sagte er dem Fernsehsender Welt.

Zuvor waren mehrere Gespräche zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Habeck und Lindner ohne Erfolg geblieben - zuletzt am Donnerstagabend. In der kommenden Woche wollen die Ampel-Spitzen dem Vernehmen nach erneut verhandeln, damit ein Gesetzentwurf ins parlamentarische Verfahren gehen kann.

Einigt sich die Ampel nicht, bleibt es beim Atomausstieg zum Jahreswechsel - trotz der angespannten Energielage in diesem Winter.

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