zum Hauptinhalt
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron nach dem EU-Videogipfel vom Donnerstag.

© Benoit Tessier/AFP

Pandemie in Frankreich: Kein „Mea culpa“ von Macron

Frankreichs Staatschef Macron wird kritisiert, weil er Anfang des Jahres auf Lockerungen setzte. Auch im Nachhinein rechtfertigt er diesen Kurs.

Wegen der hohen Infektionszahlen wird Frankreich von der Bundesregierung als so genanntes Hochinzidenzgebiet eingestuft. Damit gelten demnächst für das gesamte deutsch-französische Grenzgebiet ähnliche Regeln, wie sie am vergangenen Wochenende an der Grenze zu Polen eingeführt wurden: Einreisen nach Deutschland sind nur mit einem negativen Corona-Test möglich.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

In der Praxis bedeutet dies, dass sich vor allem französische Pendler aus dem Elsass in der Nähe der Grenze zu Baden-Württemberg auf die Überprüfung ihrer Corona-Tests einstellen müssen. Im Saarland und in Rheinland-Pfalz gibt es solche Tests schon, nachdem das französische Département Moselle als Virusvariantengebiet eingestuft worden war. Dort grassiert vor allem die südafrikanische Mutante des Coronavirus.

Hochinzidenzgebiet: Unterschiedliche Begründung in Berlin und Paris

Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) davon sprach, dass die Einstufung als Hochinzidenzgebiet ein „fast vollständig automatisierter Prozess“ sei und sich allein an den Infektionszahlen orientiere, wollte man sich in Paris dieser Lesart nicht vollständig anschließen. Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte in einem Interview mit dem Radiosender „France Info“, dass sich Berlin zu den zusätzlichen Kontrollen an der Grenze wegen der „Explosion“ der Infektionszahlen in Deutschland bei einer gleichzeitigen Ausbreitung der Pandemie in Frankreich veranlasst gesehen habe.

In Frankreich liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 300 und damit weit über dem Durchschnittswert in Deutschland. Allerdings ist ein Vergleich schwierig, weil in Frankreich vergleichsweise viele Corona-Tests durchgeführt werden.

[Lesen Sie auch: Der Tag, der die Kanzlerin verändern wird - eine Rekonstruktion (T+)]

Zuvor hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Donnerstagabend am Ende des EU-Videogipfels die Bevölkerung auf eine mögliche Verschärfung des geltenden Teil-Lockdowns eingeschworen. „Die kommenden Wochen werden schwierig“, sagte Macron. Bei weiteren Schritten zur Pandemiebekämpfung werde es „kein Tabu“ geben, erklärte er weiter. Welche Verschärfungen demnächst anstehen, blieb aber zunächst unklar. Unter anderem ist im Gespräch, die Schulen wieder zu schließen. Dagegen schlug die Regionalpräsidentin des Großraums um Paris, Valérie Pécresse, vor, die Schulferien im April vorzuziehen.

Macron steht in der Kritik, weil er zu Beginn des Jahres auf einen Lockdown verzichtet hatte. Der Präsident hatte sich im privaten Kreis darüber beklagt, dass Virologen „systematisch die Apokalypse prophezeien“ würden. Dann musste er angesichts der steigenden Infektionszahlen vor einer Woche doch verschärfte Ausgangsbeschränkungen für ein Drittel der Franzosen in die Wege leiten.

Bei seiner Pressekonferenz am Ende des EU-Videogipfels erklärte Macron trotzdem, es gebe für ihn auch nach der jüngsten Kehrtwende keinen Grund, sich zu entschuldigen. Es sei richtig gewesen, Ende Januar keine verschärften Ausgangsbeschränkungen zu beschließen, rechtfertigte sich der Staatschef. Denn seinerzeit sei es nicht zu einer Explosion der Infektionszahlen gekommen, obwohl dies doch in allen wissenschaftlichen Modellen vorhergesagt worden sei.

Rechtspopulisten werfen Macron chaotischen Kurs vor

Macrons Verzicht auf ein „Mea culpa“ rief zahlreiche Reaktionen unter französischen Politikern hervor. So warf Jordan Bardella, der stellvertretende Vorsitzende des rechtspopulistischen „Rassemblement National“, dem Präsidenten einen chaotischen Kurs bei der Pandemiebekämpfung vor.

Der „Rassemblement National“, deren Chefin Marine Le Pen 2022 Präsidentin werden will, tritt in der Debatte um die Corona-Politik keineswegs als reine Lockerungs-Partei auf. Bei ihrer Neujahrsansprache zu Beginn des Jahres hatte sich Le Pen als die eigentliche politische Gegenspielerin des Staatschefs in Szene gesetzt. Sie warf der Regierung unter anderem vor, nicht über genügend Mittel zur Sequenzierung der Virusvarianten zu verfügen. Le Pens Stellvertreter Bardella sagte nun angesichts der Debatte über weitere Verschärfungen, es sei eine „gute Lösung“, wenn die kommenden Schulferien vorgezogen würden.

Fast jeder zweite Franzose rechnet mit Wahlsieg Le Pens

Dass der „Rassemblement National“ weniger auf Krawall gebürstet ist als noch bei der letzten Präsidentschaftswahl von 2017, hat Marine Le Pen einen deutlichen Zuwachs in den Umfragen beschert. Mittlerweile rechnet fast jeder zweite Franzose damit, dass die 52-Jährige bei der Präsidentschaftswahl siegreich aus einem Duell mit dem Amtsinhaber Macron hervorgehen wird.

Ob sich im Frühjahr 2022 tatsächlich in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl wie schon vor vier Jahren erneut Macron und Le Pen gegenüberstehen werden, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl rechnet sich nämlich auch der frühere Gesundheitsminister Xavier Bertrand aus, der in dieser Woche seine Kandidatur erklärte.

Ex-Gesundheitsminister Bertrand auf dem dritten Platz

Der Konservative Bertrand, der in der Region Hauts-de-France an der Grenze zu Belgien als Regionalpräsident amtiert, möchte unabhängig von den bestehenden Parteien zur Präsidentschaftswahl antreten. Der 56-Jährige gilt als Vertreter der gemäßigten Konservativen. Auch wenn er derzeit laut Umfragen beim Rennen um die Präsidentschaft nur auf dem dritten Platz landen dürfte, will er in jedem Fall einen möglichen Wahlsieg Le Pens verhindern. „In der gegenwärtigen Lage Frankreichs halte ich das für meine Pflicht“, begründete Bertrand seine Kandidatur.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false